Rogue Hero #95
Ich stürzte auf Kendra zu und schaffte es gerade noch rechtzeitig sie zu fangen. Was sie getan hatte ich war mutig gewesen. Dumm, aber mutig. Aus ihr wäre eine gute Jägerin geworden. Aber mit einer Wyvern war nicht zu spaßen, ich konnte geradezu sehen, wie das Gift durch den Körper der jungen Frau gepumpt wurde. Ich versuchte die Schatten zu rufen, aber diesmal gehorchten sie mir nicht. Also musste ich sie selbst heilen. Ich legte Kendra vorsichtig auf den Boden, kniete mich neben sie und schob ihr Kleid an der linken Schulter ein wenig beiseite, wobei ein kleines Schmetterlingstattoo unter dem Schlüsselbein zum Vorschein kam. Und direkt daneben war ein tiefer, hässlicher Kratzer. Ich legte meine linke Hand auf die Wunde, während ich mit der Rechten Kendras Schläfe berührte. Zwei Heilzauber kamen mir in den Sinn. Der, den Emilia in Frankreich benutzt hatte und der von Luzifer, als er Emilia geheilt hatte. Ich hätte es nicht erklären können, aber tief in mir wusste ich genau, wie sie funktionierten. Während ich in den Strom der Magie eintauchte, verwob ich die beiden Zauber miteinander. Eine glühende Aura umgab meine Hände, eine faszinierende Mischung aus hellgrün und dunkelrot, und drang in ihren Körper ein. Ein Zittern lief durch Kendras Körper, ich konnte dabei zusehen, wie erst das Gift aus der Wunde sickerte und dann das Fleisch wieder zusammenwuchs. Diesmal erschöpfte mich der Zauber, als hätte ich meine Lebenskraft auf Kendra übertragen. Fliegen konnte ich so nicht. Aber Kendra würde mich ohnehin umbringen, wenn ich ihren geliebten Impala mitten in der Wüste zurücklassen würde. Ich zündete mir eine Zigarette an und blieb noch ein wenig neben ihr sitzen, bis ich wieder soweit bei Kräften war um sie zum Auto zu tragen und auf die Rückbank zu legen. Ich startete den Wagen und fuhr los, wobei ich ein letztes Mal den Kadaver der Wyvern betrachtete, der bereits begann sich zu zersetzen. Wyvern waren alles andere als eine stabile Lebensform. Aber was sollte ich mit Kendra machen? Sie mitnehmen und zu einer Jägerin ausbilden? Nein. Ich hatte schon zu viele Leute in meinen Rachefeldzug mit reingezogen. Aber sie mitzunehmen war auch keine Option. Sie hatte zu viel gesehen und würde nachforschen. Den falschen Leuten Fragen stellen. Ich überlegte so lange wie man brauchte um zwei Kippen zu rauchen, dann griff ich ins Handschuhfach, wo Kendras Handy lag. Nach kurzem Überlegen tippte ich schließlich eine Nummer ein. Es klingelte einige Male, bis jemand abhob. "Ja?", erklang Camaels müde Stimme. "Wer ist da?" "Ich bins, Nath. Ich bin mitten in Nevada, habe eben gegen eine Wyvern gekämpft, kann nicht durch die Schatten reisen und brauche deine Hilfe." Der ehemalige Engel lachte. "Wie kann sich nur jemand so oft in die Scheiße reiten, wie du? Na gut, worum geht es?" Rasch erklärte ich ihm meine Situation und erzählte ihm von meiner Idee. Camael schwieg erstmal. "Was du vorhast ist ein sehr komplexer Zauber. Falsch durchgeführt kann er fatale Folgen haben. Aber es gibt eine Möglichkeit." Knapp erläuterte er mir, wie mein Plan funktionieren würde. "Danke", sagte ich. "Die Komplexität der Magie ist noch neu für mich. Bislang musste ich mich nie anstrengen um Zauber zu wirken." "Natürlich nicht.", lachte Camael. "Du bist ein Nephilim. aber was du vorhast ist nicht unkompliziert. Pass einfach auf." Wir hielten beide nicht viel von Abschieden, also bedankte ich mich einfach nochmal und legte auf. Ich atmete tief ein und drückte aufs Gaspedal. Es waren noch knapp zwei Stunden bis Vegas und ich wollte unbedingt ein Hotel finden. Meine Nerven waren immer noch angespannt vom Kampf gegen die Wyvern und meine Sinne waren aufs Äußerste geschärft. Bilder zogen an meinem inneren Auge vorüber. Bilder von einem jungen Mädchen, vielleicht elf Jahre alt, das sich hinter einem Müllcontainer versteckte, während Steine über ihren Kopf hinweg flogen. Im Hintergrund war eine Gruppe von Kindern zu sehen, die lachten und johlten. Ich spürte den Schmerz des Mädchens, ihre Wut, den Hass und die Erniedriegung die in ihr aufstieg. Im nächsten Moment realisierte ich, dass es Erinnerungen waren. Kendras Erinnerungen. Sofort schottete ich meinen Geist ab und zog mich zurück. Ich fühlte mich mies, hatte ein schlechtes Gewissen, als hätte ich ihr beim Duschen nachspioniert. Das war ihre Vergangenheit, es ging mich einfach nichts an. Unwillkürlich dachte ich darüber nach, ob es vielleicht ihr ganzes Leben lang so gewesen war. Dass man ihr wehgetan und sie erniedrigt hatte. Ihr Schmerz war schon groß genug, ich durfte sie auf keinen Fall in einen Kampf mit Engeln und Dämonen mit reinziehen. Meine Hände zitterten leicht, während ich mir eine Kippe anzündete. Hatte mein Wunsch nach Rache meinen Blick verschleiert? Vielleicht ging es schon die ganze Zeit darum. Vielleicht war das ja mein wahrer Beweggrund. Die Unschuldigen zu beschützen. Oder war ich wirklich so versessen aufs Kämpfen?
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Rogue Hero
Fantasy"Jedes Land hat so seine Legenden. In jedem Landstrich hatten die einfachen Leute vor etwas anderem Angst. So entstanden Märchen und Legenden über die verschiedensten Wesen. Vampire, Werwölfe, Elfen, Riesen, Kobolde und so weiter. Du kennst diese Ge...