Kapitel 82

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PoV Anica

Ich schloss die Zimmertür hinter Jana und seufzte. So sehr ich unsere Gespräche auch liebte, je seltener konnte ich meine Gefühle verstecken. Ich war nicht mehr wie damals, am Anfang. Mein Ich war bereit sich dem Tod zu übergeben und mein Verlangen nach Freiheit wuchs immer weiter. Aber das würde ich Jana niemals zugeben. Denn sie sollte dort in der anderen Klinik glücklich sein. Ohne Sorgen ein neues Leben ohne mich beginnen. Dort ging es ihr sicherlich besser und meine Probleme musste ich noch ein wenig verstecken. Auch wenn es mir immer schwerer fiel meine Gedanken zu verstecken und Jana anzulügen. Und mein Ich wollte sich dafür das Leben nehmen, für dieses falsche Ich!

Dann ließ ich mich auf mein Bett sinken und dachte einfach nur nach. In letzter Zeit hatte ich das viel zu selten getan, einfach einmal mit meinen Gedanken alleine sein und ihnen zuhören, auch wenn ich sie hasste.
Obwohl ich keine schwarzen Krallen und blutrote Augen in den Schatten sehen wollte. Ich wollte nicht sehen, wie sich Jana distanzierte. Ich wollte nicht sehen, wie Anna nie wieder aufwachte und für immer von der Dunkelheit festgehalten wurde. Wie die Krallen ihr das Leben herausrissen und es mitnahmen, für immer...

Eines Tages würde ich eh weg sein, an einem blauen See mit klarem und ruhigen Wasser stehen. Einmal hinter mich auf den steinigen und steilen Weg sehen, den ich gegangen war und der auch weiter hinauf in die Berge führte. Er würde schmal sein, nur für mich gemacht, denn meine Weggefährten waren schon lange weitergelaufen oder abgebogen. Hatten diesen Weg verlassen. Denn er war ihnen zu anstrengend geworden, zu gefährlich gebaut um ihn weiterzugehen. Aber ich hatte ihn genommen, denn das war mein Weg gewesen und dann würde ich an diesem See stehen. Auf das Wasser sehen und kurz den Moment des Friedens genießen.

Und dann würde ich einfach in den See waten und mich kurz in das kalte und zugleich gut zuende Wasser werfen. An der Oberfläche treiben und in die kommende Nacht sehen, zum klaren Mond und den letzten Sternen, die ich je sehen würde. Das letzte Mal in mein verdammtes Leben zu sehen und die kühle Abendluft einatmen. Das Wasser um mich herum zu genießen und meine Narben vom Weg zu kühlen, die Schmerzen zu lindern. Dann würde ich kurz die Augen schließen und tief Luft holen, mich auf mein Schicksal vorbereiten.

Und dann würde ich abtauchen, in das kalte und immer dunkler werdende Wasser. Würde meine Gedanken und Gefühle hinter mir lassen und für immer vergessen. Ich würde mich nicht  zum schwindenden Licht umsehen, immer weiter in die Dunkelheit hinabtauchen und nicht auf den Wunsch zu atmen achten. Ich würde einfach nur immer tiefer tauchen und meine langsam schwindenden Kräfte ignorieren. Würde die schmerzende Lunge und die wenig Energie, die ich noch hatte ausblenden. Mich auf das Schwarz unter mir konzentrieren und immer tiefer tauchen. Ohne Gefühle oder Emotionen, ohne Reue oder Trauer. Und irgendwann würden meine Augen zufallen und sich für immer schließen...

Der Gedanke daran machte mir irgendwie keine Angst, machte mich sogar ein wenig glücklich. Nicht der Wunsch zu sterben war da, sondern der Wunsch von Freiheit und dem eigenen Willen...und dafür würde ich jederzeit den Tod in Kauf nehmen. Denn dort war keine Angst mehr davor, weil man nichts mehr tat.
Aber es musste ja auch nicht mit Suizid enden, obwohl es fast unmöglich war gegen diese Gedanken zu kämpfen. Meine Kraft schwand jeden Tag, obwohl man es mir nicht ansah. Ich war eine lebendige Maske zwischen dem Leben und den Tod. Eine zugleich Tote und Lebendige in einem Netz aus Gedanken gefangen.

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt