#183

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Meine Flügel schnitten durch die Nachtluft wie ein dunkles Messer, ein paar Flügelschläge reichten und ich befand mich dutzende Meter in der Luft. Schatten waberten um mich herum wie Rauch, als ich auf Leviathan zusteuerte, deren Gesicht vor Wahnsinn und Hass verzerrt war. Eisspeere, die die Dämonin auf mich abfeuerte, wehrte ich mit kurzen Feuerstößen ab, oder ließ sie einfach an meiner Rüstung abprallen. Ich stieß einen wortlosen Schrei aus, legte meine Flügel an und flog auf Leviathan zu. Mit geschickten Drehungen wich ich Speeren und Peitschen aus, während ich schwarzes Feuer auf Leviathan regnen ließ. Ich schoss dicht an der Kreatur aus Wasser vorbei, fing mich kurz vor der Wasseroberfläche ab und steuerte auf die Brust der Kreatur zu. Mit aller Kraft stieß ich meinen Speer ins Wasser, doch wenige Zentimeter von Leviathans Hals entfernt, gefror der Bereich um meine Waffe herum. Ich spürte den Gegenangriff der Dämonin mehr, als dass ich ihn sah und packte meinen Speer fester, bevor mich ein Wassertentakel erwischte. Gerade noch rechtzeitig gelang es mir meinen Sturz abzufangen, das Wasser unter mir so weit gefrieren zu lassen, dass ich für einen Moment landen konnte, ehe ich mich wieder in die Luft schwang und dünnen Peitschen auswich, die auf meine Beine und Flügel zielten. Auf keinen Fall durfte ich zulassen, dass Leviathan mich unter Wasser zog, das war ihr Element, ein sicherer Tod für jeden Gegner. Schneller als erwartet bewegte sich der Wassertitan auf mich zu, versuchte mich zu packen und verschoss einen Eisspeer nach dem anderen. Die Attacken waren fließend, blitzschnell und präzise, das war die Macht eines Generals der Hölle und einer göttlichen Bestie. Ich schleuderte weitere Feuerbälle nach Leviathan, ließ Ketten auf sie zuschießen, doch keiner meiner Angriffe hatte Erfolg, jedes Mal ließ Leviathan die Oberfläche des Titanen gefrieren und meine Angriffe abprallen. Dieser Kampf erwies sich als langwieriger als erwartet und ich hatte keine Ahnung, wie lange ich dieses Tempo beibehalten konnte. Leviathan war älter, erfahrener und gerissener, sie musste einfach nur Geduld haben, bis mir Ideen und Kraft ausgingen und so lange im Inneren des Titanen ausharren. In diesem Moment sah ich Nero, am Ufer des Sees, einige hundert Meter von mir entfernt. In seinem Maul hielt er einen Rucksack und selbst auf diese Entfernung erkannte ich die schrillen Sticker, mit denen ihn Jack wohl verziert hatte. Die restlichen Granaten. Mit einem Stoß meines Speeres erschuf ich einen kleinen Tornado, der Leviathan ablenken sollte, dann flog ich zu Nero. Kaum war ich gelandet, rammte ich meine Waffe in den Boden, ging auf ein Knie und zog den Granatwerfer von meinem Rücken. Nero ließ den Rucksack fallen und öffnete ihn. Darin lagen drei Granaten, weniger als gehofft. "Das wird reichen müssen.", sagte der Kater mit aufgestellten Nackenhaaren und starrte auf Leviathan, die soeben einen Wasserstrudel erschuf, der meinen Tornado einfach in sich aufsog. "Das wird es.", erwiderte ich, schob die Granaten in die Munitionsttrommel und schwang mir die Waffe wieder auf den Rücken. "Ich weiß nicht genau was passieren wird.", sagte ich und zog meinen Speer aus dem Boden. "Du solltest zurück zu Raguel und Jack, das Schwert wird euch beschützen." Nero nickte stumm, dann rannte er los. Der Titan hatte sich in der Zwischenzeit zu mir umgedreht und ließ eine Welle auf mich zurasen. Mit einem Windstoß katapultierte ich mich in die Luft, breitete meine Flügel aus und begann die Dämonin zu umkreisen. Speere und Peitschen verfehlten mich stets um wenige Zentimter, doch ich konnte ebenso wenig ausrichten, jeder Stich, jeder Feuerball und jede Luftklinge prallten an dem Titanen ab. Mit einer Rolle wich ich einer Fontäne aus, doch dieses Manöver ließ mich für einen Moment unachtsam werden. Aus der Brust des Titanen spross ein Hand aus Wasser und versuchte mich zu packen. In letzter Sekunde hob ich meine freie Hand, ließ das Wasser gefrieren und zerschlug die Finger mit einem Hieb meines Speers. Und dann erwischte mich der Tentakel. Ich spürte wie meine Flügel brachen und spitze Knochensplitzer sich durch mein Fleisch bohrten, als sie das Wasser um mich schlang und sich wie eine Python immer fester zusammen zog. Ich konnte einen Schmerzensschrei nicht unterdrücken, mit aller Kraft versuchte ich mich zu wehren, doch der Tentakel schlang sich immer fester um mich. Ein Knacken und Knirschen erklang und lange, schmale Risse zogen sich über meine Rüstung, die drohte zu zerbrechen. Ich versuchte mich zu konzentrieren, versuchte meinen Geist zu leeren und die aufkeimende Angst zu ersticken, während das Wasser immer höher wanderte und drohte mich zu ertränken. Dann, mit einem wütenden Schrei, ließ ich den Tentakel gefrieren, spannte meine Muskeln an und sprengte meine eisigen Fesseln. Drei gewaltige Luftklingen zerfetzten die anderen Tentakel und zwangen Leviathan dazu, den Titan ein gutes Stück zurück zu ziehen. Trotz meiner gebrochenen Flügel schaffte ich es irgendwie, an Land zu fliegen und eine heftige Bruchlandung zu vermeiden. Ich hustete kurz, wobei mir ein kleiner Schwall Blut über die Lippen kam. Mit dem Handrücken wischte ich mir das Blut vom Mund, ging auf ein Knie und ließ meinen Speer fallen. Die Risse in meiner Rüstung waren tiefer als gedacht, kurzerhand verschloss ich sie mit Schatten und bereitete mich vor, bündelte meinen Geist und ließ Magie in die erste Granaten fließen. Mein Plan war riskant, geradezu verrückt, aber meine einzige Chance Leviathan aus ihrer Wasserrüstung zu kriegen. Und mein Timing musste perfekt sein. Luft strömte auf mich zu, ich sammelte sie hinter mir, verdichtete sie immer weiter, während ich den Granatwerfer hob und zielte. Ich wartete ab, ließ Leviathan die Tentakel regenerieren und auf mich zustapfen, beobachtete die Bewegungen der drei Arme und der Tentakel, bis ich freies Schussfeld hatte. Als die erste Granate explodierte, sprang ich vor und entfesselte die Winde hinter mir. Wie ein Geschoss flog ich auf Leviathan zu, nutzte meine Flügel lediglich um mich zu stabilisieren und konzentrierte mich auf den Titanen. Die erste Explosion hatte ich in einen Eiszauber umgewandelt, der den Arm auf der Brust, die Tentakel und einen Großteil des Oberkörpers eingefroren hatte. Unter anderen Umständen hätte Leviathan das Eis wohl benutzt, um mich erneut anzugreifen, doch einen solchen Angriff hatte sie nicht erwartet. Die zweite Granante zerfetzte den Arm auf der Brust und kurz bevor Nummer drei explodierte, hob ich einen Arm, um mein Gesicht abzuschirmen. Der Rauch der Explosion hatte sich noch nicht mal verzogen, da flog ich schon mitten hindurch, spürte Eissplitter, die nicht mal einen Kratzer auf meiner Rüstung hinterließen und prallte mit Leviathan zusammen. Ich packte sie so fest ich konnte und schlug mit meinen Flügeln, ignorierte den stechenden Schmerz und brachte uns fast fünfzig Meter nach oben. Leviathan zischte wütend und ein schlanker Dolch aus Eis erschien in ihrer Hand. Doch bevor sie zustechen konnte, schleuderte ich die Dämonin mit aller Kraft zu Boden. Einen Moment lang blieb ich noch in der Luft, trotz der damit verbundenen Schmerzen durch die Knochensplitter, die sich in das Fleisch meiner Flügel bohrten und Leviathan, die sich langsam wieder regte und versuchte von mir weg zu kriechen. Ich wandte den Kopf ein wenig und blickte in Richtung des Golfplatzes, dort wo Emilia an der Kuppel stand und versuchte etwas zu erkennen. Ich wusste, dass sie mich sah, wusste, dass sie meinen Namen schrie und auf die Kuppel einschlug. Es war zwecklos, nur jemand mit der Macht eines Engels und dem Rubin konnte die Kuppel manipulieren. "Es tut mir leid, Feuerlöcken.", flüsterte ich und schloss die Augen. Mein Speer lag noch am anderen Ufer, doch fürs erste würde ich ihn nicht brauchen. Ein schwaches, grausames Grinsen zog sich über meine Lippen, als ich meine Flügel anlegte und gen Boden fiel. Es war an der Zeit, Leviathan zur Hölle zu schicken.
Ich war nur noch wenige Meter vom Erdboden entfernt, als Leviathan sich schwerfällig erhob und breitete im letzten Moment meine Flügel aus, zog ein wenig hoch und rammte der Generalin mein gepanzertes Knie gegen die Brust. Leviathan flog einige Meter nach hinten, ehe sie wieder aufprallte und über das Kopfsteinplaster rutschte. Ich machte zwei schnelle Schritte, dann sprang ich vor, wobei ich einen Blitz schleuderte. Irgendwie gelang es Leviathan auszuweichen, aufzuspringen und ihre Wunden mit Eis zu überziehen. Ich landete hart, ging auf ein Knie und streckte die Arme aus. Dunkle Ketten wanden sich um meine Arme, schossen auf zwei große Felsbrocken zu und bohrten sich ins Gestein. Ich machte einen Schritt nach vorne, riss meine Arme nach vorne und ließ die Felsen auf Leviathan zuschnellen. Jede andere Kreatur hätte dieser Angriff in einen matschigen Haufen aus Fleisch und Knochen verwandelt, doch Leviathan war stärker und schneller. Blitzschnell sprang sie auf mich zu, entging knapp den Felsen, die, den Symplegaden gleich, nur wenige Zentimeter hinter ihr zusammen schlugen. Ich sah das Funkeln in der Hand der Dämonin, löste die Ketten und hob den Arm rechtzeitig, um die drei Eisnadeln abzuwehren. Leviathan landete direkt vor mir, ein Schwert aus Eis in der einen, ihre beinerne Klinge in der anderen Hand und stach mit beiden gleichzeitig zu. Mit einer eleganten Pirouette wich ich aus, sprang zurück und rief mir Taios Magie ins Gedächtnis. Ein Felsblock schoss aus dem Boden, als ich auf den Boden stampfte und katapultierte Leviathan in die Höhe. Und ehe die Dämonin darauf reagieren konnte, erwischte sie mein Windstoß und schleuderte sie weit in Richtung Schloss, bis zu der Stelle, wo vorhin noch das Tor gewesen war. Mit einem gewaltigen Satz sprang ich zum Longinus-Schwert, unter dessen Kuppel Jack, Nero und Raguel kauerten. "Raguel", sagte ich und packte das Heft des Schwertes. "Hier wird es gleich verdammt ungemütlich, bring Jack und Nero auf die andere Seite des Sees, bis ich Leviathan bezwungen habe. Und danach müssen wir nochmal reden." Mit einem Ruck zog ich das Schwert aus dem Boden, gleichzeitig verschwand der Schutzschild. "Geht.", knurrte ich, und kaum waren die drei in einem Lichtblitz verschwunden, setzte ich mich in Bewegung. Ich verfiel in einen leichten Dauerlauf, während ich Feuerbälle, Blitze und Luftklingen abfeuerte, die Leviathan zum Großteil abwehren konnte. "Du kannst mich nicht besiegen!", schrie die Dämonin und stürzte auf mich zu, ihr Schwert auf meine Kehle gerichtet. "Ich bin die ewige Schlange, die Herrin des Westens! Selbst ein Spross Luzifers ist mir nicht gewachsen!" Ich machte einen halben Schritt zur Seite, ließ das Schwert an meiner Klinge abgleiten und fegte die Dämonin mit einem Windstoß von den Beinen. Sie wollte sich aufrappeln, da setzte ich meinen Fuß zwischen ihre Schulterblätter, drückte sie zurück auf den Boden und packte mit der linken Hand ihren Flügel. Ein kurzer Hieb, in dem die Klinge einen perfekten Halbkreis beschrieb, und auch Leviathans anderer Flügel war abgetrennt. Die Dämonin kreischte vor Schmerz, als ich die Schwertspitze an ihrem Nacken ansetze, bereit ihrem Leben ein Ende zu bereiten. "Nathaniel", erklang Aurus Stimme in meinem Kopf und ließ mich innehalten. "Leviathan hat Recht. Du kannst sie nicht töten, niemand kann das. Als Ariel die Göttin der See an sich gebunden hat, hat sie einen Fluch auf sich gelanden. Wahre Unsterblichkeit. Selbst eine Waffe, geschmiedet aus den Bruchstücken der Longinus-Lanze, hat dazu nicht die Macht." Ich zog die Klinge zurück, packte den Stumpf von Leviathans Flügel und schleuderte sie gegen die Bühne vor dem Märchenschloss. "Dann werde ich eben einen anderen Weg finden!", knurrte ich und ließ meine Rüstung verschwinden. Ich würde all meine Kraft brauchen und es kostete mich genug Energie, meine Rüstung am Zerbröckeln zu hindern. Leviathan versuchte aufzustehen und ich sah, wie Wasser aus einem Brunnen auf sie zufloss. Ich schlug kurz mit meinen Flügeln, während ich sprang und das Longinus-Schwert mit beiden Händen packte. Ein wortloser Schrei drang aus meiner Kehle, als ich die Waffe mit aller Kraft schwang und das erste Mal sah ich Wahre, verzweifelte Angst in Leviathans Augen. Im letzten Moment gelang es ihr, sich auf ein Knie zu hieven und ihr Schwert zur Abwehr zu heben, dann prallten unsere Klingen aufeinander und die Nacht wurde erhellt von der aufeinandertreffenden Magie.

Rogue HeroWo Geschichten leben. Entdecke jetzt