Kapitel 4

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PoV Anica

Eine Gänsehaut breitete sich in mir aus. Anna schien unsere Reaktion bemerkt zu haben: ,,Was ist mit ihr?" Ich schluckte. Dann sagte ich zögerlich: ,,Sie kommt von Station 4, für Depressionen und Suizidgefährdete. Jetzt ist sie fast 2 Jahre hier und ihr geht es nur beschissener. Eigentlich versucht sie jeden Tag einen neuen Selbstmordversuch und mitlerweile hoffen wir alle, das einer klappt. Sie ist nicht mehr zu retten, sie ist gebrochen." Ich sah das Erstaunen in Annas Augen. Dann nickte sie: ,,Ich hab die Narben und Kratzer an ihrem Hals und im Gesicht gesehen..." Wir anderen nickten.

Als ich neu hier war hatte ich Fenja öfters gesehen, mit Kapuze. Immer wieder hatte ich beobachtet, wie sie ein Messer aus dem Essraum mitnahm. Dann der Alarm und Sanitäter. Wie oft hatte sie es schon versucht? Zu oft um aufzuhören.

,,Warscheinlich denken sie, eine magersüchtige bringt sie von sowas ab", Nina lachte bitter und ich sah zu Anna, die zu Boden sah. Dann schaute sie zu Nina: ,,Glaubst du nicht dran?" Fast hätte ich aufgelacht. Fenja von ihren Suizidversuchen abzubringen war unmöglich.

,,Habt ihr es schonmal versucht?", fragte Anna schließlich und Nina sah mich an. Sofort schüttelte ich den Kopf. Nur Nina wusste von meinem einzigen Versuch, aber das war auch gut so. Nina und Jana verneinten ebenfalls. ,,Wir sind zwar alle Psychos,aber deswegen bringen wir uns noch lange nicht um. Depressiv zu sein ist anders als wir sind", meinte Jana schließlich und ich nickte, ,,Wir sollten sie in Ruhe lassen. Sonst trauern wir ihnen nach, wenn ein Versuch klappt." Ich nickte wieder und dachte an Johanna.

Sie war die frühere Zimmernachbarin von Jana gewesen. Beide waren unzertrennlich gewesen, bis sie schließlich entlassen worden war. Danach war Jana lange Zeit unansprechbar gewesen und hatte ihr Zimmer nicht verlassen. Nur Nina und ich hatten sie wieder aufbauen gekonnt.

,,Lasst uns über etwas anderes reden", meinte ich schließlich und Anna nickte danktbar. Auch die anderen lächelten etwas. ,,Weißt du schon welche Psycholohin du hast?", fragte Nina schließlich an Anna gewandt und aß den letzten Rest ihres Brotes auf. Anna schüttelte den Kopf: ,,Noch nicht." Ich nickte bloß und es kam wieder Stille.

,,Willst du nichts essen?", fragte Jana schließlich an Anna gewandt und auch ich sah zu ihr, doch sie schüttelte den Kopf: ,,Station 5." Sie lachte kurz und auch ich musste mir ein lachen verkneifen. Eigentlich war das nicht lustig, aber wir hatten uns das ja alle nicht ausgesucht. Wir waren halt alle Psychos; jeder auf seine ganz eigene Art.

,,Ist es sehr schlimm hier?", fragte Anna,als wir alle mit Essen fertig waren. Ich überlegte kurz. Eigentlich ja nicht; es war nur sehr eintönig und mir fehlte meine Familie und meine Freunde hinter den Mauern dieses Gebäudes. ,,Es ist okay", beantwortete Nina die Frage und ich nickte.

Sie hatte Recht, für manche war es hier vermutlich besser hier zu sein. Für andere wiederum war es hier sehr schlimm, schlimmer als irgendwoanders. Doch für uns war es okay, so war nunmal unser Schicksal, das Schicksal eines Psychos.

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt