Beeindruckt musterte ich die gewaltigen Flügeltüren, die zum Thronsaal Baals führten. Sie bestanden aus massivem Metall, verziert mit dem Bild einer Schlacht. Engel und Dämonen die erbittert kämpften. Die Dämonen waren aus Onxy gefertigt, während die Engel kunstvoll aus Elfenbein geschnitzt worden waren. Davor standen zwei Wachen, die die Hände auf ihre Schwertgriffe legten. Sie schienen sich uns in den Weg stellen zu wollen, aber als sie Joe erkannten, öffneten sie rasch die Tür. Lautlos schwang sie auf und gab den Blick frei auf einen großen Thronsaal, hell erleuchtet von Fackeln die an den Wänden befestigt waren. Zusätzlich standen im Abstand von jeweils zehn Meter große Feuerschalen mit einem Krieger in prunkvoller Rüstung davor. Wie der Rest der Festung, bestanden auch die Wände des Thronsaals aus rotem Stein. Und als ich über Joes Schulter blickte, sah ich Baal. Er saß auf einem blutroten Thron, der scheinbar direkt aus dem Fels geschlagen war, schmucklos und doch eindrucksvoll. Baal war dafür umso beeindruckender. Aufrecht stehend wäre er höchstes drei Köpfe größer als ich, aber seine Macht war schon vor der Tür zu spüren gewesen. Der Fürst trug eine mitternachtsschwarze Rüstung, verziert mit roten Insignien die zu glühen schienen. Seine Haut hatte einen tieferen Rotton als die von Joe, wenn auch heller als Jacks, aber seine Hörner waren beeindruckend. Mattschwarz, gerillt und nach oben gebogen wie die eines Stiers. "Josephine!", sagte er erfreut. "Und dazu noch in Begleitung." Wir blieben ein gutes Stück vor dem Thron stehen, der, wie ich jetzt erst sah, etwas erhöht stand. Joe machte einen eleganten Knicks und nannte ihrem Vater unsere Namen. Jack trat direkt hinter Emilia und mich und zischte: "Kniet euch hin." Emilia folgte seiner Anweisung und sank gemeinsam mit dem Dämon auf ein Knie. Etwas in mir sträubte sich, vor Baal das Knie zu beugen, also neigte ich lediglich meinen Kopf ein wenig und Nemira folgte meinem Beispiel. Wir schienen nicht nur telepathisch verbunden zu sein, sie hatte mich wohl auch als ihren Anführer anerkannt. War das das richtige Wort? Alpha würde vielleicht noch passen, aber irgendwie klang das für mich lächerlich. Ich schob den Gedanken beiseite, denn Jack sah mich aus dem Augenwinkel an und zupfte an meinem Mantel. "Nath!", flüsterte er, aber da war es zu spät. Baal beugte sich vor, seine gepanzerten Hände packten die Armstützen seines Throns. Seine pechschwarzen Augen musterten mich eindringlich und ich bereitete mich innerlich schon auf einen hässlichen Kampf vor. Verdammt, warum hatte ich ausgerechnet den sagenumwobenen Stolz meines Vaters Erben müssen? Jeder Muskel in meinen Körper war gespannt, als Baal sich wieder zurück lehnte, den Kopf in den Nacken legte und anfing schallend zu lachen. "Oh, ich habe lange keine Ansammlung solch verschiedener Wesen gesehen. Meine Tochter, ein Paktdämon, ein Höllenhund und… eine Cambion?" Emilia sah den Fürsten überrascht an. "Ja, ich weiß was du bist", sagte Baal. "Aber keine Sorge, ich bin deutlich toleranter als einige meiner Artgenossen. Für mich zählt nur die Stärke. Und dann haben wir da noch… den Wirt von Aurus, der goldene Flammenkaiser und Träger der ewigen Flamme." Der Fürst trommelte mit den Fingern auf die Armlehne und legte den Kopf schief. "Kleiner Wirt, du hast eine… faszinierende Aura. Aber ich kann mich genauso gut täuschen, immerhin war der letzte Wirt in der Hölle, die aktuelle Wirtin von Fenrir, die sich stets auf dem Gebiet von Leviathan aufgehalten hat." Also war es die richtige Entscheidung gewesen Leonie bei den anderen zu lassen. Joe trat vor und sagte: "Vater, wir brauchen deine Hilfe. Meine Freunde sind auf der Suche nach Azazels Werkstatt." Diese Worte reichten aus um Baals Aufmerksamkeit wieder auf Joe zu lenken. Er sah uns durchdringend an, dann klatschte er zweimal in die Hände. Die Krieger verneigten sich kurz, dann verließen sie im Stechschritt den Thronsaal. Kaum hatten sie die Tür hinter sich geschlossen, klatschte Baal erneut. Die kleine Empore, auf der der Thron stand, fuhr nach unten, gleichzeitig hoben sich Steine aus dem Boden, drehten und verschoben sich, bis ein langer Tisch samt Stühlen entstanden war, mit Baals Thron am Kopfende. "Setzt euch", sagte der Fürst. "Geschäftliches sollte man nicht auf leeren Magen besprechen." Wir nahmen Platz, wobei Joe sich auf den Ehrenplatz an Baals rechter Seite setzte. Ich ließ mich auf den Platz ihm gegenüber sinken, Emilia und Jack links und rechts von mir. Nemira rollte sich neben einer der Feuerschalen zusammen und beobachtete uns aus halb geöffneten Augen. "Sei vorsichtig", sagte Nemira. "Baal ist nach Leviathan der mächtigste Höllenfürst, seine Macht alleine würde reichen um die Erde zu vernichten. Alles was für ihn zählt ist Stärke." "Winston!", rief Baal laut und sowohl Emilia als auch ich sahen uns verwirrt um, bis wir einen hageren Dämon erblickten, der aus einer dunklen Ecke des Saales trat. Er war fast drei Meter groß und hatte sechs Arme, wobei die jeweils mittleren nochmal am Ellenbogen gespalten war, so dass er insgesamt acht Hände hatte. "Ja, Sir?", fragte er mit mit einem leichten, britischen Akzent und einer unterwürfigen Stimme. "Was darf ich euch bringen?" Der Dämon hatte schwarze, brüchige Haut, die an Stein erinnerte, drei Augen und schwarze Stacheln am ganzen Körper. Zudem trug er eine geblümte Kochschürze. Er war definitiv kein Diener, seine ganze Körperhaltung strahlte Kraft und Eleganz aus, als sei er ein ausgebildeter Krieger. "Fünf Tassen Tee", erwiderte Baal, ohne Winston anzusehen. "Und bring uns noch ein Dutzend deiner… wie nennst du sie? Blaubeer-Muffins?" "Sehr wohl, Sir." Winston verneigte sich tief, dann verschwand er durch eine Seitentür. Die nun eintretende Stille war unangenehm, aber niemand von uns wagte sie zu stören. Baal saß nur da, musterte mich aus seinen schwarzen Augen und schien immer noch zu versuchen mich einzuschätzen. Ich würde Jasmin nochmal danken müssen, sollten wir es heil aus der Hölle schaffen. Nach etwa zehn Minuten kehrte Winston schließlich zurück, ein großes Tablett in Händen, mit fünf Tassen und zwei großen Tellern darauf, die er vor uns abstellte. Anschließend stellte er sich mit dem Rücken zur Wand, wobei er seine untersten Hände hinter dem Rücken verschränkte. Und auch jetzt war seine Haltung kerzengerade, sein Blick hellwach und sein Gesichtsausdruck ein wenig gequält, wie ich feststellte, während ich ein großes Stück von einem der Muffins abbiss. Baal bemerkte sofort, dass ich seinen Diener musterte. "Du scheinst ja sehr an Winston interessiert zu sein", stellte er fest. "Ein gewisses Maß an Neugierde hat noch nie geschadet", erwiderte ich mit halbvollem Mund. "Winston scheint seine Tätigkeit nicht sonderlich zu mögen, er sieht aus wie ein Krieger, auch wenn seine Backkünste außergewöhnlich sind. Der britische Akzent ist gespielt, seine ganze Körpersprache zeugt von Unwohlsein. Also war er nicht immer Euer Diener. Er hat an allen Händen Schwielen, wie sie nur Schwertkämpfer haben. Also vermute ich, dass seine Anstellung als Diener mehr Strafe als Anstellung ist." Baal sah erst mich an, dann Winston und schließlich Joe. "Da hast du ja mal ein schlaues Menschlein angeschleppt", sagte er mit einem leichten Grinsen, das so gar nicht zu einem Fürst der Hölle passte. "Winston?", richtete er das Wort an seinen Diener. "Wie lange dienst du mir schon?" "Seit 2.000 Jahren, Sir", antwortete dieser mit düsterer Stimme. "Dann musst du nur noch 8.000 Jahre abarbeiten. Und sag mir, bist du zufrieden?" "Ich hasse mein Leben", sagte Winston melancholisch. Baal lächelte zufrieden. "Er hat damals mein Lieblingshaustier getötet, einen dreiköpfigen Drachen, weil er ihn für ein wildes Tier hielt. Aber da er es aus Dummheit getan hat, darf er für mich arbeiten, statt seinen Kopf zu verlieren." Er trank einen Schluck Tee und griff nach einem Muffin. "Nun denn, Nathaniel, Wirt von Aurus, ihr seid also auf der Suche nach Azazel. Wieso?" Fuck. Die Wahrheit konnte ich ihm kaum sagen, alleine dass alle Teile der Heiligen Lanze sich in diesem Raum befanden, war mehr als riskant. In den falschen Händen könnte die Waffe zum Werkzeug für Chaos und Zerstörung werden. Ich überlegte fiebrig, dann dachte ich an den Kampf gegen die Spinnen. "Es geht um meine Seelenwaffe", sagte ich möglichst ruhig. "Vor einigen Wochen wurde ich von jemandem angegriffen, der ein Schwert namens Kusanagi trug, ein Schwert, in das ein Wirt von Ziz einen Teil seiner Macht eingeschmiedet hat. Und irgendwie ist es mir gelungen, diese göttliche Kraft mit meiner Seelenwaffe zu verschmelzen. Ich hatte gehofft, dass Azazel mir helfen könnte, diese Kräfte besser zu nutzen. Immerhin kennt sich mit Waffen niemand besser aus als er." Ich schwieg wieder, wartete auf eine Reaktion des Fürsten, dessen Gesicht während meinen Worten immer nachdenklicher geworden war. Mit gerunzelter Stirn trank er seinen Tee. "Du sagst also, dass du über die Macht von zwei Göttern verfügst?", fragte er schließlich. Als ich nickte, lachte er leise. "Also gebietest du nicht nur dem Feuer, sondern auch dem Wind. Ich würde das zu gerne mal erleben. Träger der ewigen Flamme, ich glaube wir kommen ins Geschäft. In meinem Kerker sitzt einer meiner Offiziere, der vorhatte zu Leviathan überzulaufen. Beweise dich in einem Kampf auf Leben und Tod, dann werde ich dir den Weg zu Azazels Werkstatt weisen."
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Rogue Hero
Fantasy"Jedes Land hat so seine Legenden. In jedem Landstrich hatten die einfachen Leute vor etwas anderem Angst. So entstanden Märchen und Legenden über die verschiedensten Wesen. Vampire, Werwölfe, Elfen, Riesen, Kobolde und so weiter. Du kennst diese Ge...