Kapitel 48

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PoV Anna

Ich folgte Jana zu ihrem Zimmer und schloss dort hinter uns die Tür. Dann setzte ich mich neben sie auf ihr Bett und lehnte mich gegen die Wand. Kurz schloss ich die Augen und genoss einfach nur die Stille. Sie überdeckte für kurze Zeit meine Gedanken und dafür war ich ihr dankbar. Einfach mal aufzuhören zuzuhören, wie die Gedanken einem Wörter in den Kopf schrien und einen zu Boden zwangen. Einmal Ruhe vor den dunklen Händen, die sie nach einem ausstreckten um mich festzuhalten, damit ich zuhörte und nicht wegsehen konnte. Damit ich mir sagen ließ, wie wenig ich doch von meinem Gewicht verloren hatte. Scheiß Gedanken halt.

Dann öffnete ich die Augen wieder und sah zu Jana, die mich nachdenklich musterte. ,,Ist was?",fragte ich und lachte leicht auf. Manchmal schien Jana mir in tiefer Vergangenheit gefangen und manchmal war sie normal. Wie die Menschen außerhalb dieses Ortes. Doch sie schüttelte bloß den Kopf und ihr Blick wanderte zum Fenster. Ich seufzte:,,Du sollst nicht immer an deine Vergangenheit denken." Sofort fuhr Janas Blick zu meinen und sie sagte ernst:,,Und du sollst etwas essen!" Kurz sahen wir einander streng an. Dann mussten wir beide lachen. Auch wenn es falsch klang und nicht ehrlich war. An diesem Ort konnte man nun einmal nicht ehrlich lachen. Dazu war er zu karg und dunkel.

Als wir aufhörten, sagte lange niemand etwas. Wir saßen beide in unseren Gedanken fest. ,,Ab welchem Punkt würdest du Suizid begehen?",fragte Jana plötzlich abwesend und musterte mich. Die Frage traf mich unerwartet und doch musste ich sofort nachdenken. Es war eine interessante Frage und eine Antwort musste ich ja haben. Aber irgendwie fiel mir keine ein. Verdammter Kopf. Dumme Gedanken. Ich sah einfach zum Fenster und in die wolkenbedeckte Schwärze.
Ja, wann würde ich es versuchen? Vielleich nie. Vielleicht aber doch. Wer wusste schon, was die Zukunft mir bereithielt. Ich hatte keine Wahl zu meinem Schicksal. Aber eines war klar: Entweder man kam hier gesund raus oder man wurde depressiv und beging Suizid.

,,Ich würde es nur dann tun, wenn ich mir sicher bin, hier nie wieder rauszukommen", antwortete ich gedankenverloren, ,,Wenn ich keinen anderen Weg zur Freiheit sehe." Jana musterte mich und nickte dann. Was genau sie dachte,wusste ich nicht. Vielleicht beantwortete sie sich die Frage selbst? Ihr Blick war wieder zum Fenster gerichtet und ich konnte die Bilder sehen, die sie vor sich sah. Bilder wie man sie schlug.
Meine Bilder waren ganz anders. Ich sah mich vor dem Spiegel stehen, wie ich mich mit tränennassem Gesicht betrachtet. Meine Gestalt. Mein verdammtes Ich. Wie ich meinen Körperbau musterte und mich anschrie, für mein Gewicht. Wie meine Eltern mir immer wieder sagten, wie dünn ich doch wäre. Aber irgendwann hatten meine Gedanken die Verbndung zu diesen Worten abgebrochen.

Ich hasste meine Gedanken. Ich hasste sie so sehr. Aber jeder hier hatte sie. Nur waren sie immer unterschiedlich, denn jeder hatte nun einmal andere Probleme.
Janas Gedanken waren von ihrer Vergangenheit gezeichnet. Brannten ihr die Erinnerungen ein.
Ninas Gedanken waren bei ihrer Wut, wie diese sie zerfraß. Ihr das Feuer in den Körper pflanzten.
Anicas Gedanken waren von Freiheit und Hoffnung. Füllten es ihr in den Körper ohne entkommen.
Fenjas Gedanken waren dunkel und nur der Wunsch zu sterben war dort. Sie schrieben ihre Geschichte in die Haut, damit sie jeder lesen konnte.
Und meine Gedanken waren von meinem Gewicht und meiner Statur. Rammten mir mein Spiegelbild ins Herz, damit ich es nie vergaß.
Ja, ich hasste diese Gedanken. Und jedes Stück Stille griff ich mir und schloss es ein. Denn ich brauchte sie, mehr als je zuvor.

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt