#181

2.9K 318 17
                                    

Als die gewaltige Flutwelle sich hinter Leviathan auftürmte,  wusste ich, dass wir am Arsch waren. Eine massive Wand aus Wasser ragte gut fünfzehn Meter weit auf und rollte auf uns zu, über Leviathan hinweg, die aus meinem Sichtfeld verschwand. Sie war mehr als dreihundert Meter breit, ausweichen war also unmöglich. Sofort landete ich, ein gutes Stück vor Jack, Raguel und Nero, die mir zu Fuß gefolgt waren.  "Kommt hinter mich!", schrie ich, um die tosenden Wassermassen zu übertönen. "Und haltet euch gut fest!" Ich konzentriere mich auf den Wind, den die Welle verursachte, ließ die Luft um mich fließen und bündelte sie. Die Welle war noch etwa zwanzig Meter entfernt, als ich mein Schwert mit einer blitzschnellen Bewegung nach oben schwang. Eine gewaltige Luftklinge teilte das Wasser, der Spalt war gerade so breit, dass uns die Welle nicht traf und Wassertropfen und aufgewirbelte Steine vernebelten meine Sicht. "Hey, Raguel. War das Moses Trick?", fragte ich grinsend. "Das war ein Wunder des Herrn.", erwiderte der Engel trocken und sah dabei zu, wie die Welle dutzende Gebäude vernichtete. Ich hingegen blickte zu der Stelle, wo Leviathan stand. Nur dass sie nicht mehr dort war. Alarmiert hob ich mein Schwert und sah mich um. Raguel und Jack stellten sich zu mir, Rücken an Rücken warteten wir auf Leviathans Angriff. "Hat noch jemand Angst?", fragte Nero, der wieder auf Jacks Schulter saß. "Nicht wirklich.", antwortete ich und sah dabei zu, wie das Wasser wieder in Richtung See floss. "Um ehrlich zu sein habe ich schon länger gelebt, als ich erwartet habe." In diesem Moment flog ein Gullideckel vor mir meterweit in die Höhe, Leviathan sprang hervor und nur mit Mühe konnte ich ein Dutzend Eisnadeln abwehren. Als sie landete, wollte die Dämonin sie mit einem Windstoß zurück werfen, doch Leviathan blockte den Angriff mit einer Wand aus Wasser. Ihren Kiefer hatte sie wieder eingehängt und nun sah ich ihre Augen, gelb-grün und geschlitzt wie die einer Schlange. Sie wiegte sich sacht hin und her, richtete das Schwert auf uns und zischte leise. Die Rüstung aus Eis war an vielen Stellen gesplittert, darunter war ihre leicht schuppige Haut zu sehen. "Das war töricht von dir.", sagte Leviathan lächelnd. "Du hättest mich zur Hölle werfen sollen, als die Tore noch offen standen. Selbst wenn du jetzt Rache übst, wirst du verlieren, denn es geschieht so vieles von dem du keine Kenntnis hast." Ich wollte nachhaken, sie bei der Stange halten und mehr Informationen aus ihr rauskitzeln, doch Raguel machte mir einen Strich durch die Rechnung. Der Erzengel sprang vor und griff Leviathan mit einer Wut an, die ich nicht von ihm erwartet hätte. "Verräterin!", schrie er. "Ich werde dich in Ketten legen und in den Himmel schleifen." Die Dämonen wich behände aus, wobei sie das Wasser zu ihren Füßen nutzte, um ihre Bewegungen zu beschleunigen. "Ach Bruderherz", spottete sie. "So viele Jahre, und du hast mir noch immer nicht verziehen." "Wie hätte ich dir verzeihen können?", knurrte der Engel. Ich hielt Jack zurück, der ebenfalls angreifen wollte und trat einen Schritt vor. "Du hast uns verraten, deine Brüder. Das Blut von deinesgleichen klebt an deinen Händen, weil du dich nicht damit abfinden konntest, schwächer zu sein als wir. Man hat dich respektiert und geliebt, doch du bist tiefer gefallen als Luzifer selbst. Du warst ein Erzengel, Ariel! Eine Tochter des Herrn! Und nun bist du eine Abscheulichkeit!" "Nenn mich nicht so!", kreischte Leviathan und bleckte die Zähne, während sie den Engel mit einer Mischung aus Schwerthieben und Eisstacheln zurück drängte, der Raguel nur wenig entgegen zu setzen hatte. Er konnte sich zwar noch verteidigen, aber langsam merkte man ihm die Erschöpfung an, verursacht durch die schweren Wunden, die ihm Leviathan zugefügt hatte. "Geliebt? Respektiert? Ich war ein Gespött! Die Schwächste unter den Erzengel. Denkst du, ich habe das nicht mitbekommen? Ich hätte Michael im Schwertkampf schlagen können, doch das bedeutete nicht dort oben. Warum sonst hätte ich Vaters Steintafeln stehlen sollen? Warum sonst hätte ich eine Göttin an mich binden sollen, die seit Jahrtausenden tobt und wütet? Ich werde eure
Paläste einreißen, den Himmel mit dem Blut von Millionen Engeln überfluten!" Raguel stolperte, von einem besonders heftigem Hieb getroffen und ich sah wie Leviathan auf die Kehle des Engels zielte und gab Jack ein Zeichen. Synchron schossen wir vor, die Axt des Dämonen lenkte die Schwertspitze im letzten Moment um und mit einem kraftvollen Hieb traf ich Leviathans Körpermitte. Ich erwartete, dass die Klinge durch ihr Fleisch schnitt, wie ein Messer durch warme Butter, doch stattdessen grub es sich eine Handbreit in ihr Fleisch, graues Blut spritzte aus der Wunde, dann hielt die Rüstung aus Eis das Schwert auf. Mit einem Ruck riss ich die Klinge aus der Dämonin, die mit einem schmerzerfüllten Kreischen zurück wich. Aber ich war schneller. Mein Schwert beschrieb einen weiten Bogen, Leviathan riss ihre Waffe hoch, versuchte zu parieren, doch meine Klinge durchtrennte Knochen, Fleisch und Muskeln und der linke Flügel der Dämonin fiel zu Boden. Leviathan zischte wütend und verzerrte das Gesicht vor Schmerz, doch statt zu fliehen, sprang sie einfach zurück, legte eine Hand auf den Stumpf und sofort zog sich eine dünne Eisschicht darüber und versiegelte die Wunde. "Pass auf den Engel auf.", sagte ich zu Jack. "Wenn er uns wegstirbt, haben wir bald seine Geschwister am Hals." Diese Aussage schien Raguel nur noch wütender machen, denn ehe ich reagieren konnte, schoss er an mir vorbei und deckte Leviathan mit einem Hagel aus Schwerthieben und Lichtblitzen ein. Verdammter Idiot. Dämon und Engel bluteten bereits ein einem Dutzend flacher Schnitte und Raguels Wunden an Hals und Schulter waren noch weiter aufgerissen. Kurzerhand hob ich den Arm, ließ Ketten auf Raguel zuschießen, sich um seine Brust wickeln und zog ihn zurück, wie einen heiligen, unartigen Hund. Gleichzeitig sprang ich vor und im selben Moment in dem ich mein Schwert schwang, schleuderte Leviathan einen zwei Meter langen Eisspeer und zwei kleine Dolche. Ich wurde nicht langsamer, wich nicht aus, doch erst als meine Klinge Leviathans Brust aufschlitzte, merkte ich, dass die Dämonin nicht mal auf mich gezielt hatte. Mit einem kräftigen Windstoß beförderte ich sie mehrere Meter nach hinten, wo sie gegen ein großes Trümmerstück der Mauer krachte. Ich drehte mich um und sah Jack, der einen Dolch in der Hüfte stecken hatte und Nero, dessen linkes Ohr ein wenig gespalten war. Doch Raguel hatte es wirklich schwer getroffen. Der Speer hatte ihn am Bauch getroffen und an einen Felsbrocken genagelt, gold-rotes Blut strömte aus der klaffenden Wunde, gefror teilweise auf dem Speer und  tropfte unablässig auf den Boden. "Fuck.", flüsterte ich. Mit einem kurzen Blick vergewisserte ich mich, dass Leviathan noch am Boden lag, half Jack zu Raguel zu humpeln und rammte das Longinus Schwert in den Boden. Ein kurzer Gedanke reichte und eine kleine, weiße Kuppel breitete sich aus, deren Oberfläche von dünnen, schwarzen Fäden durchzogen wurde. Das war die Macht von Durendal, ein fast undurchdringlicher Schutzschild, den selbst ich nur mit Mühe hatte zerstören können. Ich ließ das Schwert stecken und legte die Hand auf den Dolch in Jacks Hüfte, konzertierte mich und ließ ihn schmelzen. Magisches Eis ließ sich am einfachsten mit magischem Feuer schmelzen, aber eine zu heiße Flamme hätte den Dämon verbrannt. Dann betrachtete ich den Speer, der von gekrümmten Widerhaken gespickt war. "Das wird weh tun.", warnte ich den Erzengel. "Ich traue mich nicht den Speer zu schmelzen, aber er muss raus. Bereit?" Raguel zog ein schmutziges Stück Stoff hervor, steckte es sich zwischen die Zähne und nickte. Ich ging zum Rücken den Engels und mit einem gezieltem Faushieb zertrümmerte ich den im Fels fest steckenden Speer. Vorsichtig half ich Raguel dabei sich hinzuknien, stellte mich hinter ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter, während ich mit der anderen den Speer packte. Schnell, aber denoch vorsichtig zog ich die Waffe aus dem Fleisch des Engels, der laut aufkeuchte und auf den Stofffetzen biss. "Die Wunden heilen nicht.", stellte ich alarmiert fest. "Ich muss sie ausbrennen." Goldene Flammen züngelten über meine Hand und diesmal erklang ein ersticktes Schreien aus der Kehle des Engels, als ich meine Hand erst auf seinen Rücken und dann auf seine Brust legte. "Jack.", sagte ich. "Sorg dafür, dass der Kerl sich nicht wieder versucht umzubringen." Der Dämon nickte, dann reichte er mir seinen Granatenwerfer. "Er ist zwar leer, aber irgendwo müsste noch mein Rucksack mit vier oder fünf Granaten rum liegen." Ein kurzer Blick auf Nero reichte, dann nickte der Kater, maunzte leise und sprintete los. Ich schwang mir den Granatwerfer über die Schulter, berührte kurz den Griff des Longinus Schwertes und veränderte den Schutzschild ein wenig, sodass nur noch Nero die Kuppel wieder betreten konnte. Grelle Flammen loderten auf und ich hielt mein Kurzschwert in Händen. "Nathaniel.", sagte Raguel schwach und erstaunt drehte ich mich um. Noch nie hatte der Engel mich mit meinem Namen angesprochen. "Das… war edel. Ich dachte immer, die Engelsseite… würde Moral und Gefühle der Nephilim abtöten." Ich verzog meine Lippen zu einem spöttischen Grinsen und erwiderte: "Dazu muss man kein halber Engel sein, ich habe schon viele Menschen getroffen, denen jegliche Menschlichkeit fehlte." Ich zurrte den Gurt des Granatwerfers fester, dann rannte ich auf Leviathan zu, die langsam begann sich aufzurappeln. Die Nähe zum Wasser hatte ihr offensichtlich gut getan, denn alle ihre Wunden waren verheilt und ihre Aura war erdrückend und allumfassend. "Nephilim!", erschallte Leviathans Stimme, deren Schwert in ihre Hand geflogen kam und sich in einen Dreizack verwandelte. "Komm her! Lass es uns beenden! Ich werde dir die Eingeweide raus reißen, dein Herz fressen und anschließend werde ich jeden deiner Freunde foltern, ihre geschundenen Körper in den Himmel schleifen und sie vor den Augen aller hinrichten lassen." "Versuch es", knurrte ich. "Und ich schiebe dir deinen Dreizack dahin, wo die Sonne nie hin scheint." Leviathan legte den Kopf ein wenig schief und betrachtete mich neugierig. "Warum sind Menschen nur so besessen von Körperöffnungen?", fragte sie. "Ich habe so viele Bilder gesehen in dem, was ihr Internet nennt." Ich wurde langsamer und ließ mein Schwert ein Stück sinken. "Oh Gott... Ich gehe jede Wette ein, dass in deinem Verlauf der Buchstabe 'x' jetzt öfter auftaucht, als in jeder Matheklausur." Die Dämonin nutzte meine kurze Ablenkung und zwei Tentakel aus Wasser peitschten auf mich zu. Mit einem Hechtsprung nach vorne wich ich aus, rollte mich ab und schnellte hoch. Ich setzte meinen Fuß auf einen Felsbrocken und stieß ihn mit aller Kraft Richtung Leviathan. "Also gut!", brüllte ich. "Bringen wir es zu Ende, Fürstin des Westens! Zeig mir die wahre Macht einer göttlichen Bestie!"

Rogue HeroWo Geschichten leben. Entdecke jetzt