Kapitel 112

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PoV Anica

Ich sah in den Sonnenuntergang und den blassroten Himmel. Wartete auf die Dunkelheit. Es hatte aufgehört zu regnen, aber heller war es nicht geworden. Der Himmel blieb bewölkt und doch war jetzt kurz die Sonne zu sehen. Sie warf lange Schatten in das Zimmer und ließ den Rest in einem dunklen rot und hellen orange erleuchten. Irgendwie musste ich sofort an ein Feuer denken und doch war jeder Strahl viel freundlicher als jeder Funken. Und egal wie sehr ich mich bemühte die Gedanken an diesen Tag zu vergessen, alles war noch da. Verbarg sich nicht in den Schatten, sondern wartete nur auf mich.

Ich drehte mich um und ließ mich auf den Boden sinken. Dann lehnte ich den Rücken gegen das Bettgestell und den Kopf in den Nacken. Kurz seufzte ich und schloss die Augen. Ich hatte Kopfschmerzen und zugleich das Gefühl jetzt sterben zu können. Jeder Atemzug fiel mir schwer und war zugleich leicht wie eine Feder. Vielleicht lag es einfach nur daran, dass ich seit heute morgen nichts gegessen hatte; aber das war nicht selten der Fall. Allerdings musste ich mir auch eingestehen, dass ich mich dafür hasste, dass ich Anna vergessen hatte.

Wir Menschen vergessen Dinge so leicht; dass wir es uns gar nicht leisten dürfeten an etwas festzuhalten... Ich fuhr mir durch die Haare und öffnete die Augen wieder. Selbsthass brachte eh nichts. Und doch war es ein Teil von unserem Leben; so dass wir vermutlich damit leben mussten.
Früher hatte ich selten über das Leben nachgedacht, umso mehr tat ich es hier. Und jeder Gedanke daran zeigte mir nur noch mehr, wie unterschiedlich jeder Psycho hier war. Ich seufzte wieder und sah wieder zum Fenster. Noch immer schien die Sonne ins Zimmer, auch wenn das Licht immer dunkler wurde.

Ich musste an meinen Suizidversuch denken und kurz wurde mir eiskalt. Wenn Fenja und die Anderen nicht gekommen wären; wäre ich jetzt vermutlich tot. Dann hätte ich Annas Koma nicht miterlebt. Aber dann hätte ich mich auch nicht mit Jana gestritten und wäre in Frieden und Freundschaft zu ihr gestorben.
Ich schloss wieder die Augen und dachte an Fenja. Warum hatte sie mich damals gerettet? Vermutlich hatte jeder diese Frage immer noch verborgen in sich. Warum rettet sie jemanden mit dem selben Wunsch? Bedankt hatte ich mich nie und sie hätte es vermutlich nicht angenommen. Sie war so anders als die Anderen ihret Station.

Fenja redete nie mit den Anderen, grenzte sich ab und ihre Gefühle kannte niemand. Vor allem seit sich ihre Zimmernachbarin das Leben genommen hatte; hatte sie sich zurückgezogen. Den Monat darauf hatte sie sich jeden Tag umbringen wollen und sich die Haut jede Sekunde aufgeschlitzt. Ich hatte noch nie jemanden so verzweifelt und traurig gesehen, wie sie damals. Aber leid getan hatte sie mir nie, nein sie tat mir nicht Leid. Ich konnte kein Mitleid für sie empfinden, nur Verachtung und vielleicht sogar Hass. Warum wusste ich nicht genau; konnte es nicht sagen. Vielleicht lag es einfach daran, dass wir zu unterschiedlich waren und ich sie dafür hasste sich jede Sekunde das Leben nehmen zu wollen.

Mein Blick wanderte zum tiefroten Himmel und ich musterte die leuchtenden Wolken. Selten hatte ich einen so intesiven Sonnenuntergang gesehen und doch spiegelte er das Leid dieses Ortes besser als jedes Wort. Und irgendwie musste ich sofort an Blut denken, dass sich seinen Weg nach unten suchte und den Himmel mit seinen Tropfen komplett einnahm. Ich stand auf und ging langsam zum Fenster. Die Wolken sahen genauso wie Blutstropfen aus und das tiefe Rot des Himmels reihte sich perfekt dahinter ein. Irgendwie bekam ich ein komisches Gefühl bei diesem Bild und doch schien es zugleich friedlicher als vieles andere dieser Welt...

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt