Kapitel 35

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PoV Jana

Ich ließ meinen Kopf auf Annas Schulter sinken und schloss meine Augen. Sofort umgab mich schwärze, aber das war mir egal. Ich sah sie auch so, Dunkelheit und Traurigkeit. Wie gerne hätte ich wieder geweint, den ganzen Schmerz hinausgeschrien, aber meine Tränen waren bereits verbraucht. Zu viel hatte ich gesehen und gehört. Zu viel Schmerzen gefühlt und dafür hasste ich mich. Ich war so schwach, zu schwach um damit klar zu kommen...

Plötzlich hörte ich Schritte und öffnete sofort meine Augen. Ruckartig hob ich den Kopf und sah in die blauen Augen von Nina. Ihr Ausdruck war leer und ich schluckte. Wortlos setzte sie sich neben mich und musterte uns kurz:,,Stimmt es,das-" Doch sie sprach nicht weiter und ich nickte nur.
Ja, Anica hatte sich umbringen wollen und es vermutlich auch geschafft. Und wenn nicht verdankten wir das einem Mädchen, das es ebenfalls versucht hatte. Ich verfluchte Fenja innerlich dafür und würde sie am liebsten erneut vom Dach stoßen. Würde zu gerne vor ihr stehen und sie dann einfach schubsen, dorthin wo sie eh hinwollte.
Und vielleicht waren nun beide dort. Vielleicht sahen sie sich grade in die kalten Augen und merkten beide, das sie es geschafft hatten. Vielleicht lächelten beide und verschwanden dann im Nebel auf Dunkelheit. Für immer.
Für immer... es war zu lange.
Ich sah beide, wie sie nebeneinander standen und auf uns sahen. Wie Fenja sich abwandte und Anica uns einen letzten Blick zuwarf, bevor der Tod sie sich beide griff und nie wieder loslassen würde.

Ich hatte Nina noch nie weinen gesehen. Ich hatte immer gedacht, das dort zu viel Wut war und kein Platz für Trauer. Aber das konnte kein Mensch. Ich sah, wie sie es versuchte ihre Trauer zu verstecken und ihre Angst hinter einer brüchigen Maske zu verbergen. Schließlich biss sie sich auf die Lippen und sah zur Decke.
,,Was ist passiert?", fragte ich zögernd und strich ihr ganz vorsichtig über den Verband am Kopf. Sofort zuckte Nina zusammen und sah mich wütend an. Doch sofort fiel sie von ihr und sie schluckte:,,Lynn..." Ich verstand und sah zur Tür schräg gegenüber von uns.

Niemand würde erahnen, das dort jemand um sein Leben kämpfte.
Niemand würde erahnen, das niemand je so etwas von diesem Mädchen gedacht hätte.
Niemand würde erahnen, wie viel sie mir bedeutete.
Anica bedeutete mir so viel. Warum wusste ich selber nicht genau, vielleicht, weil sie mir zu oft aufgeholfen hatte. Aber vielleicht würde sie das nie wieder tun können. Und ich würde mich nie dafür bedanken können...
Ich kam mir so unmöglich vor, das Anica dies wirklich getan hatte. Sie war nicht so, das wusste ich. Sie war nicht depressiv. Sie war einfach nur sie selbst, freundlich und keines Falls ein Psycho!

Anna war die erste, die erneut das Wort ergriff:,,Sie wird es schaffen. Ganz sicher..." Aber ihre Stimme klang brüchig und bedrückt. Nina jickte und sah auf die Tür. Immer noch hatte sie nicht geweint. Warum ist sie sie stark? Warum bin ich nicht so stark?!
Erst wenn man merkt, wie wichtig jemand einem ist und dieser bereit ist zu gehen, merkt man, wie dein Herz zerspringt. Einfach so. Und dann bohren sich die Scherben in deinem Körper und zerschneiden diesen. Erst dann merkt man die Schmerzen und die Bedeutung jeder einzelnder Sekunde.

Gerade, als ich aufspringen und einfach gehen wollte, ging die Tür auf und ein Arzt kam heraus. Er musterte uns kurz kritisch, dann lächelte er uns an:,,Eurer Freundin ist es nicht gelungen. Aber wir mussten ihren Arm mit sechs Stichen nähen..."
Ich hörte ihm nicht mehr zu. Mein Körper war nur noch von Glück und Erleichterung gefüllt. Sie lebte. Ihn meinem Kopf waren nur noch diese zwei Worte. Ich sah zu den anderen beiden und auf ihren Gesichtern war die selbe Erleichterung zu sehen. Doch dann verschwand sie aus Annas Gesicht und ein Schatten began dieses zu überdecken. Dunkler als zuvor. Dann stand sie auf:,,Was ist mit Fenja?" Zum ersten mal seit vielen Minuten klang ihre Stimme ernst. Keine Spur mehr von Traurigkeit. Keiner von uns würde wirklich um sie trauern, dazu ist sie zu anders...
Die Miene des Arztes wurde ernster und ich spürte es sofort. Dieses Gefühl der Leere. Aber sie war anders.
Sie bedeutet mir zu wenig, jedem von uns. Niemand würde sie wirklich vermissen. Sie hasst uns, aber sich selbst am meisten. Niemand würde je um sie trauern, oder?

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt