Kapitel 131

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PoV Anica

Ich betrat den Essraum und merkte sofort die Stille, die mir entgegenschlug. Klar war es zu früh zum Mittagessen, aber trotzdem waren hier meist viele Leute. Erst dann bemerkte ich Fenja, die an der Wand lehnte, die Kapuze über den Kopf und glaubte kurz ein verräterisches Glitzern von Tränen in ihren Augen zu sehen. Auch wenn sie nicht weinte, diese Tränen waren da. Und ich bewunderte sie kurz dafür sie winfach zu ignorieren und nicht zuzulassen. Dann verschwand das Glitzern und sie verließ den Essraum. Den Blick zu Boden und den Kopf gesenkt. Und doch so stolz, dass das Gesamtbild zu brechen schien.

Frau Tölke folgte ihr bloß kopfschütteld und die andere Pflegerin daneben seufzte. Gerade betrat eine Psychologin mit weißem Hemd den Raum und ging zu dieser. Ich beachtete sie nicht weiter und ging zu meinem Tisch. Zwei Stühle waren zurückgeschoben und ich schob sie einfach wieder zurück. Dann setzte ich mich auf meinen Platz und starrte zur Decke. Einfach auf die einzelnden weißen Platten, die musterlos und kästchenförmig angeordnet waren. Durzogen von graunen Linien, die sich irgendwann wieder im Nichts verloren oder einfach abbrachen. Gedankenverloren fuhr ich ein paar der Linien mit den Augen nach.

,,Darf ich kurz mit dir sprechen?", fragte plötzlich jemand und ich wandte den Blick von den Decke ab auf eine blonde Frau. Sie lächelte und ich erkannte sofort die Psychologin von vorhin wieder. ,,Klar", sagte ich schnell und lächelte ebenfalls. Sie dankte mir kurz und setzte sich dann gegenüber von mir. Mein Blick fiel auf ihr Namensschild. Juliane Zynk. Irgendwoher kannte ich diesen Namen und doch schien er unbekannter als alles andere. Ich musterte das junge Gesicht und mit jeder Kontur schien es mehr und mehr, als wenn ich diese Psychologin irgendwoher kannte. Aber erst als sie es aussprach viel es mir wieder ein und ich zuckte unmerklich zusammen.

,,Ich bin die Psychologin von Fenja und möchte gerne einmal etwas über sie von anderen Patienten wissen und ich habe dich ausgewählt; weil sie-", sie stockte kurz und überlegte, ,,-Naja...sie hat dir quasi das Leben gerettet. Wütdest du mir deswegen ein paar Fragen beantworten?" Sie lächelte wieder kurz und zog einn kleinen Notizblock aus ihrer Hosentasche. Daran klemmte ein winziger schwarzer Kugelschreiber. Diesen zog sie vom Block und klappte dieses auf. Er war schlicht schwarz mit vollgeschriebenen Seiten und kleinen roten Notizen und Anmerkungen am Rand.
Dann sah sie wieder zu mir.

Zögerlich nickte ich dann und hoffte einfach, dass die Fragen nicht allzu tiefgründig werden würden. Frau Zynk schien erleichtert und schlug eine noch freie Seite auf. Dann klickte der Kugelschreiber einmal und sie sah mich an. ,,Warum glaubst du hat Fenja dir geholfen?", fragte sie dann und setzte ihren Kugelschreiber auf die Seite auf. Dann wartete sie auf eine Antwort.
,,Ich glaube, sie meinte, dass ich es hier raus schaffen sollte. Weil sie nicht wollte, dass wir ihr in diese Gedanken aus Suizid folgen und nicht das durchleben, was sie tut", sagte ich nach kurzem Überlegen und erinnerte mich an die kurzen Gesprächsbruchstücke mit ihr.

Frau Zynk notierte sie schnell etwas davon, dann sah sie wieder auf. ,,Wie oft war Fenja bei ihrem Aufenthalt auf Station 5 hier?", fragte sie als Nächstes. Ich zuckte mit den Schultern:,,Meines Wissens kein einziges mal." Frau Zynk seufzte traurig und notierte sich eine Null. ,,Hat sie viel mit euch geredet?", fragte sie nach kurzem Überlegen. Ich schüttelte den Kopf:,,Fast nie." Die Antworten schienen immer knapper zu werden. Frau Zynk notierte sich wieder etwas. Dann sah sie wieder auf. ,,Noch eine letzte Frage: Glaubst du, dass es etwas oder jemanden gibt, für den Fenja ihre Gedanken aufgeben würde?" Sie schaute mich lange an und ich schwieg. Doch eigentlich war die Antwort klar. Leider. ,,Nein...", flüsterte ich fast.

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt