#167

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Mit einem Ruck zog ich die Plane vom Camaro und streichelte über den mattschwarzen Lack. "Tut mir leid, Kleines.", flüsterte ich. "Aber ich konnte nicht früher zurück kommen." "Nath?", fragte Emilia. "Sprichst du ernsthaft mit dem Auto?" "Es ist eine sie.", erwiderte ich. "Und wenn du gemein zu ihr bist, wirst du die gesamte Zeit auf der Rückbank sitzen und Nero darf vorne sitzen und die Musik aussuchen." Emilia lachte leise und ging vor die Garage, die Schrotflinte schussbereit. Während ich den Kofferraum öffnete und einen schlanken Waffensack herausnahm, hörte ich das Geräusch von zwei Motoren. Mit dem Sack auf der Schulter ging ich raus zu Emilia und stieß einen leisen Pfiff aus. Aus dem Schatten neben der Garage trabte Nemira, die sich dort versteckte, gemeinsam mit Jack und Nero. Ein Motorrad fuhr auf den dem Meer zugewandten Platz, dicht gefolgt von einem Lastwagen, an dessen Steuer Marcus saß. Die beiden Fahrzeuge hielten und kaum stand das Motorrad, zog Leonie den Helm vom Kopf und stieg ab. "Das dürfte ein neuer Rekord sein.", sagte sie mit einem zufriedenen Lächeln. "Im Autos klauen?", fragte Emilia lachend. Marcus stieg gemeinsam mit Kiara aus dem Lastwagen und ging zum Heck des Fahrzeugs, auf dessen Seite gerade noch die Umrisse eines von Schmutz und Staub bedeckten Firmenlogos auszumachen waren. "Ihr habt ja keine Ahnung, wie leicht es ist ein Auto zu klauen, wenn man sich in Rauch verwandeln kann.", erklärte der Typhokinetiker, während er die Heckklappe des LKW's öffnete. Zum Vorschein kamen gut zwanzig Matratzen und einige Decken und Kissen, die teilweise noch in Plastikfolie eingeschweißt waren. "Reicht das?", fragte der Magier, während Kiara in den Innenraum kletterte und anfing die Plastikfolie mit ihren Messer zu entfernen. Ich nickte zustimmend und rief: "Hey, Nemi. Wir haben was um dich zu transportieren. Komm rüber." Die Höllenhündin trabte zu uns, schnupperte neugierig am Lastwagen und als Kiara aufgesprungen war, machte Nemira einen Satz und rollte sich auf den Matratzen und Decken zusammen. Sie blinzelte mich nochmal dankbar an, dann legte sie den Kopf auf ein Dutzend Kissen und schloss die Augen. "Es ist auch nur bis Orlando.", sagte ich. "Und vor der Schlacht besorgen wir dir noch mal was zu Essen, eine Kuh oder so." Ich schloss den LKW und wandte mich zu meinen Freunden um. "Emilia, du fährst mit Nero und mir im Camaro. Marcus, du fährst den LKW, mit dir fahren Jack und Kiara, achtet darauf immer hinter uns zu bleiben, später bleibt ihr in der Mitte. Leonie, du bildest das Schlusslicht, auch wenn die anderen zu uns stoßen. Sollte es Komplikationen geben, kommst du zu Emilia und mir nach vorne." Ich öffnete den Waffensack und reichte Kiara eine Pistole. "Walther PPQ.", erklärte ich. "Marcus wird dir zeigen, wie du sie benutzt. Leonie gab ich eine MP5 mit verlängertem Magazin und sagte: "Ein Rapier ist unpraktisch wenn man Motorrad fährt. Und du errinerst dich bestimmt, wie wir an der Akademie geübt haben von Fahrzeugen aus zu schießen. Falls wir in einen Hinterhalt geraten, sollten wir nicht stehen bleiben." Ich reiche sowohl Kiara als auch Leonie ein paar Ersatzmagazine, die wir damals noch von Elijah bekommen hatten, dann zog ich die letzte Waffe aus dem Sack und wandte mich Marcus zu. "Ich glaube das hier wird dir gefallen.", grinste ich und zog den Reißverschluss des Waffensacks vollends auf. Der Magier streckte die Hände aus, nahm die Waffe an sich und untersuchte sie gründlich. "Barett M82.", murmelte er verzückt. "Kaliber 50., bis zu vierundzwanzigfache Vergrößerung. Reichweite von fast drei Kilometer. Mit so einem Baby wurde der Rekord für einen tödlichen Schuss über die weiteste Entfernung aufgestellt." "Was genau ich dafür geplant habe, erkläre ich dir am besten vor Ort." Marcus strahlte, packte die Waffe wieder ein und schulterte den Sack. "Wir sollten los.", rief Emilia uns zu und öffnete die Beifahrertür. Ich hielt noch einen Moment inne und reichte Leonie und Marcus je ein Headset. "Damit bleiben wir in Verbindung.", erklärte ich. "Sollten wir angegriffen werden, müssen wir uns genau absprechen." Dann drehte ich mich um und ging zum Wagen. Als ich einstieg, hatte Nero sich bereits auf der Rückbank zusammengerollt und Emilia saß auf dem Beifahrersitz und kramte im Handschuhfach zwischen den CD's rum. Ich warf meine Umhängetasche nach hinten in den Fußraum zu Emilias Schrotflinte und klappte die Sonnenblende runter, in der ich den Autoschlüssel versteckt hatte. Mir gelang es sogar auf Anhieb den Wagen zu starten und elegant fuhr ich den Wagen aus der Garage und fuhr in Richtung Highway, dicht gefolgt von Marcus und Leonie. Die Sonne ging bereits unter, nur noch ein paar Sonnenstrahlen kämpften gegen die einbrechende Nacht. Als wir auf den Highway einbogen, war Emilia endlich fündig geworden. Grinsend schob sie eine CD ins Laufwerk, drehte die Anlage auf und sang mit. "Just a small town girl. Livin' in a lonely world." Ich lachte und stimmte gemeinsam mit Nero ein. "She took the midnight train goin' anywhere." Emilia kicherte, schloss die Augen und lehnte sich zurück. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich sie, betrachtete ich langen, flammend roten Haare, ihre feinen Gesichtszüge und die Stubsnase. All das versuchte ich mir genau einzuprägen, jede Linie ihres hübschen Gesichts. Noch zwei Tage, dann mussten wir in Orlando sein.
Dreißig Minuten später hielten wir in der Nähe der La Ermita del Rosario, einer der ersten katholischen Kirchen in Amerika. Irgendwie ironisch, dass Perry ausgerechnet diesen Treffpunkt gewählt hätte, aber der angrenzende Wald war perfekt um sich zu verstecken. Kaum hielten wir auf dem kleinen Parkplatz, fiel mein Blick auf einige Armeebusse und Jeeps, neben denen Männer und Frauen standen. Ich stieg aus und ging auf Perry zu, der ganz vorne stand und sich auf seinen Krähenschnabel stützte. "Hast es ja tatschächlich rechtzeitig geschafft.", begrüßte mich der kleinwüchsige Magier. "Hast du meine SMS bekommen?", fragte ich ohne Umschweife. "Ich habe dir die Route zugeschickt." Perry nickte. "Ja. Nicht übel, eine Reise für über fünfzig Personen zu planen ist nicht besonders leicht. Ihr habt ja allerhand nützliches Zeug an der Akademie gelernt." Ich packte und kramte meine Zigaretten aus einer meiner Manteltaschen. "Das habe ich schon vor der Akademie gelernt. Hab mich mal an der Planung einer Klassenfahrt beteiligt.", meinte ich grinsend und ließ mein Zippo aufschnappen. Ich atmete den Rauch tief ein und genoss das beruhigende Gefühl, während ich weiter sprach. "Bis zum nächten Halt sind es fast tausend Kilometer. Wir müssen uns ranhalten, wenn wir es heute noch über die amerikanische Grenze schaffen wollen, deshalb sind nur zwei Pausen eingeplant. Ich hoffe ihr habt genug Proviant dabei und dass eure Vampire sich vorerst satt getrunken haben. Das nächste Mal können sie sich nämlich erst in Houston nähren." Perry deutete auf einen der Busse und sagte: "Die Vampire sind satt und glücklich. Und die Magier, die nicht mitgekommen sind, haben ein wenig Blut gespendet, dass wir in Gefrierbeuteln im Kühlschrank aufbewahren. Laut den Blutsaugern schmeckt kaltes Blut zwar, als hätte dir jemand ins Bier gepisst und eine tote Ratte reingeworfen, aber sie sind alle bereit ein paar Stunden durchzuhalten. Die Busse sind verdunkelt, allerdings musst du doch um die Beamten an der Grenze kümmern. Und in Houston trinken die Vampire wieder warmes Blut. Wir haben bereits eine Vampirfamilie kontaktiert, deren Angestellte Bescheid wissen und für einen ansehnlichen Bonus bereit sind, ihre Meister ein wenig nuckeln zu lassen." Ich zog eine Augenbraue hoch und Perry ergänzte: "Ganz ruhig, Kleiner. Soweit ich weiß, hat sogar die Organsiation das ganze abgesegnet, zumindest als es sie noch gab. So kriegen die Vampire ihr Blut und niemand in Houston wird von ihnen gerissen. Sollte es doch passieren, eliminiert die Familie den Schuldigen höchstpersönlich." "Na dann.", erwiderte ich skeptisch. "Wie dem auch sei, wir sollten los." Ich drückte Perry einige Headsets in die Hand, eines für jeden der neun Fahrer. "Bleibt im Konvoi. Leonie wird hinter euch fahren, nur für den Fall, dass wir von hinten angegriffen werden. Sollte das passieren, verlässt niemand die Formation. Es geht nur darum, rechtzeitig in Disney World anzukommen." Der Magier lachte und klopfte mir auf den Ellenbogen, die höchste Stelle, die er bequem erreichen konnte. "Dann lass uns mal starten. Ich hab da zwei Burger im Wagen, die sonst kalt werden." Grinsend drehte ich mich um und spürte die Blicke der Vampire, Gestaltwandler und Magier auf mir. Spürte ihre Unsicherheit und die Angst, die sie vor mir hatten. Verdammt, dagegen musste ich zeitnah was unternehmen, allerdings mussten wir erst mal nach Orlando. Eine treu ergebene Armee brachte mir nicht viel, wenn Leviathan erst ihre mächtigsten Diener auf die Erde geholt hatte. Jeder dieser Dämonen konnte mit Leichtigkeit eine Stadt auslöschen, so weit durfte es gar nicht erst kommen. Ich schnippte meine Kippe in einen Gully, stieg wieder in den Camaro und schaltete das Radio ein, um einen eventuellen Stau frühzeitig mitzubekommen. Tatsächlich kamen gerade Nachrichten, unter anderem über einen Serienmord in Mexico City, schwere Stürme an der Küste Floridas und ein Bericht über die politische Lage Europas. Und ganz zum Schluss etwas über Ägytpen. Eine Explosion im ägyptischen Museum für Kunstgeschichte, mitten in Kairo. Das ganze war in der Nacht von Freitag auf Samstag passsiert. Jede Menge Mumien waren aus ihren Sarkophagen genommen und verbrannt worden, allerdings waren nur die Mumien verbrannt, sonst nichts. Außerdem war der Mumie von Ramses II. der Kopf abgeschlagen worden und man hatte wenig später eine junge Frau mit einem antiken Dolch in der Hand gesehen, die vermutlich irgenwie damit zu tun gehabt hatte. "Nath?", fragte Emilia, während weiter gen Norden fuhren. "Das klingt doch nach irgendeiner übernatürlichen Scheiße, meinst du nicht auch?" Ich trommelte mit meinen Fingern auf dem Lenkrad und sagte: "Kann sein, aber es ist keine apokalyptische, übernatürliche Scheiße. Also nicht meine Abteilung. Wer auch immer die Kleine mit dem Dolch ist, die packt das schon." Ich schaltete den CD-Spieler wieder ein und Steve Perrys Stimme drang aus den Lautsprechern. 'I'm stranded in the sleet and rain.
Don't think I'm ever gonna make it home again.' Das war ja nicht sonderlich ermutigend. Ich grinste und drückte das Gaspedal weiter durch, genoss das Schnurren des V8-Motors. Noch etwa 52 Stunden, bis ich Leviathan erneut gegenüberstehen würde. Und dann würde ich diese miese Schlampe bezahlen lassen.

Rogue HeroWo Geschichten leben. Entdecke jetzt