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Lächelnd nahm ich einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse wieder hin. Ich sah aus dem Fenster, betrachtete die dicken Schneeflocken, die vom Wind umhergewirbelt wurden und dachte an Nemira, die in den Wald gegangen war um zu jagen. Vermutlich hatte sie schon das dritte Reh verspeist und tollte nun im Schnee. Bei dem Gedanken musste ich noch breiter Lächeln, immerhin war die Hündin jahrelang in einer kleinen Zelle festgehalten worden und hatte zuvor nur die Hölle gesehen. "Nath", wurde ich von Emilia aus meinen Gedanken gerissen. "Dein Pancake verbrennt gerade." Ich sah auf die Pfanne vor mir zog sie ein wenig von der Kochfläche und sagte mit Bestimmtheit: "Quatsch. Ich bin der Wirt von Aurus, ich kann nicht verbrennen. Also können es auch meine Pancakes nicht." Vorsichtig hob ich die Pfanne und kippte den Pfannenkuchen auf meinen Teller. Anschließend goss ich jede Menge Sirup drüber, schnitt ein großes Stück ab und schob es mir in den Mund. Emilia sah mich und den Pancake ungläubig an, nahm sich eine Gabel und piekste mein Frühstück. "Ich glaube es nicht...", meinte sie. "Nath, du bist der Einzige der es schafft, dass ein Pancake innen roh und außen angebrannt ist." "Knusprig, nicht angebrannt!", protestierte ich mit halbvollem Mund. Jack, der mit seinem eigenem, gewaltigen Frühstück beschäftigt war, lachte leise. Der Dämon hatte den Zauber gewirkt, den Jasmin ihm beigebracht hatte, weshalb er für die Sterblichen aussah als wäre er ein normaler Mensch, bis auf den, für Kanada recht auffälligen, Sonnenbrand.  "Du bist nicht viel besser", sagte Emilia vorwurfsvoll. "Jeder Sterbliche bekäme allein von deinem Frühstück einen Cholesterin-Spiegel, der jede Skala übersteigt." Der Dämon zuckte nur grinsend mit den Schultern und widmete sich wieder seinem Teller, auf dem drei Spiegeleier und ein Dutzend Würstchen lagen. Auf Jacks zweitem Teller lag gebratener Speck in einer Menge, mit der man eine Kleinfamilie satt gekriegt hatte. Und das war schon seine zweite Portion. Emilia hingegen hatte erst zwei Honigbrote gegessen über die sie gehackte Walnüsse gestreut hatte und pickte nun die Reste eines Obstsalates aus einer Schüssel. "Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages!", sagte die Cambion mit einer belehrenden Stimme. "Stimmt", erwiderte ich, aß meinen Pancake auf und stand auf. "Ich gehe schnell eine Rauchen", erklärte ich. Auf dem Weg nach draußen zog ich meine Kopfhörer aus der Tasche und sah mich um. Seit ich das letzte mal hiergewesen war hatte sich viel getan. Aus dem winzigen Mix aus Bäckerei und Imbiss, der zwischen einem Buchladen und einem Schneider lag, war ein großes Diner geworden, mit großen, runden Tischen in die Heizplatten integriert waren. Und an einem Buffet konnte man sich holen wonach auch immer man Lust hatte. Zu meinem Glück auch den Pancaketeig, durch den dieser Laden so berühmt geworden war. Ich stieß die Tür auf und lief prompt gegen drei Männer, die sich zum Schutz gegen Wind und Schnee in dicke Mäntel gehüllt und sich Schals vor die Gesichter gewickelt hatten. Ich murmelte eine kurze Entschuldigung, schob mir die Kopfhörer ins Ohr und holte mein Handy raus. Während ich meine Zigarette anzündete, drückte ich auf Play, steckte mein Handy wieder weg und schloss die Augen. Die sanften Klänge von 'What A Wonderful World' drangen aus meinen Kopfhörern und ich glaubte, dass könne tatsächlich ein wundervoller Tag werden. Ich hatte das Longinus-Schwert, wir hatten die Hölle überlebt und in wenigen Stunden würde ich Emilia sagen, was ich wirklich für sie empfand. Würde ihr sagen, dass ich… sie liebte. In meinem Leben war bislang nie viel Zeit für eine ernsthafte Beziehung gewesen, aber ich war mir meiner Gefühle sicher. Ja, das würde ein schöner Tag werden. Dieses Gefühl hielt genau eine Minute lang an, bis ich etwas anderes spürte. Angst, Panik und Schmerz. Und zwar aus dem Diner hinter mir. Ich riss mir die Kopfhörer aus den Ohren, ließ meine Kippe fallen und zog noch im Rennen meine Pistole. Als ich die Tür aufstieß, hörte ich ein Kreischen. Eine der vermummten Gestalten von eben hatte eine junge Frau gepackt und stieß ihr ein kurzes Schwert durch die Brust. Als ich mich umsah, konnte ich es erst nicht glauben. Emilia und Jack standen bei unserem Tisch, hielten die zweite Gestalt mit Axt und Flinte in Schach. Sie waren die einzigen Gäste die überlebt hatten, dabei war ich gerade mal etwas mehr als eine Minute draußen gewesen. Ohne zu zögern eröffnete ich das Feuer, doch die Kugeln, obwohl in Weihwasser getaucht, richteten keinerlei Schaden an. Ich steckte die Pistole weg, beschwor den Panzerhandschuh und meinen Speer und griff an. Die Gestalt wich zurück, lenkte meinen Stich ab und knurrte mich an. Mit einem Windstoß fegte ich ihr die Kapuze vom Kopf, ich wollte sehen, was all diese unschuldigen Menschen getötet hatte. Zum Vorschein kam ein bleiches Gesicht mit dunkelblauen Augen, die rote Flecken hatten, hohen Wangenknochen und Reißzähnen. Ein Vampir, aber irgendwie auch nicht. Erst als ich die schwache himmlische Aura spürte, begriff ich: sie hatten uns gefunden. Die Rabisu. Ein Flammenstrahl schoss auf die Kreatur zu, die aber geschickt auswich, schneller als ich erwartet hatte. Der einstige Engel ging zum Angriff über und nur mit großer Mühe gelang es mir den Schwerthieb zu parieren. Mit einem weiteren Windstoß brachte ich mich in Sicherheit und sprintete zu Emilia und Jack, wobei ich der Klinge des zweiten Rabisu auswich, der mein Nahen gespürt haben musste. Zu dritt standen wir da, richteten unsere Waffen auf die beiden Kreaturen, die nun ihre Mäntel zu Boden gleiten ließen. Sie waren dünn, aber nicht ausgemergelt, eher wie Langstreckenläufer. Ihre Flügel waren dunkelgrau mit blutigen Flecken und sie trugen schlichte, schwarze Lederrüstungen. Jeder von ihnen trug ein einschneidiges Kurzschwert, das ebenso mit Blut verschmiert war wie ihre Münder. Moment. Sie waren zu zweit, aber ich war gegen DREI Gestalten geprallt. "Wo ist euer Freund?", fragte ich und versuchte mir gleichzeitig einen Plan auszudenken. Hinter dem Tresen erklang ein Lachen und ein Mann mit langem, schwarzen Haar und eisblauen Augen kam dahinter hervor, wobei er ein kleines Kind mit seiner gepanzerten Faust am Nacken gepackt hatte. "Balthasar", knurrte ich. Er trug den selben Umhang aus Federn, wie bei unserer ersten Begegnung, aber seine Rüstung war jetzt aus leichtem, schwarzen Stahl statt aus Leder. "Lass das Mädchen los", sagte ich leise, wobei meine Stimme vor Wut bebte. Der Dämon hob das Mädchen hoch und sah ihr in die Augen. "Ach, Bruder. Du verstehst keinen Spaß. Außerdem würde ich Kadashiel und Mehabiah nicht als Freunde betrachten. Eher als… Unterstützer meiner Sache." "Das Mädchen", sagte jetzt Emilia, mit einer Stimme die kälter war als Eis. Balthasar lachte spöttisch, dann drückte er kurz zu und das Genick des Kindes brach mit eine Geräusch als sei er auf einen trockenen Ast getreten. Verächtlich warf er die Leiche des Kindes beiseite. "Du dreckiges Arschloch!", schrie Emilia und drückte ab. Wie in Zeitlupe sah ich wie das schwere Slug-Geschoss auf Balthasar zuschoss, der aber schon die Hand am Schwertgriff hatte und den Schuss mit der Breitseite seines Schwertes abwehrte. Das war also die Waffe, die er von Azazel bekommen hatte. Ein Bastardschwert, mit dunkelgoldenem Heft und einer Parierstange von der selben Farbe, in die ein goldener Totenkopf eingeschmiedet war, mit Rubinen als Augen. Die breite Klinge war silbern, wurde zur Spitze hin aber immer dunkler, bis sie fast schwarz war. "Nun denn, Bruder", das letzte Wort spuckte Balthasar fast aus. "Lass uns kämpfen. Und diesmal werde ich gewinnen!" "Wir kümmern uns um die Rabisu", sagte Emilia, die aus dem Holz eines Tisches ein Bokken erschaffen hatte. Ich schoss an Kadashiel und Mehabiah vorbei, verkürzte meinen Speer und griff mit aller Kraft an. Geschickt wehrte Balthasar meinen Angriff ab und setzte zum Konter an. Mit einer eleganten Drehung wich ich aus und stach zu. Im letzten Moment gelang es dem Dämon jedoch meine Klinge abzulenken, so dass ich lediglich einen tiefen Kratzer an seiner Rüstung verursachte. Seinen nächsten Hieb blockte ich direkt, Klinge an Klinge standen wir uns gegenüber. Ein schmerzerfüllter Schrei erklang und ich warf einen raschen Blick über meine Schulter. Die Lage war schlimm. Jack war vor dem einen Rabisu zurückgewichen, der einen Fuß auf die Axt des Dämons gestellt hatte. Mein Freund blutete aus einer tiefen Wunde an der Hüfte und Emilia war von dem anderen Vampir-Engel-Hybriden in eine Ecke gedrängt worden und blutete aus flachen Schnittwunden an den Armen und Beinen. Ich sprang zurück, schleuderte einen Feuerball nach Balthasar um mir Zeit zu kaufen und streckte die rechte Hand aus. "Heilige Klinge des Longinus, leih mir deine Kraft...", setzte ich an, doch weiter kam ich nicht. Ein stechender Schmerz durchfuhr meinen Körper und als ich nach unten sah, erblickte ich die Spitze eines Kurzschwertes, das kurz darauf brutal aus meinem Körper gerissen wurde. Balthasar legte eine Karte auf den Tisch, dann verschwand er in einer Rauchwolke und tauchte hinter mir wieder auf. Langsam drehte ich mich um, wobei ich die Hand auf die Wunde an meinem Bauch presste. Luzifers Sohn stand hinter Emilia, hielt sie fest und drückte ihr die Klinge seines Schwertes an die Kehle. Langsam wurde mir schwarz vor Augen, aber ich kämpfte mit aller Macht dagegen an. Es ging um Emilia, die Frau die ich liebte. Ich durfte jetzt nicht sterben, nicht mal für eine Minute, aber genau darauf würde es hinauslaufen. Die Klinge hatte offenbar meinen rechten Lungenflügel durchstochen, der sich bereits mit Blut füllte. Und aus dem Augenwinkel sah ich bereits Azrael, der an einem der Tische saß. "Lass sie los", brachte ich mühsam hervor. Jack machte einen verzweifelten Versuch Balthasar anzugreifen, wurde aber von einem der Rabisu mit einem kräftigen Faustschlag niedergestreckt. "Leviathan weiß um dein Geheimnis", sagte mein Halbbruder mit einem arroganten Lächeln. "Komm an den Ort, den ich auf der Karte markiert habe, sonst werden wir deine kleine Freundin töten." Ich stolperte nach vorne, als ich fiel und alles von einer allumfassenden Dunkelheit verschlungen wurde. Das letzte was ich sah, war Emilias verzweifelter Gesichtsausdruck, als sie gemeinsam mit Balthasar und den Rabisu in einer Rauchwolke verschwand.

Rogue HeroWo Geschichten leben. Entdecke jetzt