#137

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Als wir aus dem gewaltigen Schatten des Ayers Rock auftauchten, war es bereits stockdunkel. Nemira schnupperte interessiert, wobei ihre Augen dunkelrot leuchteten. Ich drehte mich zu Emilia und Jack um und sah die Beiden an. Jack trug heute eine Pyjama-Hose mit Sternchen drauf und er hatte Andersons Axt aus Nevada mitgenommen. Die Waffe hatte er sich mit einem ledernen Gurt über die Schulter geschwungen. Emilia war eher leicht bekleidet. Kampfstiefel, schwarze Leggings und ein dunkelgrünes Kleid mit einem kleinen Ausschnitt. Um ihrer Hüfte war ein breiter Gürtel geschnallt, an dem, unter anderem, ein Messer und einige Patronen für ihre Schrotflinte hingen, die sie an einem Gurt auf dem Rücken trug. Ich hingegen trug die selbe Kleidung wie immer und hatte nur meine M1911 dabei und ein paar Reservemagazine. Und natürlich die drei heiligen Schwerter, Durendal, Curtana und Joyeuse. Mein Amulett hing um meinen Hals, verborgen unter meinem Shirt. Hoffentlich würde es genügen. Ich ging zu Emilia und zog das andere Amulett aus meiner Manteltasche. Sie drehte sich mit dem Rücken zu mir, hob ihre Haare an und fragte: "Würdest du es mir anlegen? Bei mir verheddert es sich nur irgendwo." Ich trat dicht hinter die Cambion, genoss kurz den Blumenduft, der aus ihren Haaren aufstieg, dann zog ich ihr die Kette an. Kaum berührte der kleine, kreisrunde Anhänger ihre Haut, fing Emilia an zu leuchten. Ich trat einige Schritte zurück und beobachtete die Veränderung. Das Leuchten, dass ihren Körper umgab, war hellgrün und wurde immer intensiver. Ihre Haare wechselten die Farbe, aus dem flammenden Rot wurde ein reines Weiß. Das Waldgrün ihrer Augen wich einem blau, hell und kalt wie Eissplitter und ihre Haut wurde noch blasser als ohnehin schon. Dann begannen zwei Hörner aus ihrer Stirn zu sprießen, direkt unter dem Haaransatz. Filigrane, tiefschwarze Hörner mit leichten Rillen. Das Leuchten erstarb wieder und Emilia sah mich nervös an. "Und…?", fragte sie unsicher. "Wie sehe ich aus?" Mit leicht geöffnetem Mund starrte ich sie an. "Umwerfend", sagte ich schließlich. "Und mehr als überzeugend." "Kleiner, hör auf sie anzustarren", sagte Jack lachend. "Sie sieht verdammt gut aus, aber du solltest dich aufs wesentliche konzentrieren, nicht auf Emilias Ausschnitt." Emilia und ich erröteten gleichzeitig und Nemira schnaubte belustigt. "Also", fragte Emilia rasch. "Wie öffne ich die Pforte?" Ich richtete meinen Mantel und antwortete: "Laut Neros Recherchen durch Gesang. Leg einfach deine Hand auf den Stein und sing." Die Cambion nickte, trat vor und berührte vorsichtig den Felsen. "Dreh euch um", bat sie und kaum hatten wir das getan, begann Emilia zu singen. Es klang nach einem Schlaflied für Kinder, aber die Melodie berührte etwas in mir, weckte Erinnerungen an meine Kindheit. An meine Mutter, die an meinem Bett saß und mir zum Einschlafen vorsang oder irgendwelche Märchen vorlas. An ihr warmes Lächeln, wenn ich wieder irgendwelchen Unfug angestellt hatte. Und daran, dass sie nun in der Schweiz war. Ein neues Leben, ohne Erinnerungen an ihren Sohn. Ein neues Leben in Sicherheit. Später hätte ich nicht mit Gewissheit sagen können, wie lange Emilia gesungen hatte. Sekunden, Minuten, vielleicht sogar Stunden. Während sie sang, war Zeit irrelevant, alles was zählte war ihre Stimme. Als ihre Stimme schließlich erstarb, hatte ich Tränen in den Augen. Ich blinzelte ein paar mal, versuchte die Tränen zu unterdrücken, als ich Nemiras Schnauze in meiner Seite spürte. Sie leckte mir sanft über die Hand, allerdings war ihre Zunge so groß wie ein Handtuch. Unwillkürlich musste ich lachen und wischte den Speichel an ihrem Fell ab. Dann drehte ich mich um. Vor Emilia hatte sich ein Spalt aufgetan, mehrere Meter groß und breit genug um auch Nemira Durchlass zu gewähren. Gemeinsam mit Emilia schritt ich durch den Spalt, hinter uns Jack und zum Schluss Nemira. Kaum waren wir drin, spürte ich ein Ziehen in der Magengegend, als wäre ein Angelhaken an meinen Eingeweiden befestigt. Plötzlich ließ das Ziehen nach und wir standen in einer kleinen Höhle am Ende eines langen, gewundenen Tunnels. Jack beugte sich leicht vor und presste eine Hand auf den Magen. "Verdammt, daran hab ich gar nicht mehr gedacht! Deshalb hasse ich solche Portale!" Nach ein paar Sekunden hatte er sich wieder gefasst und straffte die Schultern. "Lasst uns gehen", sagte er schließlich. Langsam gingen wir durch den Gang, stellenweise war er fast schon zu eng für Nemira, weshalb wir immer wieder stehen bleiben mussten. In diesen Pausen betrachtete ich das Gestein und stellte fest, dass es schwarz war, als wäre es erkaltete Lava oder ähnliches. Nach etwa einer Stunde gelangten wir endlich zum Ausgang und vor uns breitete sich die Hölle aus. Bislang hatte ich nie ein Bild vor Augen gehabt, wenn ich von der Hölle gesprochen hatte und selbst wenn, es wäre nicht das gewesen, was ich jetzt sah. Eine weite Ebene, hier und da durchzogen von dunklen Flüssen und gespickt mit Bäumen, die denen auf der Erde ähnelten. Nur war die Vegetation hier grau und wirkte tot und es herrschte ein ständiges Dämmerlicht, mit einem deutlichen Rotstich. In weiter Entfernung zeichneten sich zerklüftete Berge ab und ich konnte sogar vereinzelt Gebäude erahnen. "Nicht ganz das Bild, dass die Sterblichen haben, stimmts?", fragte Jack. "Ich dachte immer die Hölle sei ein gigantischer Krater", erwiderte Emilia und ich nickte zustimmend. "Das war sie auch", erzählte Jack. "Die ersten Jahrhunderte nach Luzifers Fall sollen echt unschön gewesen sei. Aber irgendwann wurde der Platz eng. Viele Dämonen, unzählige verdammte Seelen. Also baute man die Hölle aus, schlug eine Landschaft in den Fels und ließ sie aussehen wie ein verzerrtes Abbild der Erde. Es bildete sich eine Gesellschaft, die bestimmt wurde von Macht und Verschlagenheit." Ich ließ die Atmosphäre noch einen Moment lang auf mich wirken, dann fragte ich Jack: "Wohin jetzt? Direkt ins Herz der Hölle?" Der Dämon lachte. "Da könntest du dich auch gleich mit Honig einschmieren und in einen Wald voller Bären legen. Nein, wir brauchen jemanden, der sich hier besser auskennt als ich. Jemanden, der all die kleinen Schleichwege kennt." "Und kennst du so jemanden?",  kam es von Emilia. Jack reckte den Kopf und sah in die Richtung, die ich für Osten hielt. "Ja, da gibt es jemanden. Zu Fuß brauche wir etwa zwei Stunden." "Wer denn?", hakte ich nach. Ich mochte Jack, aber ein gesundes Maß an Misstrauen hatte noch nie geschadet. "Ein Dämon namens Joe. Ein… naja, seht ihr dann schon. Joe ist schwer zu beschreiben." Namira trat neben mich und legte sich flach hin. "Steigt auf", sagte sie und wedelte mit dem Schwanz. Ich grinste, kletterte auf den Rücken der Hündin und reichte Emilia meine Hand. Kaum saß sie hinter mir, stand Nemira wieder auf und Jack breitete seine Flügel aus. "So sind es vielleicht zwanzig Minuten", meinte der Dämon grinsend und schwang sich in die Lüfte. Ich krallte mich in Nemiras Fell, Emilia hielt sich an meiner Hüfte fest und dann rannte die Hündin los. Ihre Füße trommelten auf dem Boden, das zusätzliche Gewicht schien sie kaum zu stören. Wir flogen praktisch über den felsigen Boden der Hölle, wobei