The Funural

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„Sometimes it’s not the death that breaks you, it’s the reaction of the loved ones.” - Unknown

Ein Blick auf die Uhr verriet Louna und Charles, dass sie die Kirche wieder verlassen sollten. Bald würde der Sarg hineingetragen werden und da sollte die Trauergesellschaft folgen und nicht schon da rum stehen. Die Sonne brannte auf die in schwarz gekleideten Trauergäste nieder. Charles öffnete gerade sein Jackett als sich ein Auto den Weg durch die Menge bahnte. Darin saßen Nathalie und Victhor. Nun kam Bewegung in die Menge. Aus dem Leichenwagen stiegen zwei Mitarbeiter aus, die den Kofferraum öffneten. Zwei Onkel von Anthoine und zwei Kindheitsfreunde traten an den Kofferraum heran und hoben vorsichtig den hellbraunen Sarg heraus. Langsam, aber sicher trugen sie den Sarg in die Kirche. Nathalie und Victhor folgten direkt dahinter. Nach und nach setzten sich alle in Bewegung. Die Glocken begannen zu läuten. Direkt hinter Victhor und Nathalie lief der Rest von Anthoines Familie. Dann kamen auch schon Pierre, seine Eltern, Caterina, Louna, Charles und Giuliano, dahinter das restliche Formel 2 Feld. Sie alle tappsten langsam in die Kirche und gingen den Gang entlang bis zu ihren Plätzen. Jemand saß an der Orgel und spielte eine gefühlvolle Version von Elton Johns ‚Candle In The Wind‘. Der Song verpassten allen Anwesenden eine heftige Gänsehaut. Wenn sie schon mit diesem Song anfingen, was kam dann noch?

Es dauerte eine Weile, bis alle in der Kirche waren und sich gesetzt hatten. Der Organist war mittlerweile zu ‚Amazing Grace‘ übergegangen, was nicht weniger traurig und bedrückend wirkte. Nachdem der Sarg abgestellt worden war und alle sich gesetzt hatten, traf der Pfarrer ans Rednerpult und begann mit seiner Begrüßung. Natürlich auf Englisch, damit alle es verstehen konnten. „Liebe Gemeinde, wir haben uns heute hier zusammengefunden, um den Tod von Anthoine ‚Tonio‘ Hubert zu betrauern. Ich begrüße seine Freunde, seine Familie und ganz besonders Anthoines Mutter Nathalie und seinen Bruder Victhor. ‚Ihr habt jetzt Trauer, aber ich werde euch wieder sehen und euer Herz wird sich freuen.‘, heißt es in Johannes 16,22. Das viel zu frühe Ableben von Anthoine hat viele Menschen berührt. Allen voran natürlich seine Familie und Freunde, aber auch die gesamte Motorsportwelt. Schon von klein auf hatte Anthoine Benzin im Blut, genauso wie viele andere, die heute hier sitzen. Leider war es genau diese Leidenschaft, die ihn am Ende das Leben kostete. Doch fangen wir vorne an. Anthoine wurde am 22. September 1996 in Lyon als Nesthäkchen seiner Familie geboren. Sein Vater Francois brachte Anthoine früh mit Motorsport in Berührung und so landete Anthoine im Jahr 2004 mit nicht ganz 8 Jahren das erste Mal als Starter bei einem Kartrennen. In den nächsten Jahren lernte er dort seine engste Freunde kennen.“ Aus der 1. Reihe kam synchrones Schluchzen. Charles hatte Anthoine 2005 kennengelernt, Pierre und Giuliano waren 2006 dazu gekommen, Louna Anfang 2007. Der Pfarrer bedachte die vier mit einem mitleidigen Blick und fuhr dann fort: „2013 konnte Anthoine schließlich aufgrund seines großen Talents und vieler Erfolge in den Formelsport aufsteigen. Erst in der französischen Formel 4, dann in der Formel Renault und in der Formel 3. 2017 bekam er einen Sitz in der GP3-Serie, die er 2018 bravourös gewann. Dieser Erfolg verschaffte ihm einen Platz in der Formel 2, dem letzten großen Schritt vor der Formel 1, der Königsklasse. Diese erreichte er leider nicht mehr. Trotzdem wird er für immer in Erinnerung bleiben. Und nun ein paar Worte von Personen, die sich immer an ihn erinnern werden.“ In der ersten Reihe brach auf verschiedenen Stühlen leises Rascheln aus. Auch bei Pierre. Er zog ein gefaltetes Blatt Papier aus der Innentasche seines Jacketts. „Ich bin der erste“, sagte er mit einem kurzen Blick zu den anderen, stand auf und ging mit wackeligen Schritten zu dem kleinen Rednerpult, an dem bis jetzt der Pfarrer gestanden hatte. Louna nickte ihm aufmunternd zu. Er hatte Schwierigkeiten das Blatt Papier, auf das er seine Rede geschrieben hatte, auseinander zu falten, so sehr zitterten seine Finger. Einmal atmete er zittrig ein und aus, dann begann er zu reden, die Stimme so unsicher wie seine Schritte. „Hallo, mein Name ist Pierre“, murmelte er ins Mikrofon, ließ seinen Blick kurz über die Menge schweifen. Pierre räusperte sich leise. „Anthoine ist… war… er war mein Bruder. Auch wenn wir nicht verwandt waren, war er trotzdem mein Bruder. Mein bester Freund. Wir haben lange zusammen gewohnt, sind uns zwischendurch unglaublich auf die Nerven gegangen, aber das ist es, was Brüder tun, oder?“ Er wischte sich verstohlen ein paar Tränen von der Wange, schniefte leise. Louna, bei der mittlerweile alle Dämme gebrochen waren, drückte ihr Gesicht in Charles‘ Schulter, damit man sie nicht allzu laut schluchzen hörte. Charles zog sie liebevoll an sich, küsste ihren Kopf und konnte dabei die eigenen Tränen nicht unterdrücken. Das warme Salzwasser tropfte auf Lounas zusammengebundene Haare. Pierre fuhr fort, die Stimme immer noch wacklig, gebrochen. „Wir haben vieles geteilt. Das Rennenfahren, die Wohnung, den Freundeskreis.“ Kurz sah Pierre zu Charles, Louna und Giuliano rüber. Keiner von ihnen brachte ein Lächeln zustande, auch wenn sie es alle probierten. Pierre hatte es aufgegeben sich die Tränen vom Gesicht wischen zu wollen und fuhr fort: „Als ich vor einigen Wochen erfahren habe, dass ich zu Toro Rosso zurückversetzt werde, hat mich das sehr getroffen. Anthoine war da. Er hat mich angelächelt und gesagt: ‚Beweis ihnen, dass sie falsch lagen‘.“ Nun wich Pierre von seiner vorgeschriebenen Rede ab. Er schien sie nicht länger für passend zu halten. Er starrte mit leerem Blick auf das Blatt. Die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen, ein paar Tränen tropften auf das Papier und ließen die Tinte verschwimmen. „Er war einer der nettesten, intelligentesten und talentiertesten Menschen, die ich kenne.“ Pierre konnte nicht mehr. Er versuchte für einige Sekunden sich wieder zu beruhigen, aber das einzige, das er noch sagen konnte, bevor ihn die Kraft völlig verließ, war: „Ich… ich hab mich nicht mal von ihm verabschieden können.“ Leise schluchzte er ins Mikrofon. Dann wurde es zu viel. Er konnte nicht mehr reden, zitterte so stark, dass alle Anwesenden Angst hatten, dass er umkippen würde. Charles löste sich sanft von Louna und lief sofort zu Pierre, um ihm zu helfen. „Ich bring dich zu deinem Platz“, flüsterte Charles, und führte seinen Freund zu seinem Platz. Pierre ließ sich zwischen seine Mutter und seine Freundin fallen und vergrub seinen Kopf in seinen Händen. Caterina strich liebevoll über seinen Rücken, doch nichts konnte den Schmerz, den Pierre gerade fühlte lindern.

When Your Past Becomes Your Future (Charles Leclerc FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt