#172

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"Gottverdammte Scheiße!", fluchte ich und riss das Lenkrad in letzter Sekunde nach links. Der Affe verfehlte den Wagen knapp und schwang sich wieder in die Lüfte. "Da sind noch mehr, mindestens fünfzig!", rief Emilia. "Wir müssen anhalten!" "Vergiss es", knurrte ich. "Das ist garantiert ein Ablenkungsmanöver, kannst du das Lenkrad übernehmen? Ich kümmer mich drum." Plötzlich war ich froh, dass die Cambion mich gedrängt hatte meine Magazine neu zu befüllen. "Was hast du vor?", fragte Asami in einem Tonfall, als würde sie gerade ein wenig an meinem Geisteszustand zweifeln. "Ganz einfach", erwiderte ich seelenruhig. "Ich springe aus dem Wagen, Emilia rutscht hinters Lenkrad und ihr fahrt weiter bis zum Sammelpunkt, das sind noch etwa zehn Minuten Fahrt." Bevor jemand protestieren konnte, schnappte ich mir mein Headset. "Marcus", sagte ich. "Sag Jack er soll rausspringen und seine Axt mitnehmen. Wir kümmern uns um die Dämonen und stoßen beim Sammelpunkt wieder zu euch." Ohne eine Reaktion abzuwarten legte ich das Headset weg und sah Emilia an. "Das ist die beste Möglichkeit. Wir müssen unsere Kräfte und unsere Munition sparen.  Wir sehen uns nachher, versprochen. Bist du bereit?" Die Cambion lehnte sich zu mir rüber und küsste mich flüchtig. "Du bist verrückt. Wehe du lässt dich umbringen, dann steige ich runter in die Hölle und reiße dir den Arsch auf!" Mit einem Kopfschütteln packte sie das Lenkrad. "Bereit." Ich atmete durch, dann stieß ich die Tür auf, während Emilia auf meinen Platz rutschte. Der Wagen wurde für einen Augenblick langsamer, ehe Emilia mit dem Fuß ans Gaspedal kam. Geschickt zog ich mich aufs Dach, bis ich fast drauf hockte und drückte mich mit aller Kraft ab. Sofort wurde ich nach hinten gerissen und erst als ich meine Flügel ausbreitete, schaffte ich es, mich zu stabilisieren. Ich ließ den Konvoi unter mir durchfahren, ehe ich neben Jack landete, der scheinbar einfach aus dem Wagen gehüpft war. Kurz sah ich mich um, entdeckte aber nur Felder und vereinzelte Bäume. "Hey, Kleiner!", begrüßte mich der Dämon. "Wir haben lang nicht mehr zusammen gekämpft." Ich beobachtete die Affendämonen, die noch ein paar Sekunden über dem Konvoi kreisten und anschließend auf uns zusteuerten. Ich zählte etwas mehr als sechzig Stück, Emilia hatte also ziemlich gut geschätzt. "Na, Jack", meinte ich grinsend und beschwor meinen Speer. "Ich hoffe du bist nicht eingerostet." Der Dämon brummte irgendwas, dass verdächtig nach einem Fluch klang, und faltete seine Flügel zusammen. "Wie sollten wachsam sein", sagte er. "Leviathan weiß, dass wir kommen, die Schlange ist verflucht gerissen. Sie wird alles tun um uns zumindest auszubremsen." Ich nickte zustimmend. "Vermutlich ist das nur ein kleiner Vorgeschmack auf Disney World. Ich an ihrer Stelle würde meine stärksten Leute da versammeln."  Die Dämonen kamen immer näher und mir fiel auf, dass sie in einer Art Formation flogen und für einen kurzen Moment sah ich etwas goldenes aufblitzen, dass von den Affen verdeckt wurde. Auch ich faltete meine Flügel zusammen, ein Luftkampf auf offenem Feld war viel zu riskant bei so vielen Gegnern. Aber das Aufblitzen und die geflügelten Affen erinnerten mich an irgendwas, etwas das ich als Kind gelesen hatte und irgendwo tief in meinem Gedächtnis vergraben war. Doch ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, griffen die ersten Affen an. Jack und ich standen Rücken an Rücken und