Jack die Richtung vorgab. Und tatsächlich, keine zwanzig Minuten später erreichten wir einen kleinen Hügel, auf dem eine Blockhütte stand, mit einer heißen Quelle am Fuße des Hügels. Wasserdampf vernebelte die Sicht, aber langsam zeichnete sich eine Gestalt ab, die in der Quelle saß. Als wir noch etwa zehn Meter entfernt waren, landete Jack und bedeutete uns abzusteigen. "Lasst mich erst mal reden. Joe ist ein wenig…speziell." Als wir näher kamen, entdeckte uns Joe. Irgendwie hatte ich mir einen großen, haarigen Typ vorgestellt, aber was sich da aus dem Wasser erhob, war das komplette Gegenteil. Eine junge Frau mit hellroter Haut und flammend rotem Haar. Ihre Augen warend stechend gelb und sie musterte uns neugierig. Sie war ein Succubus, ohne Frage. Und sie war zudem splitterfasernackt. Ihr kurvenreicher Körper war die reinste Versuchung und Wasserperlen rollten an ihren prallen Brüsten herab. Noch während mein Blick weiter nach unten wanderte, spürte ich Emilias Hand, die mir einen kräftigen Klaps auf den Hinterkopf gab. Genau dadurch brachte sie meinen Kopf aber in eine Position, in der ich nicht anders konnte, als Joe's wiegende Hüften und ihre Schenkel zu betrachten. Schnell hob ich den Blick und versuchte Joe's Gesicht zu fokussieren, dass ebenso perfekt war wie der Rest ihres Körper, trotzdem glitt mein Blick immer wieder ein Stück nach unten. "Nath!", zischte Emilia mit leichter Empörung und hörbarer Eifersucht in der Stimme. Aber als ich sie kurz ansah, war auch ihr Blick auf den Körper des Succubus gerichtet und zwar mit einer gewissen… Neugierde. Jack hingegen fing fast an zu sabbern. "Jack!", begrüßte ihn Joe und umarmte ihn stürmisch. "Ich habe dich ja seit mehr als hundert Jahren nicht gesehen. Nicht mehr seit dieser Woche auf den Malediven." Ihre Augen blitzen schelmisch, dann machte sie einen Schritt zurück und sah Emilia und mich an. "Willst du mir nicht deine hübschen Begleiter vorstellen?" Jack räusperte sich und sagte mit heiserer Stimme: "Das sind Nathaniel und Emilia. Wir sind hier, weil wir deine Hilfe brauchen. Wir suchen…" "Nicht hier", unterbrach ihn Joe, wobei mir eine gewisse Melodie in ihrer Stimme auffiel und ein leichter Akzent, den ich nicht einfach nicht einordnen konnte, der aber mehr als anziehend wirkte. Sie umarmte auch Emilia, die etwas schockiert war, aber den Blick noch immer nicht von Joes Körper abwenden konnte. Dann umarmte der Succubus auch mich und ich spürte die Magie, ähnlich der, mit der Lilith mich in Amsterdam hatte betören wollen. Magie, die mich an ein Hotelzimmer denken ließ, literweise Champagner und Whiskey und an mich, Emilia und Joe in einem großen Bett. Kaum ließ der Succubus mich los, verblassten die Bilder und Joe grinste, als wüsste sie genau, was in meinem Kopf vor sich ging. "Lasst uns lieber drinnen reden", sagte sie und schnipste, woraufhin ein Handtuch auftauchte und sich um ihren Körper schlang. Gemeinsam liefen wir hinter Joe in Richtung der Hütte, wobei ich einen erneuten Seitenblick auf Emilia warf. Ihre Wangen waren gerötet, ein starker Kontrast zu ihrer bleichen Haut und in ihren Augen war eine Mischung aus Scham und Verträumtheit zu sehen. Hatte Joes Magie bei ihr die selben Bilder erzeugt wie bei mir? Ich schüttelte den Kopf und biss mir kräftig in die Wange. Als ich schließlich Blut schmeckte, war mein Kopf schon bedeutend freier. Fantasien über Emilia und einen Succubus waren zwar mehr als verlockend, aber wir waren aus einem bestimmten Grund hier. Das Hotelzimmer würde warten müssen, bis ich das Ende der Welt verhindert hatte.

Rogue HeroWo Geschichten leben. Entdecke jetzt