Kapitel 139

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PoV Jana

Ich verließ den Therapieraum und ging den leeren Flur entlang. Nur noch ein paar Tage und all das würde ein Ende haben. Dann war ich endlich hier weg und vielleicht ging es uns allen dann ja besser. Nina und Joelyn hatten mich zwar beide überreden wollen diesen Streit ruhen zu lassen, aber mein Stolz war zu groß. Und es erinnerte mich an damals, als ich immer nachgeben musste. Als ich mich unterordnen musste um nicht komplett zerstört zu werden. Alle hatten immer gegen mich gehandelt, warum hatte es hier auch anders sein sollen?

Ich verließ den Flur und ranbte dann die Treppen zu meiner Station hoch. Ich übersprang ein paar der Stufen und stieß dabei fast mit einer anderen Patientin zusammen. Ich entschuldigte mich noch im Laufen und hielt dann an der Etage von meiner Station inne. Dieser Ort war lange eine Art Zufluchtsort gewesen, aber bald nicht mehr. Zum Glück.
,,Jana, wie war die Therapie?", ein großes Mädchen mit blonden Haaren, die ihr im Gesicht hingen, musterte mich interessiert. Ich lächelte kurz und entspannte mich. Franzi war noch nicht lange hier, aber total in Ordnung. Sie verarbeitete gerade die Misshandlungen ihrer Familie, vor allem ihrer großen Brüder.

,,Ganz okay und bei dir?", fragte ich und ging zu ihr. Sie lächelte wieder etwas schüchtern:,,Frau Herzberg ist total nett und ich komme gut mit ihr klar. Aber trotzdem fühle ich mich nicht wirklich anders." Ich nickte kurz. ,,Das ändert sich mit der Zeit und su hast Glück mit deiner Psychologin", sagte ich dann und Franzi wirkte entwas entspannter. Trotzden zuckte sie immer noch bei jeder schnellen Bewegung zusammen und schloss die Augen. Vermutlich würde sie das nie ganz vergessen können oder komplett mit ihrem Trauma abschließen können. Vor allem seit ihr Zwillingsbruder sie auf eine Autobahn geschubst hatte und direkt vor ein Auto.

Sie hatte sich dabei mehrere Rippen und das Schlüsselbein gebrochen. Außerdem hatte sie ganze drei Monate im Koma gelegen und ihr Zustand war kritisch gewesen. Erst danach war sie hierher gekommmen und ihre Familie vor Gericht. Es zeigte mir erstmals, wie unterschiedlich und wie schlimm unsere Vergangenheiten doch waren. Aber wir alle wollten hier schließlich gesund raus und das schaffen ohne immer wieder daran erinnert zu werden.
,,Ich muss jetzt zu einem Gespräch", sagte sie dann leise und ging ein paar Schritte zur Treppe. Ich sah ihr nach und verabschiedete mich dann ebenfalls.

Ich ging an den ganzen Türen vorbei und mit jedem Schritt schien sich Blei auf meinem Körper abzulagern. Die Wände schienen mich erdrücken zu wollen und ich hatte das Gefühl überall Schreie zu hören. Menschen, die man schlug und weiterhin misshandelte. Menschen, die man benutzte und ihnen ihre Würde raubte. Diese Bilder zogen sich wie ein Film durch meinen Kopf und am Ende davon sah ich mich in einem dunklen Raum an die Wand gelehnt sitzend. Alleine, wie immer eigentlich.
Ich zuckte zusammen und verdrängte dieses Bild. Dann betrat ich mein Zimmer und schloss die Tür. Charlotte war zu Glück nicht da.

Noch drei Tage; dann würde auch Charlotte weg sein. Dann würde ich noch ein paar weitere Tage alleine sein, bis ich auch endlich hier weg kam. Ich schloss die Tür und ließ mich auf mein Bett sinken. Ich konnte es nicht verstehen, warum ich mich immer so fühlte, egal was war.
Dann schüttelte ich den Kopf und stand wieder auf. Mein Blick fiel auf den Tisch und eine von Charlottes Bildern. Wieder waren es übergreifende Figuren, die ineinander verschmolzen und neue bildeten. Wie als würden unterschiedliche Menschen aufeinandertreffen und neue Dinge schaffen, wie Freundschaft, Glück und Hoffnung. Nur habe ich davon alles verloren...

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt