Kapitel 68

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PoV Nina

,,Hast du jemals Glück empfunden?", fragte ich plötzlich in die Dunkelheit des zimmers und drehte meinen Kopf in die Richtung, in der Lynn liegen musste. Ob sie überhaupt wach war, wusste ich nicht wirklich. Zunächst blieb es still und ich wollte mich gerade wieder zur Zimmerdecke drehen, als Lynn antwortete:,,Was ist Glück für dich?" Ich überlegte kurz und schloss die Augen. Was war Glück eigentlich?
Vielleicht hier rauszukommen und ein normales Leben zu führen?
Vielleicht die Gefühle im Griff zu haben?
Vielleicht die Gedanken kontrollieren zu können und mich selbst genau zu kennen?
Ich wusste es nicht...

Ich öffnete die Augen wieder und sagte langsam:,,Ich weiß es nicht..." Stille breitete sich im Zimmer aus und ich überlegte weiterhin, aber eine Antwort kannte ich nicht. Gab es überhaupt eine? Plötzlich brach Lynn die Stille und ihre Stimme klang merkwürdig:,,Hier drinnen gibt es kein Glück. Hier drinnen gibt es nur Schmerzen und Gedanken." Ich musste an unsere Streitereien denken und wie wenig sie mir jetzt noch bedeuteten. Aber vermutlich war das auch kein Glück, sondern Schicksal. Eine Feder, die mit Tinte ein neues Kapitel für mich schrieb und nun einen Funken Freundschaft zwischen Lynn und mir vorgesehen hatte. Eine stumme Hand, ohne Sinn und Gedanken. Frei von Allem...

Ich nickte kurz, auch wenn Lynn das nicht sah. Plötzlich lachte Lynn kurz auf und ich setzte mich auf. ,,Was ist?", fragte ich und hob eine Augenbraue. Ich hörte, wie auch Lynn sich aufgesetzt haben musste und dann herrschte kurz wieder diese scheiß Stille. Dann klang ihre Stimme, als wäre sie weit fort mit ihren Gedanken, in einer anderen Zeit:,,Es ist nur so komisch, jetzt mit dir zu reden und nicht zu streiten..." Ich zuckte kurz zusammen und atmete tief durch. ,,Ist das gut oder schlecht?", fragte ich dann und strich mir die Haare zurück. Obwohl ich nur Schwärze sah, war ich mir sicher, das Lynn mich mit ihrem Blick durchbohrte.

,,Ich weiß nicht...aber es tut gut zu wissen, das ich mich kurz selbst kontrolliere", meinte sie dann und ich musste ihre Ehrlichkeit bewundern. Warum hatten wir nicht damals so reden gekonnt? ,,Ich weiß", sagte ich und schloss wieder die Augen. Immer wieder rollte eine Welle der Müdigkeit über mich, aber ich wollte gerade nichts lieber als mit Lynn reden. Jemandem, dessen Schicksal meinem so ähnlich war. Ein lebendiger Spiegel, ein Schatten und eine Kämpferin eben.

Ich dachte an jeden einzelnden Strei von uns und lächelte kurz. Zwei Wölfinnen, die sich bis aufs Blut hassten, saßen plötzlich neveneinander und gaben ihr Ich an den Anderen weiter. Absurd, aber die Realität.
Ich musste kurz an einen unsere heftigsten Streits denken, in dem wir uns gegenseitig im Bad fertig gemacht hatten. Beide schließlich blutend und vollkommen schwach an der Wand lehnend. Beide die Tränen zurückhaltend und die Schmerzen ignorierend. Einfach nur Stärke vor einander zeigen, egal wie schwach man innerlich war. Wie brüchig und unkontrolliert sein Ich auch war, gezeigt hätten wir es untereinander niemals. Vermutlich hätten wir uns irgendwann tatsächlich beide umgebracht. Zwei tote Puzzelteile, die man erst am Ende zusammensetzte und das Leben plötzlich Sinn ergab. Nur hatten wir dieses schon jetzt beendet. Ohne letzte Worte, die wir nicht sagen wollten, aber wir mussten.

Schließlich legte ich mich wieder hin und lauschte auf meinen Atem. Jeder Atemzug fühlte sich plötzlich freu und unneschwert an, wie ein Boot, dessen Last endlich verladen war und es ruhig davonfuhr. Wie es durch jede Welle brach, immer näher zur untergehenden Sonne.
Dann dachte ich noch einmal kurz an die Vergangenheit und schüttelte fast den Kopf. Warum hatten wir so lange mit unserem Spiegelbild leben gekonnt, ohne es zu wissen?

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt