Kapitel 157

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PoV Jana

Ich lehnte meinen Kopf gegen Anicas Schulter und schloss einfach die Augen.Genoss es sie wieder als Freundin zu haben und hier so neben ihr sitzen zu dürfen. Mein Herz schien mit jedem Schlag die Stille durchbrechen zu wollen, die uns umgab. Auch Anica lehnte sich jetzt an mich und schloss ihre Augen. Und so verharrten wir, getauscht in Stille und Schweigen. Eine merkwürdige Freundschaft, beruhend aus Ruhe, Vertrauen und Verständnis. Ich glaubte nicht daran, dass es eine solche Freundschaft außerhalb eines solchen Ortes gab. Hier musste man so werden, sich dessen eingestehen. Fehler der anderen akzeptieren und daraus lernen.

,,Es tut mir Leid", flüsterte Anica wieder und ich zuckte bei diesen Worten erneut zusammen. Ich würden diese Worte nie wieder aus meinem Kopf bekommen können. Sie hatten sich sort eingebrannt. Schmerzhaft und doch mit so fiel feingefühl, als wären sie mit einer Pfauenfeder geschrieben worden.
,,Mir auch", flüsterte ich und hörte meine eigene Stimme dabei kaum. Aber Anica lächelte nur leicht und dann herrschte wieder Stille. Es tut mir Leid. Wie konnten sich diese drei Worte nur so heftig in meine Gedanken nisten? Es waren Worte voller Mitgefühl und ohne Stolz. Ehrliche Worte, ohne Lügen.

,,Willst du immer noch sterben?", fragte ich dann und es war als würde ein Messer den Mantel aus Stille zertrennen. Anica öffnete die Augen wieder und ich tat es ihr gleich. Braun traf auf blau. Aber ihre Augen waren trist geworden und ihr Lächeln verschwunden.
Ich wusste selbst nicht, warum ich Anica diese Frage stellte. Vielleicht einfach nur, weil ich sie nie wieder verlieren wollte, zumindest bis zu meiner Verlegung. Anica musterte mich kurz, dann senkte sie den Kopf. Ihre Stimme klang enttäuscht und entschlossen zugleich: ,,Nein und das weißt du genauso gut wie ich. Also bitte frag nicht mehr. Ich will diesen Tag vergessen."

Ich nickte. Sie tat mir Leid, das zu bereuen und dann doch nicht Ernst genommen zu werden musste schlimm sein. ,,Sorry-", began ich, aber Anica fiel mir ins Wort. ,,Vergessen?", wiederholte sie und ich nickte sofort. Dann lächelte sie wieder und sah zum Fenster. Ich folgte ihrem Blick, in die werdende Nacht. Vermutlich gab es kaum Menschen, die solch einen Anblick so sehr wertschätzten, wie jene, die psychisch am Ende waren und an einem Ort leben mussten, wo man ihnen half. Für jeden wurde die Nacht zu einem Schauspiel aus Traurigkeit und Geheimniss. Und der Tag von Hoffnung oder Trostlosigkeit geprägt.

Ich sah auf den Mond. Noch war er nur blass am dunkler werdenden Himmel zu sehen, aber das würde sich bald ändern. Der Mond war etwas besonderes, kalt gezeichnet; aber wunderschön. Ich liebte das Mondlicht einfach nur wegen den blassen Strahlen. So schön und abweisend zugleich.
Anica wusste, an was ich dachte und lächelte erneut. Normale Menschen nahmen das Zu- und Abnehmen des Mondes vermutlich kaum noch wahr. Für sie war es alltäglich. Aber hier drinnen veränderte sich das, man nahm alles viel mehr wahr. Genoss das blass weiße Licht, das die Nacht durchbrach und verglich es mit Hoffnung.

,,Hast du morgen Therapie?", fragte Anica und ich sah zur Seite. Dann nickte ich und sie ebenfalls. Klar hatten wir Therapie, obwohl es Anica nichts brachte. Mittlerweile hatte ich das Gefühl die einzig psychisch kranke von uns vieren zu sein. Nina hatte sich besser denn je im Griff, Anna hatte angefangen zu essen und Anica strahlte so viel mehr Hoffnung und Freunde aus, dass ich mich zwang manchmal mitzulachen. Aber innerlich war ich immer noch gebrochen. Ich wusste nicht, wie ich es weiter schaffen sollte, wenn ich hier weg war. Dann hatte ich niemanden mehr. Aber auch niemanden, der mich verletzte...

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt