Schwer atmend rannten wir durch die breiten Gänge des Labyrinths. Ohne langsamer zu werden, warf ich einen Blick nach hinten und gab drei gezielte Schüsse ab. Mit Genugtuung sah ich, wie einer der Ziegendämonen tödlich getroffen zu Boden fiel und ein weiterer sich schmerzerfüllt an den Arm griff. Allerdings schien ihn das nur wütender zu machen. Irgendwo weit hinter den Derwischen waren die Rabisu, gefallene Engel mit dem Blut der Vampire in sich. Im Grunde bedeutete das lediglich, dass sie verdammt stark, exzellente Jäger und extrem blutrünstig waren. Sie brauchten kein Blut zum Überleben, hatte Azazel erklärt, aber sie liebten den Geschmack, liebten es zu töten. Ich rammte meine Pistole zurück ins Holster und rannte weiter. "Wie weit noch?", rief ich. "Fünfhundert Meter", antwortete Joe, die gemeinsam mit Jack vorausflog und zwar überaus geschickt, wenn man bedachte, dass die Gänge nicht viel breiter waren als die Flügelspannweite der beiden. Direkt hinter ihnen war Nemira, das Schlusslicht bildeten die Cambion und ich. "Emilia, wirf mir meine Tasche zu! Ich brauche die Handgranaten." Ohne das Tempo zu drosseln, zog sie sich die Umhängetasche über den Kopf und schleuderte sie in meine Richtung. Geschickt warf ich sie mir über die Schulter, griff in die Tasche und zog einen Gegenstand hervor, der ein wenig kleiner war als meine Faust. Hundert Meter vor dem Ausgang blieb ich schlitternd stehen und drehte mich um, während ich meine Pistole wieder zog. "Geht vor!", schrie ich. "Ich verschaffe uns ein wenig Zeit." Emilia bremste ruckartig ab und riss sich die Schrotflinte von der Schulter. "Das kannst du vergessen, Hübscher. Ich überlasse dir doch nicht den ganzen Spaß." Ich verdrehte die Augen, eine Diskussion wäre zeitraubend und aussichtslos, dafür war Emilia einfach zu stur. Sie strich sich eine weiße Haarsträhne hinters Ohr, dann lud sie ihre Schrotflinte. Ich grinste und hob den Gegenstand in meiner linken Hand. "Nath, du Idiot, das ist ein Muffin!" Fuck. Die Derwische holten langsam wieder auf, also steckte ich den Muffin wieder zurück und riss schnell eine Granate aus der Tasche. Mit den Zähnen zog ich den Splint und schleuderte sie sofort mit aller Kraft. Dann hob ich meine Pistole und zielte sorgfältig. Als die Granate den Zenit ihrer Fluges überschritten hatte, flog sie geradewegs auf die Brust der vordersten Derwische zu. Diesen Moment wählte ich um abzudrücken. Der düstere Gang des Labyrinths wurde von einer grellen Explosion erleuchtet und gesegnetes Silbernitrat brannte sich in die Haut der Dämonen und brachte sie, kreischend vor Wut und Schmerz, zum Stehen. Die Granaten hatte Marcus besorgt, von einem befreundeten Ex-Marine, der inzwischen Priester war. Von der Wirkung her reichte das Zeug sogar fast an Weihwasser heran, aber das Silbernitrat ließ sich besser erhitzen und verursachte schwere Verbrennungen bei den Dämonen. Emilia trat vor, hob ihre Schrotflinte und sagte: "Jetzt bin ich dran." Sie gab drei Schüsse ab, einen in den Boden, etwa zwei Meter von sich entfernt, und zwei weitere in die Wände links und rechts. Dann hängte sie sich die Flinte wieder um und streckte die Arme aus. Sie fing an zu summen und eine grüne Aura brachte ihren Körper zum glühen. Eine Sekunde später explodierte das Gestein. Dicke Wurzeln schossen aus den Wänden und dem Boden, wuchsen in einenander und verflochten sich, bis sie eine dicke Mauer aus Holz gebildet hatten. "Dafür brauchen sie ein paar Minuten", sagte Emilia zuversichtlich. Gemeinsam drehten wir uns um und rannten Jack und Joe hinterher. "Was war das denn?", fragte ich beim Rennen. Dank meiner Ausdauer und den ständigen Gesprächen mit Leonie beim Joggen, fiel mir das Sprechen ziemlich leicht, obwohl wir bereits mindestens eine halbe Stunde durch das Labyrinth gelaufen waren. "Die hab ich zusammen mit Marcus gebastelt", keuchte Emilia, die in ihrem Korsett langsam Probleme mit dem Atmen bekam. "Kleine Kapseln in denen jeweils ein kleiner Samen steckt. Vielseitig anwendbar." Ich verkniff mir ein Lachen und rannte weiter, bis Emilia und ich schließlich den Ausgang erreicht hatten, wo die beiden Dämonen und der Höllenhund auf uns warteten. "Was sollte das denn?", fragte Nemira wütend und Jack, der sie natürlich nicht hören konnte, knurrte: "Habt ihr eine Ahnung wie riskant das war? Das ganze Labyrinth hätte einbrechen können!" "Ist doch noch mal alles gut gegangen", sagte ich gleichzeitig mit meinem Geist und meiner Stimme. "Und jetzt lasst uns abhauen. Unser Vorsprung war klein genug und ich bezweifle, dass die Wurzeln lange halten." Ich wandte mich an Nemira und legte eine Hand auf ihre Flanke. "Nemi, dürfen wir auf dir reiten? Wir müssen so schnell wie möglich weg." Die Hündin legte sich flach auf den Boden und kaum saßen Emilia und ich auf ihrem Rücken, schoss sie los, Jack und Joe hinterher. Unser nur kleiner Vorsprung war meine Schuld. Trotz aller Bemühungen hatte ich gut fünfzehn Minuten gebraucht um das blockierte Siegel zu durchbrechen und auf meine Magie zurück zu greifen. Und um die nötigen Zauber zu wirken, hatte ich weitere zehn Minuten gebraucht, sodass wir ziemlich überstürzt aufbrechen mussten. Die Zeit hatte gerade mal gereicht um uns zu verabschieden. Ich hatte Edgar kurz getätschelt, dann hatte Azazel meinen Unterarm gepackt, mir in die Augen gesehen und gesagt: "Zeig es dieser geschuppten Schlampe. Wenn du sie mit dem Longinus-Schwert besiegst, werde ich für alle Ewigkeit als der Beste der Schmiede gelten. Also, für unsere Ehre und der Zukunft unserer Welten." Danach waren wir durch einen Tunnel ins Labyrinth gelangt, Azazels persönlicher Zugang, den er benutzt hatte, wann immer er eine neue Waffe testen wollte. Und den Knochen nach zu urteilen, war der Gefallene nicht nur ein durchgeknallter Schmied, sondern auch ein verdammt guter Kämpfer. Die Gerippe von tausenden Kreaturen waren über ein Gebiet verteilt, das etwa so groß war wie zwei Fußballfelder. Dämonen verschiedenster Größen, Höllenhunde, Basilisken und Wyvern. All diese Kreaturen und vermutlich noch viele andere, die ich nicht mal kannte, waren Azazels Waffen zum Opfer gefallen. Und dann waren auch schon ein halbes Dutzend Derwische aufgetaucht und zwei Rabisu, die sich allerdings in den tiefsten Schatten zurückgezogen hatten. Ich hatte sie nur aus den Augenwinkeln gesehen, als ich einen der Derwische getötet und wir danach geflohen waren. Als Nemira langsamer wurde, schreckte ich aus meinen Gedanken. Diesmal waren wir deutlich schneller gewesen als auf dem Hinweg, was auch daran liegen könnte, dass Leviathans Killer hinter uns her waren. Rasch stiegen wir ab und Joe lächelte uns an, während Jack sagte: "Ich werde schon mal das Portal öffnen", und voraus lief in den Tunnel. "Ab hier geht ihr alleine weiter", sagte Joe. "Was?", fragte Emilia. "Kommt nicht infrage! Diese Bestien werden dich töten!" "Das werden sie nicht wagen. Ich bin Baals Tochter, vergiss das nicht. Sollten sie mich verletzten, wird mein Vater sie ausweiden und mit ihrem Blut ein Gemälde malen. Außerdem bin ich nicht alleine." Die Succubus schnippte mit den Fingern und zehn Meter vor uns brach der Boden auf und zwei riesige Dämonen mit steinerner Haut gruben sich nach oben. Gargoyles. Sie schüttelten die Erde von ihren massigen Körpern, verneigten sich kurz vor Joe und drehten sich in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Es war Zeit sich zu verabschieden. Joe sah das genauso, denn mit drei großen Schritten war sie bei mir, legte eine Hand in meinen Nacken und stellte sich auf die Zehenspitzen. Noch bevor ich reagieren konnte, lagen ihre Lippen auf meinen und ihre Zunge fand einen Weg in meinen Mund. Ich konnte nicht sagen wie lange der Kuss dauerte, vielleicht ein oder zwei Sekunden, möglicherweise aber auch eine volle Minute. Als Joe sich schließlich von mir löste, strahlte sie mich an. "Du bist wirklich so gut wie Emilia gesagt hat." Bitte was?! Emilia! Die Cambion hatte einen Gesichtsausdruck, der eine Mischung aus Wut, Überraschung und Eifersucht war. Doch bevor sie etwas sagen konnte, drehte Joe sich zu ihr, zog sie an sich und küsste sie ebenso leidenschaftlich wie mich zuvor. Ein Teil von mir war sprachlos, doch ein anderer war voll und ganz damit beschäftigt diese Szene bis ins kleinste Detail in sich aufzusaugen und abzuspeichern. Als die beiden sich voneinander trennten, war Emilias Gesicht deutlich gerötet. Und wenn ich mich nicht irrte, hatte sie den Kuss noch mehr erwidert als ich zuvor. "Verabschiedest du dich immer so?", fragte ich. "Nur von den Leuten mit denen ich auch schlafen würde", antwortete Joe mit einem schelmischen Grinsen, ehe sie sich vorbeugte und Emilia etwas ins Ohr flüsterte. Die Cambion nickte und lächelte Joe an. "Mach ich." Dann kam sie zu mir, nahm meine Hand und sagte: "Los, Sonnenschein. Wir sollten gehen." Während wir in den Gang rannten, warf ich einen letzten Blick auf Joe, die sich umdrehte, ihre High Heels auszog und sie beiseite warf. Dann streckte sie die Hand aus. Augenblicklich sammelte sich lilafarbener Rauch um sie herum und verfestigen sich zu einem Kurzbogen aus dunklem Stahl und einem Köcher voller Pfeile. Das letzte was ich von Joe sah, war wie sie einen Pfeil auf die Sehne legte und geduldig Ausschau hielt. Dann konzentrierte ich mich auf den Weg. In den letzten Wochen hatte ich nicht wirklich Zeit gehabt um darüber nachzudenken, immerhin hatte so ziemlich jedes magische Wesen auf der Welt beschlossen, dass es eine gute Idee wäre mich umzubringen, aber Emilia und ich empfanden etwas füreinander. In den letzten Wochen war mir das immer klarer geworden und vielleicht war es an der Zeit, darüber zu reden. Sobald wir wieder sicher angekommen waren und ich mir den Staub und Schweiß abgewaschen hatte, würde ich mit Emilia einen langen Spaziergang machen.
Wenige Minuten später stießen wir zu Jack, der vor einem Durchgang stand, durch den schwaches Sonnenlicht drang. "Schnell!", rief er. "Das Portal wird nicht mehr lange offen bleiben." Ohne langsamer zu werden sprangen Nemi und Emilia hindurch und kaum war Jack ihnen gefolgt, schritt ich ebenfalls durch das Portal. Lautlos schloss es sich wieder und ich klopfte Jack auf die Schulter und umarmte Emilia. "Wir haben es geschafft!", sagte ich mit einem strahlenden Grinsen. "Wir sind in der Hölle gewesen und haben es unverletzt wieder rausgeschafft!" Gut, ich war von einem überdimensionalen Schnitzelklopfer getroffen worden, aber das zählte nicht. Alles was zählte war, dass es uns gut ging. Und dass wir nun die Waffe hatten, mit der ich Leviathan aufhalten würde. "Ich weiß nicht wie es euch geht", meinte ich, "aber ich bin der Meinung, wir haben uns ein ordentliches Frühstück verdient." Jack und Emilia grinsten ebenfalls. "Was schwebt dir denn vor?", fragte Jack, der nun auch grinste. Ich überlegte kurz, dann erwiderte ich: "Ich kenne da ein unglaublich gutes Diner. Meine Mum war da oft mit mir, als wir noch in Québec gewohnt haben. Und die Pancakes dort sind die besten der Welt." Jack bereitete sich vor, uns zu teleportieren und ich ergriff Emilias Hand. Ein schönes Frühstück im ruhigen Kanada. Genau das, was ich jetzt brauchte.
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Rogue Hero
Fantasy"Jedes Land hat so seine Legenden. In jedem Landstrich hatten die einfachen Leute vor etwas anderem Angst. So entstanden Märchen und Legenden über die verschiedensten Wesen. Vampire, Werwölfe, Elfen, Riesen, Kobolde und so weiter. Du kennst diese Ge...