Kapitel 98

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PoV Anica

Ich saß auf dem Stuhl vor den Tisch in meinem Zimmer. Die Arme stützten meinen Kopf und doch schien er zu schwer von all den Gedanken. Den Schuldgefühlen. Und ich wusste, dass es falsch gewesen war, aber ich wollte es mir nicht eingestehen. Nein, zugeben wollte ich es nicht, war zu stolz. Warum war dieser Stolz immer da und raubte mir meine Gefühle und kontrollierte mich?
Ich nahm eine der Tabletten vor mir und schluckte sie schnell runter. Dann sah ich zur Wand und kniff die Augen zusammen. Was war ich nur für ein Egoist?!

Ich verzog kurz das Gesicht und starrte an die Wand. Jeder Gedanke schmerzte und ich wollte diesen verdammten Kopf eintauschen. Gegen einen sinnvoller mit Verstand, der seine Gefühle kannte und nicht jede Sekunde nach Freiheit schrie. Ich wollte ein neues Leben, voller Erinnerungen an sonnige Tage im Freien. Wollte diese Dunklen einfach vergessen und mich dafür hassen, sie gelebt zu haben. Wenn ich die Chance hätte mein Leben zu ändern, ohne Verluste zu ertragen. Ich würde jeden Preis zahlen, auch mein Leben. Ja, ich würde mein Leben bezahlen und doch nicht glücklich werden. Ich griff zur zweiten Tablette und schluckte sie verknischt runter.

Warum konnten es keine Schlaftabletten sein? Warum mussten es meine täglichen Tabletten sein, die mich an diese Scheiße hier erinnerten?
Warum brachten sie mich nicht dazu einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen? Warum raubten sie mir nicht einfach dieses sinnlose Leben? Warum konnten sie nicht der Grund sein, warum ich ich mein Leben beendete, bevor ich den Sinn begriffen hatte?
Diese Psychiatrie verlässt man nur durch Suizid... Ja, diese Worte hatte man mir in den Kopf gebrannt und vielleicht prägten sie mein Leben. Vielleicht waren sie ein Grund meines Versuches. Weil diese Worte die einzige Wahrheit war, die ich seit langem erfahren hatte...

Mein Herz hämmerte in meiner Brust und ich zog scharf die Luft ein. Ich war egoistisch. Brachte nur Leid und Schmerzen an diesen Ort.
Aber ich hatte hier so viel Schönes erlebt, dass ich mit gutem Gewissen sterben konnte, wenn Jana fort war.
Aber ich will nicht sterben...
Ja, ich hatte Angst davor, aber viel größer war der Grund, dass ich mein Leben nutzen wollte. Weil ich den Sinn erkennen wollte und dieses Leben ausleben wollte. Weil ich keine Schmerzen in das Leben anderer setzten wollte. Weil ich erfahren wollte, was mein Ich noch tat und ob es begreifen würde, dass Freiheit keine Leben rettete!

Schließlich stand ich auf und ging zum Fenster. Sah in die Nachmittagssonne und schloss kurz die Augen. Ich will einmal nicht egoistisch sein... Ich atmete tief durch und stellte mir den warmen Wind draußen vor.
Ich möchte mir wünschen, dass Anna das Koma übersteht und ein glückliches Leben führt...
Ich möchte mir wünschen, dass Jana einen neuen Lebensabschnitt beginnt und die Vergangenheit vergisst.
Ich möchte mir wünschen, dass Nina mit ihrer inneren Wut Frieden schließen kann und das Gefühl von Kontrolle bekommt.
Und ich möchte mir wünschen, dass Fenja ihren Weg geht und das tun kann, was sie möchte, nicht, was sie muss.
Aber meine Wünsche sind aufgebraucht...

Ich öffnete meine Augen wieder und sah in den Himmel. Stellten mir vor, auf einer Wiese darunter zu stehen und einfach normal zu sein. Eines Tages, vielleicht...
Dann wandte ich mich ab und sah in mein Zimmer. Dies war mein Leben und es war an diesem Punkt angekommen. Und jedes Hindernis, was ich überwandt würde mich dem Ziel hier raus zu kommen näher bringen. Aber nicht jeder erreichte dieses Ziel und es wurden Preise gefordert. Wie eine Truhe einen passenden Schlüssel verlangt um sie zu öffnen und sich dem Inneren zu stellen...

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt