Kapitel 55

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PoV Anica

,,Ich weiß es nicht...", wiederholte ich erneut und die Psychologin vor mir musterte mich wie die letzten Male auch. Dann schaute sie mir wieder direkt in die Augen:,,Du weißt nicht, warum du dir das Leben nehmen wolltest?" Ich schüttelte den Kopf und ein Schauder durchfuhr mich. Immer noch wusste ich es nicht, obwohl es meine Gedanken waren, die dies entschieden hatten. Warum ließ man mich nicht einfach damit in Ruhe? Ich wollte es nie wieder tun, da war es ja wohl scheiß egal, wie es mir jetzt ging und warum ich es getan hatte, oder?!

Kurz schob die Frau vor mir ihre Brille zurück, dann notierte sie sich irgendetwas und sagte dann:,,Mit mir kannst du über soetwas reden, ich komme von Station 4 und habe viele mit ähnlichen Problemen behandelt, wie dir. Außerdem-" Ich sprang einfach auf, den Schmerz ignorierend. Dann schrie ich der Psychologin meine Worte entgegen:,,Ich bin nicht suizidal! Ich werde es nie wieder tun! Ich weiß nicht, warum ich es wollte! Wann kapieren sie das endlich?!" Schwer atmend vor Schmerzen und Schwäche ließ ich mich zurück auf das weiße Bett sinken. Scheiß Versuch, scheiß Schmerzen, scheiß Schnitt an der Pulsader. Warum machte es einen nur so schwach?!

Die Psychologin starrte mich kurz an, dann nickte sie langsam und stand auf. ,,Ruh dich lieber aus. Nachher reden wir weiter." Dann verließ sie den Raum und ich sah ihr nach. Ich wollte nicht mehr mit ihr reden. Niemand sollte sich mit meinen Problemen beschäftigen, wenn man mich ja doch nicht verstand! Ich sah auf meinen Verband und hätte ihn am liebsten abgerissen. Nur um die Wunde zu sehen, die Wunde, die mein Leben beenden sollte, obwohl ich es nie wirklich gewollt hatte. Sie war so tief gewesen. So schmerzhaft. Und was hatte sie mir gebracht? Dumme Fragen und scheiß Psychologen, die mich als Suizidgefährdet einstuften!

Die einzige Psychologin, die mir glaubte war die, die mich immer behandelte. Sie verstand mich hier am meisten, aber auch sie war machtlos. Ich ließ mich seufzend nach hinter fallen und ignorierte die scheiß Schmerzen in meinem linken Unterarm. Egal wie sehr es schmerzte, ich war selber Schuld. Schuld daran, wie meine Gedanken waren.
Ich hatte immer gedacht, das uch stark und mutig war. Ja, mutig war ich noch immer. Aber Stärke besaß ich nicht mehr. Ich war schwach, verdammt schwach. Ein schwacher Psycho, dessen Hoffnung immer mehr schwindet, weil man ihn nicht versteht. Weil alle denken, das er sich wieder versuchen könnte sich das Leben zu nehmen.

Ich setzte mich auf und schaute mit glasigem Blick erneut auf den Verband. Es würde eine Narbe bleiben, eine unscheinbare Narbe, die mich für immer daran erinnern würde, wie nahe ich der endlosen Freiheit gewesen war. Aber sie würde mich auch daran erinnern, was ich alles zu verlieren hatte. Sie würde mich an diesen Tag erinnern, an dem ich mir das Messer genommen hatte und es ohne zu zögern durchgezogen hatte. Sie würde da sein und mich an all das erinnern. Aber all das zeigte doch auch Stärke, denn ich widrsetzte mich meinen Gedanken und Gefühlen, oder?

Vorsichtig zog ich mit zwei Fingern den Verband entlang, dort wo der Schnitt saß. So ein schneller und kurzer Schnitt. So leicht, so viele Folgen. So schmerzhaft. Und sie würde nie wieder fortgehen und meine Erinnerungen mitnehmen. Noch ein paar Minuten ohne Rettung und ich würde nicht mehr hier sein. Ich wäre tot gewesen, ohne eine Narbe. Ohne Schmerzen. Andere würden sie ansehen und denken, ich hätte gewusst, warum ich das tat. Andere würden mich meiden. Warum war es nur so einfach sich das Leben nehmen zu können und so schwer es zu leben?

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt