Eine Welle purer Magie fegte mich fast von den Füßen und meine Muskeln waren bis zum Zerreißen gespannt, als das Longinus-Schwert auf die beinerne Klinge Leviathans traf. Für einen Moment schien es, als sei die Waffe der Wirtin der meinen ebenbürtig, da glühte das Schwert in meinen Händen pulsierend auf. Die Klinge durchschnitt die Knochenklinge und grub sich tief in die Schulter der Dämonin, die gepeinigt aufschrie. Doch als ich das Schwert aus ihrem Fleisch reißen wollte, hob Leviathan die Hand und packte die Klinge mit festem Griff. "Ich habe es dir doch gesagt!", zischte sie, und dunkles Eis breitete sich auf der Waffe aus. "Kein Engel und kein Dämon hat die Macht mich zu bezwingen!" Das Eis breitete sich immer weiter aus, hatte schon fast die Parierstange erreicht und ich konnte spüren, wie die Kräfte der heiligen Waffe schwächer wurden. Ich packte den Griff so fest, dass meine Knöchel weiß wurden und erschuf dunkle Flammen, die jedoch sofort vom Eis erstickt wurden. Leviathans Magie hatte nun meine Hände erreicht und die Siegel an meinen Armen glommen auf, um mich vor größerem Schaden zu bewahren. "Du bist einer überhebliche Närrin.", knurrte ich. "Du hast Recht, kein Engel oder Dämon kann sich dir entgegenstellen, doch du vergisst etwas. Als Nephilim bin ich nicht nur ein Engel. In erster Linie bin ich ein Mensch!" Ich beschwor Erinnerungen herauf, Erinnerungen an meine Kindheit, an meine Mutter. Wie sie mich in den Schlaf gesungen hatte, wie sie mir vorgelesen hatte. Erinnerungen an Leonie, an Partys und Filmabende. Und dann rief ich mir Emilias Gesicht ins Gedächtnis, ihre flammend roten Haare, ihre weichen Lippen und ihre wundervollen Augen. Ich konzentrierte mich auf all diese Erinnerungen und die Emotionen, auf den Schmerz, all das zu verlieren. Ich konzentrierte mich auf das, was es bedeutete, ein Mensch zu sein. "Ein haarloser Affe könnte mich niemals bezwingen.", spie Leviathan aus und lachte höhnisch. "Die Menschen sind erbärmlich. Sie sterben wie die Fliegen und erkennen nicht einmal, wie jämmerlich ihr Dasein ist. Gottes vergessene Spielzeuge, mehr sind sie nicht!" "Vielleicht stimmt es.", erwiderte ich mit gepresster Stimme und spannte meine Muskeln an. "Vielleicht hat das Leben keinen tieferen Sinn, vielleicht sind die Menschen eine bemitleidenswerte Rasse, verloren in diesem dunklen Strudel eines ewigen Krieges. Und doch gibt es etwas, dass sie, dass uns, stärker macht als jeden Engel und jeden Dämon." Reine, goldene Flammen loderten auf, verschlangen das Eis gierig und mit einem kräftigen Ruck entriss ich Leviathan meine Waffe. "Wir haben Hoffnung, Ariel. Egal wie düster und ausweglos es scheint, in jedem Menschen brennt eine kleine Flamme der Hoffnung, die zu einem rasenden Inferno entfesselt werden kann!" Massive Ketten schossen aus dem Boden, wanden sich um Handgelenke und Hals der Fürstin, zwangen sie auf die Knie und fixierten sie. Alles Wasser aus der Umgebung schoss auf die Dämonin zu, doch bevor es uns erreichte, züngelten Flammen empor, die einen Kreis um uns bildeten. "Es ist vorbei.", knurrte ich und nährte das Feuer, indem ich es mit leichten Luftströmen anfachte, bis die Flammen zu einer meterhohen Säule angeschwollen waren, mit uns im Mittelpunkt. Ich hob das Longinus-Schwert auf Augenhöhe, streichelte kurz über die glühende Klinge, dann stieß ich sie mitten in Leviathans Herz. Ich sah, wie sie die Augen aufriss, unfähig sich zu regen und streckte meine geistigen Fühler aus, ließ sie das Schwert entlangwandern, bis in Leviathans Seele. Für einen Moment konnte ich unglaubliche Schmerzen spüren, die zu rasendem Hass wurden, ein düstere, schuppige Macht, die mit der Seele der Gefallenen verschmolzen war. Es gab kein Gefängnis und keinen Kerker, der die Fürstin hätte halten können, denn erst musste ich sie aus ihrem eigenen Gefängnis befreien. Ich tastete weiter, erkundete diese verdrehte, dem Wahnsinn verfallene Symbiose und suchte nach einer Schwachstelle. "Was tust du da?", fragte Aurus, mit einer Spur Besorgnis in der Stimme. Als ich gefunden hatte, wonach ich gesucht hatte, antwortete ich ruhig: "Ich werde die Höllenfürstin töten und die Göttin Leviathan von dem Erzengel Ariel trennen." Ich ließ meine Kräfte in die Waffe fließen, packte sie so fest ich konnte und fokussierte meinen Geist. Dann drehte ich das Longinus-Schwert und durchtrennte die Seele der Kreatur zu meinen Füßen. Für einen Augenblick erklangen zwei verschiedene Stimmen, Ariel und Leviathan schrien beide vor Schmerz, als ich ihre Seelen auseinander riss. Die Fürstin des Westens warf den Kopf in den Nacken und öffnete den Mund, doch statt einem markerschütternden Schrei, drang tiefblauer Rauch aus ihrer Kehle, erfüllt von einer uralten Macht und einem tiefen Schmerz. Immer mehr Rauch schoss aus Ariels Kehle, verdichtete sich und formte den Leib einer gewaltigen Schlange, die gen Himmel schwebte und sich langsam auflöste. Nach nicht mal einer Minute war selbst der kleinste Fetzen Rauch verschwunden und Leviathans Präsens war nicht mehr zu spüren, nur noch die Ariels, welche kraftlos in den Ketten zusammensackte. Ich sah noch einige Sekunden auf die Stelle, an der die Seele der Meeresgöttin verschwunden war, dann richtete ich meinen Blick auf Ariel und zog das Longinus-Schwert aus ihrer Brust. "Hey, Aurus.", richtete ich das Wort an den Gott. "Wir haben es geschafft. Wir haben Leviathan bezwungen." "Für wahr", erwiderte der Löwe stolz. "Eine heldenhafte Tat, über die man noch in Jahrtausenden singen wird. Eine göttliche Bestie zu besiegen, das haben bislang nur eine handvoll Wirte vollbracht." Ich lachte leise und schob das heilige Schwert in die Schatten und versiegelte es erneut. "Helden werden heutzutage nicht mehr besungen. Glaub mir, in wenigen Jahren wird man mich vergessen haben. Aber eins beschäftigt mich. Leviathan. Meinst du, ich habe sie vernichtet? Oder wird sie sich einen neuen Wirt suchen?" Aurus seufzte nachdenklich. "Um ehrlich zu sein, habe ich keinen blassen Schimmer. Was du getan hast... Ich hielt es für unmöglich, wie jeder andere auch. Du hast einen Zauber gelöst, den Gott selbst für zu gefährlich hielt. Es wäre durchaus möglich, dass Leviathan vernichtet ist und nun für immer in der Hölle schmoren wird, doch genauso gut könnte es sein, dass sie sich einen Wirt suchen wird. Aber du hast sie geschwächt, selbst wenn sie im Laufe des nächsten Jahres einen neuen Wirt findet, wäre es denkbar, dass sie sich nie mehr von diesem Tag erholen wird, die Zeit überdauert indem sie sich alle paar Jahrzehnte einen neuen Wirt sucht, doch nie mehr zu alter Stärke zurückfindet. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt, also sollten wir uns darüber nicht den Kopf zerbrechen." "Wir werden sehen.", sagte ich mit einem schwachen Lächeln. "Aber bevor wir zu den anderen zurück kehren, habe ich noch etwas zu erledigen." Ich ließ meine Hand in meine Manteltasche gleiten und zog den Schlüssel zur Hölle hervor. Das Artefakt war zu mächtig, als dass ich zulassen durfte, dass irgendein Engel oder Dämon ihn in die Finger bekam. Ohne groß darüber nachzudenken krempelte ich den Ärmel meines Mantels hoch, zog ein Messer aus meinem Stiefel, setzte es an der Innenseite meines linken Unterarms an und machte einen kurzen, tiefen Schnitt. Zischend atmete ich ein und ehe sich die Wunde schließen konnte, rammte ich den Schlüssel in mein Fleisch. Der Schmerz war unglaublich, brennende Säure schien durch meinen Arm zu fließen, doch meine Siegel rangen bereits mit der Magie des Schlüssels. Die Wunde schloss sich bereits, es blieb nur eine Möglichkeit. Langsam, quälend langsam begann ich meine Magie mit der des Schlüssels zu verweben, band den Schlüssel an mich und zwang ihn unter meine Kontrolle. Schwer atmend zog ich den Ärmel des Mantels wieder runter und straffte die Schultern. Ich würde definitiv ein paar Tage zur Erholung brauchen, mein Körper musste sich erst an dieses uralte Artefakt in meinem Körper gewöhnen. Erholung und jede Menge Kaffee. Ich schüttelte kurz den Kopf, um die leichte Benommenheit zu vertreiben, dann ließ ich die Flammen ersterben, verstärkte Ariels Ketten und drehte mich um. Keine zwanzig Meter entfernt standen Raguel, Jack und Nero, als sie mich entdeckten, nickte der Erzengel kurz, der Kater grinste und Jack neigte sogar den Kopf. "Du bist wahrlich Luzifers Spross.", sagte Raguel. "Es ist wahrlich eine Schande, dass du dich der Finsternis hingegeben hast. Doch für heute werde ich darauf verzichten, dich von dieser Erde zu tilgen." "Nur zu gerne würde ich sehen, wie du das versuchst.", erklang eine Stimme aus den Schatten und die hagere Gestalt Luzifers erschien wie aus dem Nichts. "Allerdings würde es Michael wohl nicht sonderlich gefallen, wenn mein Sohn seinen Bruder tötet. Also halt dich zurück." "Luzifer.", knurrte Raguel. "Wie kannst du es überhaupt wagen, hier aufzutauchen! Ich sollte dich auf der Stelle töten!" Satans Stimme wurde gefährlich leise, als er erwiderte: "Pass auf, was du sagst... Bruder. Sonst wird selbst der drohende Schatten eines Krieges dich nicht schützen können. Nathaniel mag zwar unglaubliches geleistet haben, doch ich habe heute meinen Erstgeborenen verloren." Tiefe Trauer schwang in Luzifers Stimme mit, während er hinüberging zu Balthasars Leichnam, der verdreht in einer Pfütze seines eigenen Blutes lag, unweit der Stelle, an der sich das Tor befunden hatte. Langsam kniete der Teufel nieder und schloss die Augen seines erstgeborenen Sohnes. In diesem Moment begann sich Balthasar zu zersetzen, verwandelte sich in eine Milliarde funkelnder Lichter, winzige Punkte, die durch die Luft tanzten und langsam im Boden versanken. Irgendetwas an diesem Anblick berührte mich, vielleicht war es die Tatsache, dass selbst ein so grausames und verschlagenes Wesen wie Balthasar, sich am Ende in so etwas Erhabenes und Schönes verwandeln konnte. Luzifer stand wieder auf, sein Gesicht war eine regungslose Maske. Langsam ging er zu Leviathan, die noch immer schlaff in ihren Ketten hing und betrachtete die Gefallene. "Ich werde dich in die Tiefen der Hölle zerren.", knurrte Luzifer leise und zwang Ariel dazu, ihm in die Augen zu sehen. "Du wirst büßen, jeden Tag und jede Stunde, bis nichts mehr von dir übrig ist, als eine leere, verlorene Hülle." Mit einem verächtlichen Blick ließ Luzifer sie los und drehte sich wieder um. "Nathaniel Black.", sagte er tonlos. "Es ist an der Zeit, deinen Teil des Paktes zu erfüllen. Sollte es noch etwas geben, das du tun willst, so tue es jetzt." Ich nickte knapp, dann wandte ich mich Raguel zu, der uns missmutig musterte. "Ein Pakt mit dem Teufel?", fragte er. "Du bist tiefer gesunken als gedacht." "Und ich werde noch tiefer hinabsinken. Ich werde für ein Jahr in die Hölle gehen und Luzifer helfen, seine Herrschaft zu sichern und die Dämonen an einem Bürgerkrieg zu hindern. Ich muss dich allerdings um etwas bitten." Aus der Innentasche meines Mantels zog ich einen etwas zerknitterten Brief, den ich dem Erzengel reichte. "Bitte gib das hier Emilia. Der Inhalt ist für dich irrelevant, aber du schuldest mir etwas. Gib ihr diesen Brief und sag ihr, dass ich tot bin. Dann sind wir quitt." Der Engel nahm den Brief, sah mich aber fragend an. Ich wusste, was er fragen wollte und sagte: "Emilia ist unglaublich stur. Wenn sie wüsste, was ich getan habe, würde sie alles tun, um in die Hölle zu gelangen. Aber das wird nicht möglich sein. Ich werde die Tore erneut schließen und diesmal gründlich. Das ist die beste Möglichkeit, auch wenn es ihr das Herz brechen wird." Der Erzengel nickte, dann fragte er: "Nun gut. Aber du wirst das nächste Jahr in der Hölle verbringen. Was sollte mich daran hindern, die kleine Cambion und deine Freunde zu töten, oder gar dich, wenn du wieder zurück kehrst?" Ich trat dicht an den Engel heran, blickte ihm tief in die Augen und erwiderte gefährlich leise: "Solltest du sie töten, werde ich es erfahren und dir das Herz aus der Brust reißen. Solltest du es wagen, sie oder einen meiner Freunde auch nur zu bedrohen, werde ich dir deinen heiligen Arsch aufreißen. Und solltest du mich in einem Jahr erwarten, solltest du eines wissen." Ich krempelte den linken Ärmel meines Mantels hoch und drehte den Arm leicht, sodass der Erzengel die frische Narbe und den leichten Abdruck des Schlüssels sehen konnte. "Dies ist der Schlüssel der Hölle. Ich habe ihn in mir verborgen und ihn an mich gebunden. Und ich habe keine Ahnung, was passieren könnte, wenn du mich tötest. Vielleicht passiert nichts, aber vielleicht reißt du auch die Grenzen zweier Welten ein. Willst du es wirklich drauf ankommen lassen?" Raguel schluckte, steckte den Brief ein und trat einen Schritt zurück. "Eines muss ich dir lassen, Bastard.", meinte er mit bemüht gefasster Stimme. "Du bist verdammt clever. Aber wir sehen uns nicht zum letzten Mal." Ich zuckte mit den Schulter und ließ den Engel einfach stehen. "Jack, Nero", rief ich. "Es ist an der Zeit. Wir sollten gehen." Ohne mich ein weiteres Mal umzudrehen, zog ich den Rubin des Zepters aus meiner Tasche und warf ihn über die Schulter in Raguels Richtung. Sollte er damit doch anstellen, was er wollte. Gemeinsam mit dem Dämon und Nero ging ich zu Luzifer, der noch immer neben Leviathan stand. "Wir werden durch die Schatten reisen.", erklärte er. "So hat Ariel keine Chance, sich von ihren Fesseln zu lösen. Und sobald wir drin sind, Nathaniel, kannst du die Tore schließen. Jack schloss die Augen und klammerte sich an seine Axt. "Ich hasse Schattenreisen.", murmelte er, während Nero vor Vorfreude breit grinste. Ich hingegen blickte in die Richtung, in der Emilia war. "Es tut mir leid, Feuerlöckchen.", flüsterte ich, ehe uns die Schatten verschlangen. Ich packte meinen linken Unterarm, ließ die Kraft des Schlüssels durch mich fließen und griff nach dem Zauber, der die Grenzen zur Hölle stützte, tastete nach den Rändern der Tore und lenkte die Kraft ein wenig um. Ein gewaltiges Beben fuhr durch die Welt, eine Welle reiner Magie, die wohl die wenigsten wahrnehmen würden, doch wer sie wahrnahm, würde wissen, dass sich die Welt soeben verändert hatte. Alles hatte sich verschoben, die Tore waren verschlossen, die meisten Pfade versiegelt. Aber vielleicht war es besser so, womöglich war die Welt so am sichersten. Ich wusste nur eins mit Sicherheit, als wir inmitten eines grauen Wäldchens aus den Schatten traten. Das würde ein verdammt langes Jahr werden.
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Rogue Hero
Fantasy"Jedes Land hat so seine Legenden. In jedem Landstrich hatten die einfachen Leute vor etwas anderem Angst. So entstanden Märchen und Legenden über die verschiedensten Wesen. Vampire, Werwölfe, Elfen, Riesen, Kobolde und so weiter. Du kennst diese Ge...