schwangen unsere Waffen mit tödlicher Präzision. Wir trennten Arme, Beine und Kopfe ab, zerfetzten Flügel und mit blitzschnellen Stichen durchbohrte ich Köpfe und Herzen. Während wir kämpften, bewegten wir uns langsam nach links, in Richtung Feld, um nicht von Leichen und Körperteilen behindert zu werden. Plötzlich erklang ein schriller Pfiff und die Dämonen landeten und bildeten einen Kreis um uns herum, hielten aber ein paar Meter Abstand. Und nun sah ich, was die geflügelten Affen vor uns verborgen hatte. Ein kleiner Junge trat vor, höchstens zwölf Jahre alt und in Lumpen gekleidet. Auf seinem Kopf saß eine Kappe, die augenscheinlich aus Goldfäden bestand und in der Hand hielt er ein schlichtes Kurzschwert mit dunkelgrauer Klinge. "Valak", knurrte Jack. "Du dreckiger kleiner Wichser. Hätte mir denken können, dass du dich Leviathan anschließt. War dir dein Posten als Leutnant nicht mehr genug?" "Hallo Jack. Das selbe, großmäulige Arschloch wie eh und je." Valaks Stimme war ebenfalls die eines Kindes, doch beim Sprechen entblößte er zwei Reihen spitzer Zähne, fast wie die eines Hais. Aus seinem Rücken sprossen zwei kurze Flügel, mit hässlichen Auswüchsen, die an die Saugnäpfe eines Oktopusses erinnerten. "Und du kleine Missgeburt musst Luzifers Bastard sein. Leviathan hat von dir berichtet." Jack stieß mir seinen Ellebogen in die Seite und zischte: "Ich lenke die Affen ab, du übernimmst Valak." Ich nickte leicht und rief Valak zu: "Hey, Chorknabe. Ich bin mir sicher, dass du Jack schon lange kennst, aber von uns beiden habe ich die größere Klappe." "Chorknabe?!", wiederholte er, mit vor Wut überschäumender Stimme. "Wag es nicht so mit mir zu reden." Mit einem Windstoß wirbelte ich ein wenig Staub auf und nutzte die Verwirrung um auf Valak zuzusprinten, während Jack wahllos Feuerbälle nach den Affen schleuderte. Das stumpfe Ende meines Speers traf Valak gegen die Brust, welcher einige Meter durch die Luft flog und mit einem dumpfen Geräusch wieder auf dem Boden aufkam. Mit einigen schnellen Schritten war ich bei ihm und holte aus. Doch ehe ich zustechen konnte, drehte sich der Dämon auf den Rücken und sah mich an. Plötzlich blickte ich nicht mehr in die Fratze eines Leutnants der Hölle, sondern in das Gesicht eines kleinen, unschuldigen Jungen. Seine hellblauen Augen sahen mich angsterfüllt an und erinnerten mich an all die Unschuldigen, die meinetwegen gestorben waren. Ich zögerte für eine Sekunde und kämpfte mit meinen Schuldgefühlen. Und genau diese Sekunde reichte Valak aus um aufzuspringen, mir seine kleine Faust in den Magen und anschließend sein Schwert in meine Brust zu rammen. Oder zumindest versuchte er es, denn nach wenigen Millimetern wurde die Spitze aufgehalten. Dennoch ließ mich der heftige Stoß zurück taumeln, und ich stürzte. Der Dämon zischte überrascht und schoss auf mich zu. "Erbärmlich", höhnte er. "Leviathan sagte bereits, dass deine Menschlickeit deine größte Schwäche ist, aber sich so leicht aus der Fassung bringen zu lassen ist wirklich erbärmlich." Valak hatte mich fast erreicht und ich streckte die Hand nach Gladys aus, als Jack hinter dem Dämon auftauchte, die Axt mit beiden Händen fest gepackt. Die dunkle, blutverschmierte Schneide beschrieb einen perfekten Bogen, ehe sie Valaks Kopf mühelos von seinen Schultern trennte. Helles Blut spritzte auf den Boden und ehe der Kopf den Boden berührte, schnappte Jack sich die Kappe. "Tja", feixte er und versetzte dem abgetrennten Kopf einen Tritt. "So schnell wirst du nicht mehr beim Würfeln schummeln." Dann drehte er sich zu mir um und warf mir die Kappe zu. "Verbrenn das Ding!", rief er. "Damit ruft und kontrolliert man die Affen, wenn du sie zerstörst, werden die Viecher wieder in die Hölle verbannt!" Geschickt fing ich die Kappe auf, gleichzeitig legte sich der Staub und ich sah gut vierzig Affen, die die Köpfe schüttelten und uns mit gebleckten Zähnen anknurrten. Langsam stand ich auf, vermied schnelle Bewegungen um keinen Angriff zu provozieren und legte die Kappe vor mich auf den Boden. Vorsichtig machte ich einen Schritt nach hinten, während die Affen einen großen Kreis um uns bildeten. Ich sah wie einer der Dämonen nervös mit den Flügeln schlug, jeden Augenblick würden sie angreifen. Dann, mit einer blitzschnellen Bewegung, richtete ich meinen Speer auf die Kappe und feuerte einen konzentrierten Feuerstrahl ab, wie bei einem Bunsenbrenner auf Steroiden. In diesem Moment stürzten sie auf mich zu, versuchten mich noch rechtzeitig zu erreichen, doch vergebens. Der erste, ein Schimpanse mit vernarbtem Gesicht, streckte bereits die klauenbewehrte Hand nach mir aus, als das Gold schmolz und die Magie sich in einer Feuersäule entlud. Die anstürmenden Dämonen zerfielen zu Staub und ich hob meinen Arm zum Schutz. Jack hustete und fluchte, wobei er versuchte den Staub mit seiner Axt ein wenig wegzuwedeln. Schließlich wurde die Staubwolke immer feiner, bis sie vollends verschwunden war und nur noch ein paar Blutpfützen und ein Fleck geschmolzenen Goldes übrig waren. Ich ließ den Speer verschwinden und betrachtete Valaks Leiche. "Der Kerl ist ein hinterhältiges Arschloch", sagte Jack, der meinen Blick bemerkte. "Das war nur eine seiner Gestalten. Ich habe mal bei einer Runde Poker Azazel über ihn reden hören, und der Schmied meinte, dass Valak aussieht wie etwas, das der Kraken ausgekotzt hat. Er wollte dich nur verunsichern." "Mit Erfolg", gab ich zerknirscht zurück. "Vielleicht stimmt es ja, dass meine Menschlichkeit eine Schwäche ist." Jack hängte sich seine Axt wieder über die Schulter und griff sich verlegen an eines seiner Hörner. "Ich weiß es nicht", erwidere er leise. "Nath, um ehrlich zu sein ist es schon Jahrhunderte her, dass ich ein Mensch war. Manchmal kann ich mich an mein Leben vor der Hölle nicht mal mehr erinnern. Mein Leben ist einfach. Ich spiele, trinke und kämpfe und hin und wieder schließe ich einen Pakt. Und ich bin zufrieden damit. Ich würde dir gerne weiterhelfen, aber wäre ich ein guter Mensch gewesen, hätte man mich wohl kaum in die Hölle gesteckt und zu einem von Baals Soldaten gemacht." Ich dachte an all meine Zweifel, an alles, was ich bislang verloren hatte und blickte i  die letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Das goldene Licht wärmte mein Gesicht und ich schloss die Augen, konzentrierte mich ganz auf das Gefühl, genoss es für einen Moment und atmete langsam die kühle, frische Luft ein. Das war mein vorerst letzter Sonnenuntergang und dieser Gedanke versetzte mir einen Stich ins Herz. "Kannst du uns zum Treffpunkt teleportieren?", fragte ich Jack. "Hier ist nichts, das einen vernünftigen Schatten wirft." Ich wollte wieder zu Emilia, die letzten paar Stunden mit ihr verbringen, ihr in die tiefgrünen Augen sehen und ihre Nähe spüren. Jack trat neben mich, legte mir die Hand auf die Schulter und ehe ich einen weiteren Gedanken fassen konnte,  verschwanden wir in einer roten Rauchwolke.

Rogue HeroWo Geschichten leben. Entdecke jetzt