Kapitel 143

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PoV Fenja

Ich öffnete meine müden Augen und sah schwach zum Fenster. Die ersten Sonnenstrahlen fielen durch die Vorhänge. Wenn auch nur schwach, das Licht war da. Ich ließ den Kopf wieder auf meine Schulter sinken. Die ganze Nacht hatte ich so gesessen und an Paulas Brief gedacht. Ihre letzten Worte, ihre letzten Gedanken. Frau Tölke war irgendwann eingeschlafen und ich hätte am liebsten darüber gelächelt. Aber mein Lächeln hatte ich verloren, wenn ich es tat, dann nur als Maske. Mein wahres Ich kannte niemand mehr, selbst ich vergaß es jeden Tag mehr und mehr aufs neue. Ich glaubte meiner Maske.

Ich hob wieder den Kopf und hielt meine müden Augen mühsam offen. Jeder Muskel schrie nach Schlaf, als ich vom Bett aufstand und leise ins Bad ging. Sofort lag Frau Tölkes verschlafender Blick auf mir. Aber was sollte ich tun? Abschließen konnte ich es eh nicht und auch die Tür zum Flur der Station war verschlossen. Und dazu kam diese Kamera. Wie ein Auge schien sie jeden Wimpernschlag zu kontrollieren. Ich schloss die Tür hinter mir und ging dann zum Spiegel. Eigentlich wollte ich nie wieder hineinsehen. Mich sehen, aber ich musste es tun. Musste mein zerstörtes Ich betrachten.

Die dunklen und zugleich fast unscheinbaren Augenringe. Die tristen grünen Augen ohne Glanz. Die trockenen und aufgeplatzten Lippen. Die blonden Haare unter einer nachtschwarzen Kapuze verborgen. Das vernarbte Gesicht von Traurigkeit und Selbsthass geziert. Dazu der schwarze Hoodie mit den Ärmeln, die an narbigen Handgelenken endeten. Die vernarbten Hände und der Verband an meiner einen Hand. Ja, ich war nicht hübsch. Aber für wen denn auch, für wen sollte ich leben und mich durch dieses beschissene Leben quälen?
Ich strich mir durch die Haare, soweit die Kapuze das zuließ. Dann seufzte ich und sah in die grünen Augen meines Spiegelbildes.

Früher hatte ich mir hier immer gestanden und die Wunden an meinem Körper betrachtet. Die Blutergüsse, die frischen Schnitte, die Narben und diesen leeren Körper. Und manchmal hatte Paula neben mir gestanden und sich selbst genauso angesehen. Aber ihre Haare waren braun gewesen. Ihre Haut bis auf die Handgelenke unversehrt und die Augen blau und noch mit ein wenig Glanz. Wir waren unterschiedlich im Aussehen, aber fast identisch im Inneren gewesen.
Aber jetzt war sie fort, für immer. Ich würde nie wieder neben ihr stehen und für sie einstehen können. Denn das hatte ich getan, aufgepasst, daas sie sich nicht verlor.

Die Tränen, die mir wieder in die Augen stiegen schienen glanzlos. Ich starrte einfach nur geradeaus auf mein Spiegelbild. In die Augen ohne Hoffnung. Ich durfte nicht weinen, keine Schwäche zeigen. Sie wird nie wiederkommen... Ich ignorierte die Tränen. ...sie ist tot, fort für immer... Ich biss mir auf die Unterlippe. Scheiß Gedanken. Warum musste sie mir diesen Brief schreiben, diesen fucking Brief?! Ich sah kurz zur Seite. Nicht weinen...
Es durfte nicht wie damals werden, nachdem ich von ihrem Selbstmord erfahren hatte. Nein, ich wollte das nicht, es machte einen schwach und emotional. Eine scheiß Kombination.

Als ich wieder in den Spiegel sah, war meine Sicht leicht verschwommen. Dann schloss ich die Augen und spürte; wie eine Träne sich löste und auf sie Fliesen tropfte. Sofort öffnete ich sie wieder und sah in meine Augen. Eine weitere Träne floss über meine Narben im Gesicht und fiel dann ebenfalls auf den Boden. Schwach... Ich wusste nicht; wann ich das letzte mal geweint hatte. Vermutlich wollte ich es auch einfach nicht wissen und hatte es verdrängt. Dann wischte ich mir mit einem Ärle über die Augen. Ich würde nicht mehr weinen, auch wenn mich dieser Brief innerlich immer mehr zerreißen würde.

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Also, ich hab wieder WLAN, also kommt fast täglich ein Kapitel. Und was würde da besser passen als ein Fenja-Kapitel zum Auftakt? :D
LG
FantasySoja

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt