Kapitel 161

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PoV Anna

Ich ging die Treppen zum Essraum hinunter. Meine Augen brannten. Geschlafen hatte ich nicht wirklich, den Grund kannte ich nicht. Vielleicht war es einfach zu viel, das Koma und der Tod meiner Eltern, der mich innerlich zerriss. Ja, ich vermisste sie und zugleich merkte ich, wie stark ich mich schon von ihnen gelöst hatte, seit ich hier war. Ich hatte gelernt mit mir und meiner Psyche klarzukommen und dabei nie an sie gedacht. Und vermutlich war es gut so von ihnen Abschied zu nehmen, anstatt dabei zu sein. Denn zu ihrer Beerdigung würde ich nicht gehen. Alte Wunden sollten lieber zu Narben und nicht zu neuen Schnitten werden.

Meinen Bruder würde ich viel mehr vermissen. Er hatte sich von meiner Familie abgewandt und kein Interesse mehr für sie übrig. Aber wir hatten uns oft geschrieben und manchmal hatte ich sein Leben bewundert. Frei von allem, er konnte über alles entscheiden ohne das ihn jemand verurteilte. Und egal wo auch immer er war, wo ich war, uns würde immer eins verbinden: Das wir Geschwister waren. Wir verstanden, brauchten den anderen nicht, schrieben aber mit ihm um einen Haltepunkt zu haben. Jemanden, der einen einfach verstand, ohne Fragen zu stellen.

Ich betrat den Essraum und ging stumm zu meinem Tisch. Und auch wenn es vorbei war, diese Zeit würde mich inmer an meine Familie erinnern.
Ich setzte mich auf meinen Stuhl und wartete, den Blick auf den Boden gerichtet. Sei stark... Ich war immer stark gewesen, ob äußerlich oder innerlich.
Für mich gab es kein Zuhause mehr, vielleicht war dieser Ort dazu geworden, unbewusst. Ich brauchte keine Familie, hier hatte ich jene, die mich verstanden, denen ich vertraute und alles erzählen konnte. War das der Beweis, dass jedee ersetzlich war? Nein, denn die Vergangeheit kann niemand ersetzten...

,,Morgen", Anica ging gähnend an mir vorbei und setzte sich auf ihren Platz. Ich hob den Kopf und nickte nur. Am liebsten hätte ich weiter meinen Gedanken gefolgt, obwohl ich wusste, dass es nicht gut war. ,,Alles okay?", fragte Anica mich und ihr Blick musterte mich. Ich nickte schnell:,,Klar, nur müde." Sofort lächelte sie und griff nach der Wasserflasche. ,,Eigentlich hast du schon genug für dein Leben geschlafen", meinte sie dann und schenkte sich ein Glas Wasser ein. Kurz musterte sie mich, bevor sie grinste. Ich lächelte nur und zwinkerte ihr dann zu:,,Schlafen kann man nie genug, daran ändert so nen scheiß Koma auch nichts."

Ja, es hatte sich viel seitdem geändert. Wir lachten mehr, alle schienen glücklicher und sich selbst gefunden zu haben. Es war mehr eine wahre Freundschaft geworden, als eine auf Zeit. Und seit Nina sich mit Lynn vertragen hatte, war auch sie entspannter. Lachte mit und langsam zeigte sich ihr wahres Ich. Denn sie war viel humorvoller, schien sich immer mehr von ihren Gedanken lösen zu können. Irgendwie vermisste ich ihr altes Ich aber auch ein wenig. Diese Gefühlskälte und diese Sturheit. Aber das war ein falsches Ich gewesen, eine Maske der Psyche, die das wahre Ich versteckt hatte.

,,Hey", ich drehte mich zu der Stimme um und sah zu, wie Jana sich auf ihren Platz setzte. Dann sah ich ihr in die Augen. Auch sie schien kaum geschlafen zu haben. Die Augenringe waren der Beweis. ,,Hi", sagte ich dann und trank ebenfalls einen Schluck Wasser. Aber gegen die müden Augen half es leider nichts. ,,Ist Nina noch nicht da?", fragte sie und blinzelte kurz. Anica zuckte nur mit den Schultern:,,Noch nicht." Dann musterte auch Anica Jana:,,Hast du auch nicht geschlafen?" Jana versuchte ein müdes Lächeln und gähnte dann:,,Nicht wirklich. Aber wenn ich gleich kalt duschen gehe, wirds gehen." Anica lachte und ich tat es ihr gleich. Warun wusste ich nicht, aber es tat einfach gut.

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt