Kapitel 85

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PoV Jana

Ich ließ mich auf den weißen Stuhl gegenüber von Annas Bett nieder. Irgendwie war ich merkwürdig angespannt und doch zugleich ruhig. Vielleicht weil ich wusste, dass es ihr nicht allzu schlecht ging, wo sie jetzt war. Vielleicht weil ich wusste; dass sie dort kaum kämpfen musste, ruhig atmen konnte und daraif warten, dass sie zeigte, wie stark sie wirklich war. Aber vielleicht war ihre Kraft schon lange fort und würde auch den letzten Tropfen Leben aus ihr saugen. Wie eine Spinne, die ihre Beute einspinnt und dann einfach tötet. Hinein in die ewige Finsternis schickt und nie wieder loslässt.

Sie war zwar noch nicht so lange hier gewesen und doch fehlte etwas ohne Anna. Als hätte man einfach ein Puzzelteil vergessen zu ergänzen. Und doch konnte ich nur hoffen, hier sitzen und darauf warten, dass sie aufwachte, bevor ich fort ging und sie vielleicht nie wieder atmen würde. Vielleicht stellten sie die Geräte ab und überließen sie dem Tod ohne einen weiteren Kampf dagegen. Ohne dass Anna kämpfen musste, im Leben leiden und sich gegen ihre Gedanken zu wehren. Ohne die ewigen Gedanken, die ihre Schatten waren. Egal wie es klingt, vielleicht ist das sogar besser für sie...

Ich schloss die Augen und versuchte mir vorzustellen, wie wir alle hier rauskamen. Glaubte zu sehen, wie jeder von uns zur Schule ging und die dunklen Erinnerungen hinter sich ließ. Glaubte zu sehen, wie wir unser Leben lebten und dabei die Gedanken immer wieder verdrängten. Aber egal wie sehr ich es versuchte, dort waren nur drei Gestalten vor meinen Augen: Anica,Nina und ich...
Und egal wie sehr ich es auch versuchte mir vorzustellen, wie Anna ein normales Leben führte, ich konnte es nicht. Und dieser Gedanke zog wie eine Wolke vor meine Augen. Aber Angst hatte ich nicht, glaubte Frieden zu spüren. Wünsche ich Anna grade den Tod?!

Nein, egal wie friedlich und ruhig Anna im Schlaf wirkte, irgendwie wusste ich, dass sie das nicht wollte. Das sie kämpfen wollte, aber nicht konnte. Das ihre Kraft dazu verbraucht war und sie verlassen hatte zm zuzusehen, wie die Schatten ihre kalten Finger nach ihr ausstreckten. Ihr sanft über die weiße Haut strichen und das friedliche Gesicht musterten. Wie sich die Hände in ihre Brust gruben und ihr Herz sanft berührten. Wie sie Annas letzten Atemzug beobachteten und dann die kalten Hände um sie schlangen. Und sie fortnahmen, für immer.

Ich öffnete meine Augen und verdrängte den Gedanken. Kurz kontrollierte ich, ob Annas Atem noch regelmäßig ging, dann seufzte ich kurz.
Warum mussten wir uns gegenseitig immer dunkle Gedanken bringen und konnten zugleich so gut welche zusammen vergessen?
Vielleicht würde Anna durch ihre Magersucht sterben, aber dann würde sie nur Tränen und Vorwürfe in diese Welt setzten. Ohne Hoffnung zu leben war schwierig und ich wusste, dass wir dann genauso sterben würden. Besiegt von unseren Gedanken und dem, weshalb wir hier sind. Kraftlos und zitternd am Boden liegend. Bereit endlich aufzugeben, egal wie hoch der Preis war...weil unsere Gedanken immer siegen!

Ich stand auf und ging langsam um das Bett herum zu ihrem Gesicht. Mein Blick glitt über das bleiche Gesicht und die friedlichen Züge darin. Die Anspannung und all die Qualen waren fort. Jede Emotion, jede Trauer einfach vortgewischt. Wie konnte ein Mensch nur so friedlich daliegen und zugleich um sein Leben kämpfen? Ich sah auf die fast weißen Lippen und glaubte zu sehen, wie jeder Atemzug immer flacher wurde. Glaubte die versteckte Kraftlosigkeit zu spüren. Warum konnten wir nicht einfach nornal sein? Dann würde Anna jetzt ein normales Leben leben...
Keiner von uns hat das verdient, aber wir müssen das durchstehen, sonst war unser Leben sinnlos...

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt