Ich atmete ein letztes Mal durch, bevor ich an die Tür aus massiver Eiche klopfte. "Herein", erklang Jasmins melodische Stimme. Die Tür schwang von alleine auf und gab den Blick in ein großes, lediglich durch gedimmte rote Lampen beleuchtetes Zimmer preis. An den Wänden standen hohe Bücherregale und die Ecke rechts von mir wurde beherrscht von einer großen Kommode. In Kombination mit dem riesigen, runden Himmelbett vermittelte das Ganze den Eindruck eines Bordells. Jasmin saß auf ihrem Bett, lediglich mit einem halb durchsichtigen, seidenen Morgenmantel bekleidet und kämmte sich das Haar. Als sie mich sah, stand sie auf, ein Lächeln im Gesicht, dass wohl verführerisch wirken sollte. Aber das alles war eine Spur zu perfekt. Mit einem leichten Stirnrunzeln machte ich einen Schritt beiseite und legte meine rechte Hand auf die Kommode. Die Runen auf meinem Arm glühten auf und kurz darauf zog sich ein leichtes Kräuseln über das Holz. Im nächsten Moment war das Möbelstück verschwunden. An der selben Stelle stand nun ein Tisch, vollgestopft mit diversem Zeug. Ich konnte eine Kristallkugel, diverse Pendel und eine Feuerschale erkennen, neben der sich dutzende Bündel getrockneter Kräuter stapelten und etwas, dass verdächtig nach Knochen mit gravierten Runen aussah. "Aber… wie…?", stammelte Jasmin. Ich zog eine Augenbraue hoch. "Jasmin, was ist das?" Seufzend machte sie eine vage Handbewegung, woraufhin ihr Morgenmantel kurz aufleuchtete und zu Jeans und Pullover wurde. "Ich weiß nicht wie ich es dir sagen soll. Ich habe die Runen befragt, alten Göttern geopfert und versucht andere Hexen zu kontaktieren. Aber die Zeichen blieben die selben. Das Ende ist nah. Nathaniel, es geht um die…" "… Apokalypse.", beendete ich ihren Satz. "Ich weiß. Laut einem Hexer den ich getroffen habe, soll Leviathan irgendeine Rolle dabei spielen." Als ich den Namen erwähnte, wurde die Hexe kreidebleich. "Leviathan?! Die ewige Schlange selbst? Weißt du überhaupt was das bedeutet?" "Dass wir am Arsch sind. Und deswegen bin ich hier. Das einzige, was Leviathan angeblich verletzen kann, sind heilige Klingen. Und wir beide und Marcus kennen jemanden, der eine besitzt." Nun schlich sich ein Glitzern in Jasmins Augen. "Du willst Anderson suchen und töten?" "Suchen, ja. Aber das Recht auf seinen Tod steht Marcus zu. Also, kannst du mir helfen ihn zu finden?" Jasmin nickte knapp, stand auf und ging zum Tisch. Mit suchendem Blick betrachtete sie das Chaos darauf. "Es gibt einige Lokalisierungszauber, aber seit einigen Tagen werden meine Zauber durch irgendetwas… blockiert. Es ist wie eine Art magisches Störsignal. Vermutlich kann ich etwas rausfinden, aber ich weiß nicht, wie genau es wird. Oft gibt es auch widersprüchliche Ergebnisse. Ich kann also nichts versprechen." Ich trat einen Schritt zurück und nickte. "Gut. Aber du kannst es versuchen. Also los, wir haben keine Zeit zu verlieren." Die Hexe atmete kurz durch, dann ging sie zum Bücherregal, zog eine leicht vergilbte Weltkarte hervor und breitete sie auf dem Parkettboden aus. Sie ging wieder zum Tisch und suchte sich zielsicher einige Dinge aus. Erst stellte sie vier Kerzen um die Karte herum auf, eine an jeder Ecke, und zündete sie an. Direkt über die Karte kam eine kleine Feuerschale, in der sie verschiedene Kräuter mischte. Als sie auch diese mit einem Schnipsen entzündete, stieg mir ein beißender Geruch in die Nase. Dann kniete sie sich vor die Karte. "Bist du bereit?", fragte sie mich. "Ja.", erwiderte ich. "Leg los." Plötzlich hielt Jasmin eine Nadel in der Hand. Sie schloss die Augen, atmete tief ein und stach sich in die Kuppe ihres linken Zeigefingers. Tropfen für Tropfen ergoss sich ihr Blut auf das Papier, bis es fast schon eine kleine Pfütze bildete. Rasch heilte Jasmin den Stich mit Magie und begann leise eine Art Formel vor sich hin zu murmeln, dem Klang nach auf aramäisch. Die Blutpfütze fing an zu brodeln, dann teilte sie sich urplötzlich auf und floss über die Karte, bis sie Kreise um zwei Orte bildete. Entschuldigend sah Jasmin mich an. "Das meinte ich. Meine Magie wird gestört, beide Orte sind wahrscheinlich. Was willst du jetzt tun?" Ich biss mir auf die Unterlippe und dachte nach. Zwei weit von einander entfernte Punkte und außer mir konnte nur Jack teleportieren. "An einem dieser Orte ist Anderson?", fragte ich. Die Hexe nickte. Also musste ich an beiden Orten suchen. Aber nicht alleine. Nicht diesmal. "Sag den Anderen Bescheid, sie sollen sich kampfbereit machen und im Wohnzimmer warten. Ich komme gleich nach.", sagte ich. Es klang mehr wie ein Befehl, aber ich wunderte mich längst nicht mehr. Immer mehr fügt ich mich in die Rolle des Anführers. Jasmin nickte knapp, stand auf und verließ das Zimmer. Nachdenklich betrachtete ich die Karte. Welches Ziel sollte ich übernehmen? Ich musste die heilige Klinge unbedingt in meine Finger kriegen, andererseits durfte ich mir keine Fehler mehr erlauben. Ohne darüber nachzudenken zog ich eine Münze aus meiner Hosentasche und warf sie hoch, fast bis unter die Decke. Das leise 'Pling' durchschnitt die Stille wie ein Messer. Ich streckte meine Hand aus, fing die Münze und betrachtete die Ziffern, die im Kerzenschein leicht glitzerten. "So soll es sein.", sagte ich leise. Mein nächstes Ziel stand fest.
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Rogue Hero
Fantasy"Jedes Land hat so seine Legenden. In jedem Landstrich hatten die einfachen Leute vor etwas anderem Angst. So entstanden Märchen und Legenden über die verschiedensten Wesen. Vampire, Werwölfe, Elfen, Riesen, Kobolde und so weiter. Du kennst diese Ge...