Kapitel 115

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PoV Jana

Ich blickte in die aufgehende Sonne und wusste zugleich, dass es nicht gut war daran zu denken. Noch eine Woche... In einer Woche würde ich hier endlich weg sein, weg von diesem Ort ohne Freunde. Und selbst wenn ich in der neuen Klinik nicht sofort Freunde finden würde, es war auf jeden Fall besser als hier zu sein und jeden Tag Anica über den Weg laufen zu müssen. Ich war nicht sicher, was ich tun sollte, sobald ich sie sehen würde. Vermutlich würde ich ihr ausweichen und innerlich zerbrechen. Aber das war nichts neues, Lügen kannte ich nun einmal sehr gut.

Ich sah zu Charlotte, die gerade zur Tür ging und sich umdrehte. ,,Kommst du?", fragte sie und zog den Reißverschluss ihrer hellroten Sweatshirtjacke hoch. Ich nickte und löste mich vom Fenster. Dann folgte ich ihr auf den Flur und schloss die Tür. Es war noch niemand da um sich auf den Weg zum Essraum zu machen. Wir waren ja auch früh, warum wussten wir beide vermutlich nicht einmal genau.
,,Kann ich mich mit an deinen Tisch setzten?", fragte ich Charlotte beiläufig und holte auf, bis ich neben ihr lief. Sie musterte mich kurz nachdenklich und nickte dann.

,,Klar und ich frag auch nicht,warum", meinte sie und lächelte kurz. Aber es erlosch sofort wieder. ,,Danke", sagte ich bloß und sah wieder zu Boden. Vielleicht war ja immerhin Charlotte eine Art Freundin für mich. Sie kannte mich gut und doch nicht gut genug. Aber sie verstand mich auf jeden Fall besser als Anna,Nina und Anica.
Ich folgte ihr ins Treppenhaus und wich dann kurz zurück, als eine Pflegerin an uns vorbeiging. Sie nickte uns kurz zu, dann eilte sie die Treppen hoch und in den Flur unserer Station. Ich beeilte mich hinter Charlotte herzukommen und blieb dann neben ihr stehen.

Zusammen betraten wir den Essraum. Er war noch leer, nur eine weitere Pflegerin saß an einem Tisch und nnotierte sich etwas. Ich kannte sie nicht, aber sie beachtete uns auch nicht. Charlottes Tisch stand in der hintersten Ecke des Raumes. Sie setzte sich auf einen der Stühle und zeigte dann auf den neben sich. ,,Du kannst da sitzten. Jessica von Station 5 kommt vermutlich eh nicht zum Essen", sagte sie und lächelte wieder traurig. Ich setzte mich auf den Stuhl und sah an die Wand vor mir. Grau und trostlos, vom Alltag hier gezeichnet unf trotzdem nur ein Zuschauer.

,,Hey", sagte plötzlich jemand hinter uns und ich drehte mich um. Joelyn lächelte uns zu und setzte sich gegenüber von mir auf den Stuhl. Sie nahm sich sofort ein Brot und sah dann zu Charlotte. ,,Hi,Joelyn. Ich hab Jana mitgebracht, hoffe das stört dich nicht", sagte Charlotte und nahm sich auch ein Brot. Joelyn zuckte bloß mit den Schultern:,,Überhaupt nicht." Ich lächelte ihr zu und nahm mir auch ein Brot. Joelyn sah kurz hinter mich, dann wieder zu mir. ,,Wie geht es Anna?", fragte sie freundlich und wieder fragte ich mich, wie dieses Mädchen Aggressionsprobleme haben konnte. Joelyn passte wohl m wenigsten an diesen Ort von allen Psychos hier.

,,Sie ist gestern aufgewacht, meinte eine Ärztin. Ich kann sie heute Mittag besuchen kommen", meinte ich nur knapp und biss mir auf die Unterlippe. Ich wollte nicht zu Anna. Einfach nur noch weg von diesem Ort und alles vergessen. Die Freundschaft hier, die Menschen und Annas Koma. Ich hasste mich zwar für diesen Gedanken und doch konnte ich nicht so weitermachen. Es war Anna gegenüber nicht fair und doch musste es sein. Sonst würde ich mich wieder an die schönen Tage hier erinnern und daran nur noch mehr zerbrechen. Wie an meiner Vergangenheit und dessen Verlusten...

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt