Kapitel 183

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PoV Nina

Ich setzte mich auf mein Bett. Dann atmete ich tief durch. Die Veränderung hatte sich wie ein wildes Tier in mein Inneres gefressen und dieser Abend hatte es mir erneut gezeigt: Ich hatte mich gänzlich verändert. Ich hatte meine Emotionen wieder nicht im Griff gehabt, aber dieses mal war es anders gewesen, diese Gefühle waren schmerzfrei und hatten Klauen aus Wut zurückgedrängt. Ich seufzte kurz. Und doch fühlte es sich komisch an, dieses Ich zu besitzen. Denn das war nicht Ich, das war jemand Fremdes gewesen. Und irgendwie fürchtete ich dieses neue Ich mehr als das Alte. Dieses Ich hatte Angst.

Aber vor Jana würde ich das nie zugeben. Niemals. Sie sollte glücklich sein, wenn ich es gerade nicht wirklich war. Aber sofort vergaß ich den Gedanken. Ich hatte Freude empfunden beim Essen, Spaß mit Freunden. Das Wort lag schwer in meinen Gedanken. Was waren wir hier schon? Ich hatte lange keine Menschen als Freunde bezeichnet und es wirkte komisch die Anderen so zu beschreiben. Freunde hassten sich zwar auch manchmal, aber konnte man an einem solchen Ort Freunde finden? Unter den ganzen anderen Psychos die auszusuchen, die man nie verlieren wollte, erschien mir falsch. Ich vergrub das Gesicht in den Händen.

Irgendwie hätte ich gerne geweint, einfach alles hier in diesem Zimmer gelassen, anstatt in meinem Kopf. Aber es kamen keine Tränen und eigentlich erhoffte ich mir doch keine. Wer weinte war schwach,oder? Aber selbst schwache Menschen konnten auch Lachen, wie die Starken. Das hatte ich heute zum ersten mal bewusst wahrgenommen. Und warum sollten selbst die Stärksten nicht auch weinen dürfen? Außerdem war niemand da um mich zu verurteilen, ich war alleine. Und in diesem Moment war ich zum ersten mal seit heute Morgen froh, dass Lynn fort war. Obwohl ich sie im tiefsten Herzen vermisste, aber das würde ich nie zugeben. Nie!

Diese Psychiatrie verlässt man nur durch Suizid... Der Gedanke daran unterbrach sich allerdings sofort wieder. Nein, an diese Worte wollte ich jetzt nicht denken. Nicht an diesem Abend. Janas letztem Abend mit uns allen. Und im Innersten wusste ich, dass sie es hier raus schaffen würde, im Gegensatz zu einigen anderen hier. Aber auch an diese Anderen wollte ich nicht denken. Immer noch wollte ich irgendwie weinen, irgendwo tief in mir drinnen. Aber ich konnte es immer noch nicht. Ich musste an Lynn denken, wie sie ihren ersten Tag in Freiheit genoss. Den ersten Tag seit langem, ohne diesen Ort.

Und da war noch etwas: Eifersucht. Ich beneidete Lynn daraum, um diese scheiß Freiheit. Für die wir alle hier drin kämpften. Aber wer erreichte sie schon wirklich und war man dort wirklich frei? Die Gedanken schossen wie Züge durch meinen Kopf, hielten kurz an und verschwanden wieder. Es bereitete mir Kopfschmerzen daran zu denken, aber dieses mal konnnte ich nicht anders. Ich wollte nachdenken. An Zeiten voller Angst vor den Gefühlen, die ich nicht im Griff hatte, die unkontrollierbar waren. an diesen Abend, an dem alles Perfekte zum letzten mal aufeinander zu treffen schien. Und vielleicht tatsächlich zum letzten mal...

Ich stand wieder auf und ging zu meinem weißen Schrank. Dann öffnete ich diesen und starrte gedankenverloren auf meine Klamotten. Ich zog mir meinen grauen Pullover aus und zog stattdessen eine dunkelblaue Jacke mit der Aufschrift "Life" heraus. Er erinnerte mich kurz an wirklich alles in meinem Leben, an meinen Hass. Und doch zog ich sie mir über und ging dann ins Bad. Ich sah in den Spiegel und strich mir durch die Haare. Ich war bereit mich zu ändern, mein Leben zu ändern. Aber niemand würde mein altes Ich je ganz zerstören können. Will ich das überhaupt?


Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt