Pretending

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„We say we're friends, we play pretend, you're more to me, we're everything." ('Perfect Harmony' - Julie and the Phantoms)

Das Wetter bildete den größten Gegensatz, den es wohl hätte bilden können. Die Sonne stand hoch am Himmel, der so blau war wie Lounas rechtes Auge. Es fühlte sich falsch an. Das Wetter passte einfach nicht zu dem, was sie alle fühlten.

Die Beisetzung wurde wieder von Musik begleitet. Jemand hatte einen Lautsprecher aufgestellt, auf dem die Songs von Anthoines Spotify-Playlist kamen. Seine Lieblingssongs. Alle versammelten sich um das offene Grab. Der Sarg stand schon auf einem silbernen Gestell als die Freunde ankamen. Um sich ein wenig abzulenken, ließ Louna ihren Blick über die Grabsteine wandern. 1919-1997, 1886-1943, 1942-2006. Alle viel älter als Anthoine jemals werden würde. Der Pfarrer sagte noch ein paar Worte, über die mittlerweile leisere Musik hinweg, aber die Worte zogen ohne Bedeutung an der Gruppe vorbei. Es war irgendwas über Asche und Staub und Blumen. Danach begannen Nathalie und Victhor damit weiße Rosen auf den Sarg zu legen. Der Rest der Trauergesellschaft folgte ihrem Beispiel. Immer in kleinen Gruppen oder Pärchen. Charles und Louna legten jeweils eine der filigranen Blumen auf das hellbraune Holz. „Sein ganzes Leben in einer Holzkiste", murmelte Charles kaum hörbar. Louna nickte nur, traute ihrer Stimme nicht zu, dass sie funktionieren würde. „Lass uns gehen", flüsterte er dann, legte seinen Arm um ihre Schultern, küsste ihren Kopf kurz und lief langsam mit ihr vom Friedhofsgelände. Im Hintergrund klangen gerade die letzten Töne von Oasis' ‚Wonderwall'. Es war erst 12 Uhr, aber sie waren beide schon total fertig. „Wie fühlst du dich?", fragte Louna, während sie auf Pierre, Caterina und Giuliano warteten. Charles wischte sich müde durchs Gesicht. „Als könnte ich drei Tage am Stück schlafen" Sie umarmte ihn fest. Charles vergrub seinen Kopf in ihren Haaren.

Der Leichenschmaus fand in einem Restaurant in der Nähe statt. Es gab Brötchen und Kuchen. Die Tränen waren zwar getrocknet, aber das taube Gefühl blieb. Trotzdem kam auch etwas Erleichterung darüber, dass der Tag fast vorbei war. Louna aß sogar freiwillig ein Stück Schokoladenkuchen und trank mal etwas anderes als Wasser oder Kaffee. Trotzdem beschlossen sie und Charles relativ zügig, sich auf den Weg ins Hotel zu machen. Sie waren einfach unglaublich müde und wollten der gedrückten Stimmung entfliehen. Sie verabschiedeten sich von den Leuten an ihrem Tisch und liefen dann zu Nathalie und Victhor. Auch von den beiden verabschiedeten sie sich, bedankten sich natürlich für die Einladung und sprachen ihnen nochmals ihr Beileid aus. „Wenn ihr irgendwas braucht, ruft bitte einfach an. Es gibt keinen falschen Zeitpunkt", versicherte Charles Anthoines Familie noch einmal. Nathalie lächelte liebevoll und nickte. „Machen wir. Danke"

Einige Minuten später ließ Louna sich erschöpft auf das Hotelbett fallen. Charles folgte nur wenige Sekunden später. „Sollten wir uns jetzt nicht irgendwie besser fühlen?", fragte das Mädchen. „Du meinst, so wie in ‚Phase 5: Akzeptanz'?" „So ungefähr" „Ich weiß nicht, vielleicht kommt das noch... oder auch nicht. Keine Ahnung... wie Nathalie gesagt hat... man weiß nicht, ob es leichter wird." „Ich hoffe, dass es das wird." „Ich auch", seufzte Charles und küsste Lounas Kopf liebevoll. Phase 5: Akzeptanz... irgendwann vielleicht, aber leider nicht heute.

Die nächsten Tage, die ersten ruhigen Tage Zuhause seit dem Unfall, verbrachten Louna und Charles fast ausschließlich zusammen. Das nächste Rennen war erst in 12 Tagen, also hatten sie ein wenig Zeit zu atmen. Die brauchten sie auch. Manchmal kochten sie zusammen, manchmal verloren sie sich in einem Film oder einem Buch, das der eine dem anderen vorlas. An einem Nachmittag, dem Samstag nach der Beerdigung, lagen sie gemeinsam auf Lounas neuer Couch und scrollten ein wenig durch ihren jeweiligen Instagram-Feed. Charles' Kopf lag in Lounas Schoß, die ihm ein wenig durch die weichen Haare strich. Sie likte gerade den neusten Post des F1 Instagram Kanals, ein Videoausschnitt von Robert und Georges Grill the Grid. „Ist dein Grill The Grid eigentliche schon gedreht worden?" „Ne, wird erst noch gefilmt. Aber jetzt bald irgendwann glaube ich", antwortete Charles. „Wird das so gut laufen, wie die Ferrari Bell Challenge?", grinste Louna. Der Monegasse wollte gerade eine schnippische Antwort von sich geben als Lounas Handy klingelte und ihn unterbrach. „Manuel, ich hab frei", seufzte sie ins Mikrofon. „Ich weiß. Und ich störe auch nicht lange. Ich wollte euch nur vorwarnen" „Uns?" „Na dich und Charles. Tu nicht so, als wäre er nicht gerade irgendwo in der Nähe" Louna lachte nur leise, das war für Manuel Antwort genug. „Jedenfalls geht auf Twitter gerade ein Artikel rum. Über euch beide" „Wieder einer, der behauptet, wir wären ein Paar?" „Nein, einer, der schreibt, dass ihr es bestätigt hättet. Er zitiert euch" „Was? Wir haben niemals jemandem irgendwas zitierbares gegeben" „Dachte ich mir schon fast, deswegen ruf ich an. Ich wollte euch nur warnen" „Danke"; seufzte Louna, verabschiedete sich von ihrem Kollegen und legte auf. Charles schaute fragend zu ihr hoch. Wäre Louna wegen des Artikels nicht so genervt gewesen, wäre sie geschmolzen. Er sah so süß aus. „Was ist los?", fragte er nun. „Irgendein möchtegern Journalist hat einen Artikel über uns geschrieben, in dem er behauptet wir wären zusammen" „Okay? Das ist nichts Neues" „Er zitiert uns" „Wie kann er uns zitieren, wenn wir sowas nie gesagt haben?" „Nennt sich lügen. Ist leider sehr überzeugend", erklärte Louna. Charles setzte sich auf. „Mir reicht's. Zu behaupten wir wären ein Paar ist eine Sache, aber unsere Zitate zu fälschen? Das nervt mich. Hast du hier ein Stativ oder so?" Louna war überrascht von dem plötzlichen Tatendrang, den Charles an den Tag legte. „Ja, hier irgendwo müsste eins sein. Wofür?" „Wir machen jetzt einen Livestream und stellen das richtig" „Dein Ernst? Es ist nur ein blöder Artikel" „Sie erfinden Dinge über dich und das nervt. Das kann so nicht weitergehen" Es schien ihn kein Stück zu stören, dass sie auch Zitate von ihm erfunden hatten. Alles was ihn zu ärgern schien war, dass es Louna betraf. Sie schmunzelte leicht. „Gut, ich such das Stativ raus"

When Your Past Becomes Your Future (Charles Leclerc FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt