Kapitel 126

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PoV Anica

Das Leben ist zu kurz um zu streiten und doch tun wir es. Wir können jeder Zeit Freunde verlieren und neue finden, weil unsere Welt aus Veränderungen besteht und doch muss man an Dingen festhalten. Ich darf mich nicht von Jana trennen, darf nicht mit ihr im Streit auseinandergehen. Aber ich werde es vermutlich, weil mein Ich zu dumm ist zu verstehen, wie das Leben tickt. Aber wie soll ich mein eigenes Ich verstehen, wenn ich es nicht will?
Eines Tages sind wir für immer getrennt, in einer Woche, sieben Tages, hundertachtundvierzig Stunden und tausendundachtzig Minuten. Von den ganzen fucking 608,800 Sekunden, die ich in meinen Gedanken bin ganz zu schweigen. Zu viel Zeit...

Ich stand von meinem Bett auf und ließ mich sofort wieder nach hinten fallen. Mir war unendlich schwindelig und ich hatte totale Kopfelschmerzen. Warum wusste ich nicht. Vielleicht von den zwei Stunden, die ich auf diesem Bett gelegen und über das Leben nachgedacht hatte. Über jeden einzelnden Moment, den ich hier gewesen war. Über jede Tat, jedes Gefühl und jedes Wort. So viele Lügen, die die ganzen Wahrheiten verdeckten. Einfach alles, alles in meinem Leben an diesem Ort, an dem ich selbst Schuld war hier zu sein.

Ich stand wieder auf und ignorierte die schwarzen Punkte, die sich langsam in mein Sichtfeld schoben. Dann ging ich ins Bad und klatschte mir dort kaltes Wasser ins Gesicht. Das ich dabei auch die Wand traf, blendete ich aus und musterte bloß mein zerstörtes Spiegelbild. Meine Haare hingen mir matt über die Schulter und waren etwas zerzaust. Aber die Augenringe zierten mein gesamtes Gesicht und ich atmete hörbar ein. Hatte ich so wenig geschlafen in letzter Zeit? Ich schluckte kurz und klatschte mir wieder einen Wasserschwall ins Gesicht. Es besserte mein Aussehen zwar nicht, aber immerhin verschwanzen die schwarzen Punkte.

Ich stellte das Wasser ab und sah wieder in den Spiegel. Kalte Tropfen rollten über mein Gesicht und ich blinzelte kurz. Fast sahen einige aus wie trostlose Tränen, die sich ihren Weg zum Boden suchten. Aber es waren keine salzigen Tränen, eher welche, die niemand brauchte, die niemanden interessierten. Meine Lippen waren an einigen Stellen aufgepltzt und ich fuhr mir mit den Fingern darüber. Über das helle Fleisch unter der Haut und zuckte dann zusammen, als ich eine schmerzende Stelle traf. Es brannte und ich ließ meine Hand wieder sinken. Kurz musterte ich noch mein Spiegelbild, dann drehte ich mich wieder um.

Ich verließ das Bad nicht, sondern kniete mich auf die Fliesen und atmete kurz tief durch. Dann setzte ich mich dort an die Wand und sah die Kacheln an den Wänden an. Hier drinnen war es kühler als im stickigen Zimmer und irgendwie mochte ich es mit den Augen die Spuren zwischen den Fliesen zu folgen und mich in einem nie endenden Labyrinth zu befinden. Und doch war dieser Anblick zugleich traurig und dunkel.
Ich schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen die kalte Fliesenwand hinter mir. Dann atmete ich tief durch und genoss es einmal allein in dieser Stille zu sitzen.

Ich musste wieder an meinen Suizidversuch denken. Es schien so viel Zeit verstrichen zu sein, seit ich mir das Messer über den Arm gezogen hatte. Ohne Zögern, ohne Gedanken. Ich hatte es winfach getan, weil ich nicht mehr konnte. Und ich hatte dafür bezahlt, dür diese Dummheit. Annas Worte waren wieder in meinen Kopf, ein Netz aus Gedanken. Ich hatte mich vermutlich wirklich geändert, weil ich nicht mehr sterben wollte. Weil ich die Dunkelheit hasste und sie vermeiden wollte. Aber nicht jeder Mensch konnte sich ändern. Einige werden für immer Anders bleiben...

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt