Kapitel 65

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PoV Nina

Ich trat vorsichtig wieder zu Lynn und sah zum ersten Mal, wie sich Tränen einen Weg über ihr Gesicht bahnten. Fast glaubte ich die Schwäche und Kraftlosigkeit von Lynn zu spüren. Ich hatte sie immer als stark und kampfbereit erlebt, wie sollte ich mir diesem inneren Ich umgehen? Erst jetzt verstand ich, das Lynn eine Mauer aus Wut um ihr wahres Ich gesponnen hatte um es vor allen Anderen zu verstecken, tief in sich zu begraben. Niemals hätte ich daran gedacht. Ich hatte immer nur die andere Lynn kennengelernt, die ohne Reue und voller Hass. Die, sie sich in den Tod stürzen würde, wenn sie mich mitreißen könnte.

,,Bist du bescheuert?", fragte ich und wunderte mich, wie sanft meine Stimme klang. Auch diese Sorge darin kannte ich nicht. Selbst bei Anica hatte ich sie nie gehabt. War mir Lynn etwa wichtiger? Vielleicht, weil wir das selbe Schicksal hatten und uns besser kannten, als jeden anderen. Weil unsere Welten gleich dunkel und voller Feuer waren. Vielleicht, weil wir einander brauchten um unsere Aggressionen abzubauen und es nur taten um Stärke zu beweisen. Weil keiner von uns schwach dastehen wollte, schlugen wir uns. Zerschnitten aber eigentlich nur gegenseitig unsere Herzen. Warum begriff man soetwas erst, wenn es drohte für immer verloren zu gehen?

Lynn sah nicht einmal auf, betrachtete nur das Blut auf ihrem Arm. Es war keine allzu tiefe Wunde und doch musste sie höllisch schmerzen, so brutal war die Haut aufgerissen worden. An jedem anderen Tag hätte ich ihr jetzt einen Schlag ins Gesicht verpasst, aber ich konnte nicht. Ich empfand nur Mitleid mit meinem Spiegelbild vor mir.
,,Lynn...", hob ich wieder an, aber mir fehlten die Worte und ich wollte nichts falsches sagen.
Also setzte ich mich einfach auf den Stuhl und musterte Lynn, wie ihr stumme Tränen über die Wange liefen und sich auf dem Boden mit ein paar Blutstropfen vermischte. Sah sie einfach nur an und wusste zugleich, wie es ihr ging, was sie fühlte. Die Sucht es einfach zu beenden, weil man keine Kontrolle mehr hat...

Plötzlich aber stand sie auf und ich tat es ihr gleich. Selber überrascht, wie ich Lynn ins Bad folgte und in der Tür stehen blieb. Dann sah ich ihr zu, wie sie sich das Blut vom Arm abwusch und das Gesicht vor Schmerzen verzog, als das eisige Wasser auf sie frische Wunde traf. Aber sie fasste sich schnell wieder und bewunderte sie fast ein wenig für ihre Stärke. Sie war stärker als ich...
Dann drehte sie sich zu mir um und stand kurz einfach nur so da, den tropfenden und von blutigen Spuren gezierten Arm an ihrem grauen T-Shirt abtrocknend. Er hinterließ auch ein paar rote Fäden, aber es schien ihr egal zu sein. Erst dann sah sie mir tief in die Augen und ich spürte, wie es auch mich erneut zerriss. Ich wusste genau, was sie fühlte, obwohl wir uns so sehr hassten. Weil unsere Schicksale gleich waren, die Gefühle und Gedanken die selben..

,,Guck nicht so-", murmelte sie und ich sah, wie sie kurz lächelte, ,,-Darf ich nicht auch einmal meine Gefühle unkontrolliert lassen?" Kurz musterte ich sie nur und musste auflachen, so komisch war die Situation. Ehrliche und keine leeren Worte. Keine dummen Beleidigungen und kein Streit. Trotzdem blieb ich wachsam und ließ Lynn nicht aus den Augen. Man konnte nie wissen...
Ich wollte gerade wieder zu meiner Frage anheben, als Lynn zu Reden began. Ihre Stimme klang etwas brüchig, aber gefasster; als ich es erwartet hätte;,Meine Eltern ziehen nach München und dort gibt es eine Tagesklinik, die mir meine Psychologin empfohlen hat..." Unsere Blicke trafen sich und zum ersten mal war dort kein Hass:,,Es ist vorbei Nina, du musst dir jemand anderen zum streiten suchen..." Kurz war ich einfach nur überrascht, dann musste ich lachen. So komisch es auch war mir vorzustellen mich nicht mehr gegen sie lehnen zu müssen, so sehr brach es mir das Herz.
Warum merkte man immer erst so spät, wen man wirklich an seiner Seite brauchte?

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Wie findet ihr diese Wende? Wenn ihr die nicht gut findet, kann ich gerne ein Ersatzkapitel schreiben und dieses ersetzten. ;)
LG
FantasySoja

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt