Kapitel 45

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PoV Anna

,,Anna?!", wiederholte die Psychologin jetzt zum hundersten mal und schaute mir direkt ins Gesicht. Doch ich sagte nichts. Wollte nichts sagen. Was sollte ich schon sagen, wenn man Fenja auf Station 4 verlegen wollte. War doch gut. Aber das konnte ich ja nicht sagen, ohne einen Wortschwall von der vor mir sitzenden "Magersucht-Expertin" zu erwarten. Ja, diese Frau verstand mich noch weniger als alle anderen hier.

Mir kam es so vor, als würde es zwischen uns eine Lichtung voller dunkler Gedanken geben. Wir standen uns gegenüber, während sie immer wieder auf mich einredete. Aber ihre Worte waren stumm für mich, denn ich war von undurchdringlichem Nebel umgeben, der mich schützte. Sie machte immer mehr Schritte auf mich zu und schrie mich fast an. Aber der Nebel hielt und ich starrte sie nur an. Dann blieb sie stehen und musterte mich genau. Das Mädchen, das vor ihr stand, die Augen müde und kraftlos vor Schwäche. Lange sahen wir uns an. Zwei Leute, die den anderen überhaupt nicht verstanden. Schließlich löste sich der Nebel und ich sah reglos über das graue Gras. Die Gedanken wuchsen dort und begannen sich langsam an mir hochzuhangeln. Und ich blieb stumm und reglos, auch als sie sich um meine Brust schlagen. Die Psychologin beobachtete mich und wich zurück, als sich die Gedanken in mein Herz fraßen und dort Wurzeln schlugen. Dann setzte sie zum reden an, aber die Gedanken bauten einfach eine Mauer um mich. Eine starke und unüberwindbare Mauer, ohne Hoffnung!

,,Anna, du musst schon mit mir reden, sonst hat das alles keinen Sinn!", sagte sie nun genervt und ich löste mich von meinen Gedanken. Hat es ja auch nicht, haben sie ja schnell gemerkt!
Ich suchte nach irgendeiner Antwort und nickte dann bloß. Mehr konnte ich dazu einfach nicht sagen, ob ich es wollte oder nicht.
Die Psychologin seufzte und schaute mich kopfschüttelnd an. Dann schrieb sie sich etwas auf und mein Blick wanderte zum Fenster. Aber bevor ich mich wieder in meinen Gedanken verstecken konnte, fuhr sie schnell fort:,,Du bist jetzt knapp 2 Wochen hier und es gibt noch keinen Fortschritt,das ist-" Ich hatte einfach keinen Bock mehr auf diese dummen Kommentare:,,Fenja ist jetzt knapp 2 Jahre hier. Gibt es da etwa Fortschritte?!" Wütend durchbohrte ich sie mit meinem Blick und wartetete auf eine Antwort. Kurz blieb die Psychologin still, dann schrieb sie sich etwas auf. Warum muss sie sich immer Notizen machen?! Dann sah sie wieder auf und setzte zu einer Antwort an, aber ich sprang einfach auf und ging zur Tür.

Dann öffnete ich sie. ,,Anna-", und schlug sie hinter mir zu. Dann ging ich schnell zur Treppe und stieg diese hinab. Ich wusste gar nicht, warum mich das ganze so reizte. Warscheinlich war ich einfach nur überfordert. Kein Wunder, wenn sich hier alle umbringen wollten...
Bei meiner Station ging ich zügig durch den Flur, den Kopf gesenkt. Alle Blicke ignorierend. Sollten sie doch glotzen, war mir egal. Dann betrat ich mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Niemand war da. War ja auch klar, schließlich war meine verdammte Zimmernachbarin ja auf der Krankenstation.
Sofort betrat ich das Bad und stellte mich vor den Spiegel. Dann besah ich mir mein Gesicht und versuchte meine Gefühle und Gedanken zu lesen. Einfach nur um mich zu verstehen. Damit wenigstens ich mich verstand. Denn alles hier machte mich fertig, auch wenn ich es nicht zugab.
Mein Blick wanderte auf meinen gesamten Körper und ich machte ein paar Schritte zurück. Ich war nicht besonders hübsch, aber das war ja auch egal. War ich noch nie gewesen. Dann sah ich mir in die Augen. Meine Augen des Ichs, das mich aus dem Spiegel ansah. Neugierig und nachdenklich zugleich. Dann wiederholte ich leise Fenja Worte und betrachtete mich dabei gedankenverloren. Ja, wozu noch leben? Ich wusste es nicht, aber irgendetwas hielt mich davon ab die Frage mit Nichts zu beantworten...

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt