Kapitel 140

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PoV Fenja

Ich wusste nicht mehr, wie viel Zeit verstrichen war. Aber ich stand schließlich auf und nahm den Brief in die Hand. Dann setzte ich mich auf Paulas altes Bett und lehnte den Rücken gegen die Wand. Die Beine zog ich an den Körper und atmete tief durch.
Dann öffnete ich vorsichtig den Umschlag und zog ein mehrfach gefaltetes Blatt Papier hervor. Es war an einigen Stellen leicht gewellt, als wären Tränen darauf getropft. Ich schüttelte nur den Kopf und verwarf den Gedanken. Dann faltete ich das Blatt auf und erkannte sofort Paulas ordentliche Schrift mit roter Tinte geschrieben.

Es tut mir Leid.
Das ist das einzige, was ich dir sagen kann. Ich konnte nie leben und musste lügen, dich belügen. Es viel mir schwer, bitte glaub mir das. Ich werde sterben und du weißt das. Mein Leben endet hier und deines muss weitergehen.
Ich werde dich vermissen und nur noch Narben werden an meinen Körper an dich erinnern.
Ich habe keine Angst davor mir das Leben zu nehmen, ich habe nur Angst davor, dass du mir folgst. Das darfst du nicht, bitte schaff wenigstens du es dort wirklich raus.
Denk an unser Geheimnis und halte dich daran fest. Ich habe es nie bereut.

Dies ist der einzige Brief, den ich schreibe und er ist für dich. Denn du warst der einzige Grund für mich weiterleben zu wollen. Aber ich habe verloren...
Leb wohl,
Paula

×Diese Psychiatrie verlässt man nur durch Suizid, sonst hat man sie nicht verlassen...×

Ich legte den Brief zur Seite und schloss die Augen. Mein Herz schien stehen zu bleiben und ich spürte diese verdammten Tränen erneut. Aber ich durfte nicht weinen, ich wollte stark bleiben.
Sie hatte mich an etwas erinnert, was ich vergessen wollte. Nun würde mich dieser Brief immer daran erinnern.

Ich hatte gewusst, dass sie auch mich belogen hatte um hier raus zu kommen. Aber ich hatte ihr geglaubt, ihr vertraut und sie sterben lassen. Ich biss mir auf die Unterlippe, bis ich Blut schmeckte um die Tränen zurückzuhalten.
Ich war nie ein Grund gewesen, dass jemand weiterleben wollte. Eher der Grund, dass man sterben wollte. Mein Kopf wollte diesem Brief nicht glauben, aber mein Ich musste es akzeptieren.
Ich legte den Brief neben mich und ließ mir jedes Wort durch den Kopf hallen. Jeden Satz und jede Zeile wiederholen und mich an etwas erinnern.

Dann zog ich langsam meinen rechten Ärmel hoch und betrachtete die lange Narbe, die sich von der Pulsader bis zum Schlüssbein hochzog. Gespickt von unzähligen kleineren Narben. Ich fuhr die Narbe nach und schloss wieder die Augen. Alles schien so lange her, diese Narbe war viel später entstanden, aber der Grund dafür gewesen. Bis auf die Knochen hatte ich das Messer über den Arm gezogen, nur um danach voller Schmerzen am Boden zu liegen. Ich erinnerte mich an die Schmerzenskrämpfe und daran, wie die Pflegerinnen kamen um das Blut zu stillen. Wie meine Sicht trüb wurde und ich nur noch schwache Stimmen wahrnahm.

Schnell schob ich wieder den Ärmel darüber und öffnete meine Augen wieder. Meine Finger schlossen sich wieder um Paulas Abschiedsbrief und ich spürte; wie mein Atem unregelmäßig wurde. Und dann war da wieder die versteckte Trauer, die verdammten Tränen und die Schmerzen. Scheiß- Ich ließ den Gedanken unbeendet und hasste mich im selben Moment für etwas anderes viel mehr.
Denn ich würde etwas brechen müssen, Paulas Wunsch an mich. Denn auch ich würde hier sterben, mir das Leben nehmen. Ich konnte einfach nicht mehr und dieser Brief hatte es bestätigt. Für mich war das Leben einfach nichts. Und vermutlich wird das am meisten schmerzen, auch sie zu belügen...

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt