Kapitel 86

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PoV Anica

Ich biss lustlos in das Käsebrot auf meinem Teller und sah kurz zu Jana neben mir. Auch sie schien schweigsam und nachdebklich. Ich wusste, dass sie bei Anna gewesen war, aber zugleich wusste ich auch, dass sie das nicht sollte. Wenn Anna nicht mehr aufwachen würde, konnten wir unsere Zukunft ohne die Dunkelheit vergessen.
Dann würde Jana die Klinik wechseln und still werden, dasitzen und sich von den Gedanken an diesen Ort zerreißen lassen. Und diese Gedanken wären dichter und düsterer als ihre verdammte Vergangenheit. Sie würden sie nur noch mehr fertig machen und ob sie das schaffte, wusste ich nicht.

Nina würde sich ihre Gefühle nicht anmerken lassen, aber die Trauer würde sich in ihr Herz bohren. Sie dort festkrallen und anfangen sich in Wut und Hass zu verwandeln. Die Vorwürfe würden an ihr zerren und sie würde Gründe suchen. Gründe, die es nicht gab und sinnlos waren zu beachten. Und dann würde sie sich mit jemand anderem am Boden liegend sehen, Blut im Gesicht und über die fassungslosen Augen rinnend. Die Lippen zu einen Trauerschrei verzerrt und den Atem immer ruhiger werdend. Ein letztes Blinzeln und dann würde sie sterben, hätte verloren gegen das Feuer in ihr.
Warum ich immer das selbe Bild von ihr vor Augen hatte, wusste ich nicht...

Und ich würde vermutlich alles um mich herum vergessen. Mich vergessen und nur noch in den Tränen ertrinken wollen. Würde versuchen mir das Leben zu nehmen um nicht allein zu sein. Aber ich würde immer zögern, weil ich verdammte Angst vor dem Tod hatte. Und dann würde ich mich ritzen, wie Fenja. Mir die Haut aufschlitzen um einen Sinn in meinem Leben zu suchen. Ich würde mir die Klingen immer tiefer und fester über die Haut ziehen. Das Blut betrachten und mich für meine nicht getanen Taten hassen.

Ich schüttelte den Kopf.
Nein, ritzen würde ich mich niemals, zu nahe lag es an der Dunkelheit. Aber ich würde meine Gedanken zur Freiheit nicht mehr im Griff haben und mich ihnen irgendwann vielleicht überlassen. Und dann würde ich sterbend in einer Ecke liegen, Tabletten neben mir um den Wumsch nach Freiheit zu stillen. Schon lange vergessend, wer ich einst gewesen bin. Ich würde in den grauen Himmel schauen und meine eigenen Tränen über mein Gesicht rinnen fühlen. Aber sie wären lautlos und gefühlskalt. Und dann würde ich doch sterben, weil diese scheiß Sucht stärker war als ich. Egal ob ich es zugeben wollte oder nicht: Ich musste es zugeben.

,,Wo ist Nina?", fragte Jana plötzlich und unterbrach meine Gedanken damit komplett. Ich zuckte mit den Schultern und sah zur Tür. Wo sie war, wusste ich wirklich nicht, aber ihr ging es sicher gut. Und wenn nicht, stritt sie sich. Eigentlich war mir Ninas Wut meist egal, sie griff mich nicht an und ich sie nicht.
Früher hatte sie mir oft Worte an den Kopf geworfen, aber mit der Zeit hatte sich das gelegt. Und seit sie Lynn im Zimmer hatte, hatte sich das ganz geklärt.

Kurz lächelte ich bei dem Gedanken daran, wie beide sich immer aufs Neue fertigmachten. Und egal wie gut sie sich grade verstanden, Frieden zwischen zwei hungrigen Raubtieren konnte nicht für immer halten. Er zerriss, weil man nur sich sah und nicht merkte, dass beide litten. Und egal wie sehr es schmerzte, jeder hatte seine Wut an der Seite, die einem Hass zuschob um sich zu bekriegen.
Jana nickte bloß und ich sah es an ihren braunen Augen, dass sie schon wieder in Gedanken versank.
In einem riesigen Ozean aus Gedanken und Wellen von Zukunftsbildern. Guten und schlechten. Aber meist siegten die dunklen von ihnen...

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt