Kapitel 37

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PoV Nina

Ich beobachtete Anica genau. Sie sagte die Wahrheit, aber dachten ihre Gedanken das selbe. Ich wusste zu gut, das man oft anders dachte und handelte, wenn es nötig war. Sie würden es nie verstehen, aber ich verstand sie selber meist nicht. Ich würde es nie verstehen, warum man immer an seine Vergangenheit denken musste, obwohl man sie doch vergessen wollte.
Ich würde nie verstehen, warum man hungerte, obwohl man dadurch sterben konnte.
Ich würde nie verstehen, warum man jeden Tag um ein Stück Freiheit kämpfte.
Am meisten aber verstand ich mich selber nicht. Ich wusste nicht; warum ich so handelte, wie ich es oft tat.

Ich zog die Beine auf den Stuhl und überlegte kurz. Dann war es Anica, die zögernd die Frage stellte. Ihre Stimme hatte alle Freude verloren:,,Was ist mit Fenja?" Sofort zuckte Anna zusammen und Jana senkte den Kopf. Ich sah ebenfalls zu den beiden und verzog neugierig das Gesicht. Kurz herrschte Stille. Als hätte jemand alle Geräusche gedämpft und wollte sie nie wieder hergeben. Doch dann war es Anna, die langsam, aber nicht stockend sprach:,,Sie ist über den Maschendrahtzaun geklettert und vom Dach gesprungen-" Anna zuckte erschrocken zusammen und ihr Gesicht verlor alle Gefühle. Ich sah zu Boden. Konnte sie wirklich tot sein? Konnte sie es wirklich geschafft haben?
,,Ist sie tot?", fragte Anica und biss sich auf die Lippen. Ich sah wieder zu Anna. Diese zuckte mit den Schultern und Tränen traten ihr in die Augen.,,Wir wissen es nicht. Dort unten war zwar schon die Feuerwehr und viele Ärzte, aber-", ihre Stimme brach ab und sie sah zu Jana. Diese nickte bloß und ich spürte ein Ziehen in der Brust. Sie ist es gewesen, die Anica das Leben gerettet hat. Sie darf nicht tot sein!

Ich hatte Fenja nie gemocht, sie nie verstanden und hatte insgeheim immer gehofft, dass sie es irgendwann schaffte sich umzubringen. Aber dank ihr war Anica noch am Leben und dafür musste sie auch leben dürfen. Ich stand auf und sah zu den anderen:,,Wollen wir fragen?" Anica versuchte aufzustehen, aber man sah; wie geschwächt sie noch war. Sofort waren Jana und Anna neben ihr und stützen sie. ,,Gehts?", fragte Jana und musterte sie genau. Anica nickte, obwohl man sah, wie sehr ihr Arm schmerzte. Doch gerade als wir gehen wollten, ging die Tür auf und eine Ärztin sah uns streng an:,,Was soll das werden? Anica, du musst dich ausruhen. Du hast zu viel Blut verloren." Sofort ließ Anica sich auf ihr Bett fallen und atmete tief ein. Jana und Anna setzten sich betreten neben sie und ich senkte den Kopf. Die Ärztin musterte uns, doch niemand antwortete.

,,Ist Fenja tot?", fragte Anica schließlich und sah der Ärztin fest in die Augen. Ich sah die Angst in Anicas Augen. Angst vor der Antwort. Schon einmal hatten wir auf eine solche Antwort gewartet. Kurz schwieg die Ärztin, dann holte fragte sie uns alle:,,Warum wollt ihr das wissen?" Ich zögerte und auch die anderen schienen keine richtige Antwort zu kennen. Jana zeigte auf Anica:,,Weil sie Anica das Leben gerettet hat." Wir anderen nickten und die Ärztin musterte uns erneut.
Schließlich schüttelte sie ganz langsam den Kopf:,,Nein, die Feuerwehr hat es verhindert. Allerdings hat sie sich ihr komplettes Bein zerschnitten und wird noch operiert. Ihr könnt sie ab morgen früh besuchen."

Obwohl niemand von uns Fenja besonders mochte, atmeten wir alle auf und Anica ließ sich auf ihr Bett fallen. Anna lächelte die Ärztin dankbar an. Jana stand auf und umarmte Anica erneut. ,,Ihr habt es beide geschafft...", flüsterte sie heiser. Anica nickte, obwohl ihr Blick traurig wirkte. Anna verstand den Blick und nickte zustimmend:,,Sie wird es wieder versuchen. Egal was kommt.Narben und Schmerzen kennt sie zu gut..."
Wir nickten und wieder umgab uns Stille. Verdammte Stille. Und sie würde bleiben, denn sie hatte uns eingewoben, wie eine Spinne ihre wehrlosen Beutetiere...

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt