Rogue Hero

#79

Ich warf einen kurzen Blick auf die Tür, dann öffnete ich das Fenster und sprang hinaus. Nahezu lautlos landete ich und sah mich nach einem tiefen Schatten um. Die Sonne ging langsam unter und da mein Zimmer nach Osten gerichtet war, war es dort zu hell zum Schattenreisen. Drei Tage war es her, dass die Sparten mir entkommen waren, seitdem hatte es immer wieder Angriffe gegeben, wie durch ein Wunder war niemand gestorben. Ich musste sie aufhalten. Und keiner meiner Freunde würde gegen sie bestehen, ich war der einzige mit einem Heilungsfaktor. Zachaire war noch vor unserer Rückkehr verschwunden ohne uns zu verraten wohin, ihn konnte ich also auch nicht um Hilfe bitten. Aber wenn selbst Aurus sie für eine Legende gehalten hatte, würde der Alchemist wohl auch keine Lösung parat haben. Meine beste Chance war zu versuchen sie mit dem heiligen Licht auszubremsen, bis mir etwas einfiel. Es musste sein, bevor sie jemanden töteten. Gerade als ich auf eine dunkele Ecke zu ging erklang hinter mir eine Stimme. "Wo willst Du hin?" Ich drehte mich um und entdeckte Eric, der an der Hauswand lehnte. "Snickers kaufen.", sagte ich knapp. "Ich weiß, dass Du lügst. Du gehst jagen. Nath, hast Du in den letzten Tagen mehr als zwei Stunden geschlafen?", fragte er. Die Antwort war nein. Tagsüber hatte ich das Internet nach Mythen durchforstet, nachts war ich auf der Jagd gewesen. Aber statt ihm das zu sagen, zuckte ich einfach mit den Schultern. "Und wann hast du was anderes als Kaffee und Zigaretten zu dir genommen?" Wieder ein Schulterzucken. Eric stieß sich von der Wand ab und kam auf mich zu. "Alter, guck mal in einen Spiegel. Du siehst echt scheiße aus." Unwillkürlich zogen sich meine Mundwinkel ein paar Millimeter nach oben. "Du siehst auch nicht viel besser aus.", meinte ich. Und ich hatte recht. Der junge Jäger hatte tiefe Augenringe und wirkte verdammt müde. "Klar. Ich habe die letzten Tage mit Recherchen verbracht.", erwiderte er und gähnte. Neugierig neigte ich den Kopf. "Hast Du etwas herausgefunden?", fragte ich bemüht ruhig. "Leider nicht.", sagte Eric niedergeschlagen. Ich atmete tief ein. Natürlich nicht, das wäre ja zu einfach gewesen. Aber ich würde schon einen Weg finden. Wortlos starrte Eric an mir vorbei, und hob die Arme. Sofort züngelten Flammen darüber. Instinktiv wirbelte ich herum, die Hand an meiner Pistole. "Leonie.", knurrte ich, zog die Waffe und richtete sie auf ihr Gesicht. "Du hast mich also nicht vergessen.", meinte sie grinsend, strich sich über das schwarze Lederoutfit und verschränkte die Arme. Dann wurde ihr Gesichtsausdruck ernster. "Keine Sorge, ich bin nicht hier um zu kämpfen." Als ich meine Waffe fester packte und den Hahn leicht spannte seufzte sie und fuhr sich durchs blonde Haar. "Hör einfach zu. Es geht um die Sparten. Ihr Auftauchen war nicht Teil des Plans." Ich verkniff mir die Frage die mir auf den Lippen lag, eine Antwort würde ich eh nicht bekommen. Leonie griff in ihre Lederjacke, zog ein silbernes Zigarettenetui hervor und zündete sich eine Kippe an. Seit wann rauchte sie? Langsam steckte ich meine Pistole weg und zündete mir ebenfalls einen Glimmstängel an. "Sprich weiter.", sagte ich und ignorierte Eric, der mich fassungslos anstarrte. Schließlich hatte ich Leonie schon mal besiegt. "Der Dämon den du getroffen hast, hieß einst Horus. Er war ein Gott, bevor er in die Hölle geworfen wurde. Er ist gelinde gesagt ein Idiot. Es gibt einen Grund, warum die Sparten seit Jahrhunderten nicht benutzt wurden. Sie sind schwer zu kontrollieren. Ich verstehe nicht, wie der Chaosdrache zulassen konnte, dass Horus ihre Kinder auf die Menschen loslässt. Deswegen bin ich hier. Vielleicht kannst du sie aufhalten." Ungläubig starrte ich sie an. "Wieso sollte ich dir trauen?", fragte ich. "Solltest Du nicht.", antwortete sie. "Aber du scheinst kaum andere Optionen zu haben. Glaub mir, mir gefällt das auch nicht, aber uns ist keine andere Lösung eingefallen." Sie trat ihre halb gerauchte Zigarette aus und sah mich an. "Also: Du suchst die Sparten und ich weiß wo sie sind." "Es könnte eine Falle sein.", wandte Eric ein. "Halt die Klappe, Streichholz. Lass Nath entscheiden.", fuhr Leonie ihn an. Ich überlegte kurz, dann sagte ich: "Gut. Wo sind sie?" Eric schien verblüfft, aber ich hatte keinerlei Hintergedanken bei Leonie gespürt. Es schien ihr tatsächlich nur um die Sparten zu gehen. "Cementario Cristóbal Colón. Sie kämpfen in diesem Moment gegen SOL-Jäger.", sagte Leonie. Der größte Friedhof in Havanna. Irgendwie passend. Und wenn SOL auch da war... Zwei Fliegen mit einer Klappe. "Pass auf,", sagte Leonie. "Horus könnte ebenfalls da sein." Ein Blitz zuckte nieder, blendete mich kurz, dann war sie verschwunden. "Los.", sagte ich zu Eric. "Hol die anderen. Wir gehen jagen. Wir treffen uns in 10 Minuten im Wohnzimmer." Kurz legte er den Kopf schief, dann sprintete er los. Kaum war der Magier um die Ecke gebogen, schnippste ich meine Zigarette weg und trat in die Schatten. Zwischen der Villa und dem Friedhof lagen etwa 30 Kilometer Luftlinie. Bis meine Freunde realisieren würden, dass ich gelogen hatte, war ich hoffentlich schon mit den Sparten und SOL fertig.