Kapitel 124

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PoV Anna

Ich sah zu, wie Anica die Tür schloss. Sie wollte später noch einmal kommen und ich war ihr dankbar dafür, denn hier alleine im Zimmer war es nur noch langweilig. Ich ging nach kurzer Überlegung zum Fenster und sah nach draußen. Es war bewölkt und doch spürte ich die Wärme, die von draußen hereindrang. Ich mochte diese Wärme. Sie verdrängte die Kälte in meinem Herzen und verdrängte die Zeiten, in denen ich mich so anders gesehen hatte. Ich spürte ein Ziehen in der Brust, als eine Krähe sich von einem Baum in den Himmel erhob und davonflog.

Sie war frei, konnte gehen wohin sie wollte. Für einen Vogel musste jeder Tag ein neues Leben sein. Gestern gab es nicht, sie lebten in den Tag hinein. Vermutlich waren Vögel die Bote der Freiheit. Die Krähe war vermutlich freier als ich. Niemand wollte sie ändern und ihr Leben war vom Fliegen gezeichnet.
Ich wandte den Blick ab. Dier Gedanke hier endlich wieder raus zu kommen gefiel mir. Das Koma hatte mich verändert und doch war ich nicht glücklich es durchlebt zu haben. Aber Fenja hatte es kalt gelassen, vermutlich wäre sie genauso geblieben, wenn ich gestorben wäre. Und dann wäre sie mir gefolgt, irgendwann.

Ein Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken und ich drehte den Kopf. Eine Krankenschwester betrat den Raum und ich drehte mich zu ihr um. In der Hand hielt sie einen weißen Umschlag und ihr Gesicht war bedrückt. Trotzdem ging sie wortlos zu mir und legte mir den Brief in die Hand. ,,Es ist besser, wenn du es dir selber durchliest", sagte sie und lächelte mir gezwungen zu. Aber ihren Augen waren dunkel und sie verließ sofort wieder das Zimmer. Erst als sie die Tür hinter sich schloss, hob ich den Brief hoch.

Ich setzte mich auf das Bett und lehnte den Rücken an. Dann öffnete ich den Umschlag. Es ging einfacher, weil er vermutlich schon einmal geöffnet worden war. Trotzdem zitterten meine Hände dabei und ich wusste nicht warum. Dann holte ich einen weißen gefalteten Bogen Papier heraus und öffnete diese zögerlich. Sofort erkannte ich die Schrift meines großen Bruders, der seit einem halben Jahr ausgezogen war. Ich sah noch einmal kurz zum Fenster und irgendwie bekam ich ein ungutes Gefühl. Irgendetwas stimmte nicht, er hatte sich von uns distanziert und sich nie gemeldet, seit er fort war. Kurz seufzte ich und las dann den Brief.

Hallo Anna,
Vermutlich wunderst du dich, dass ich mich bei dir melde, aber ich muss es tun. Vielleicht hast du dich gewundert, dass Mama und Papa dich nie besucht haben und sich nie gemeldet haben. Es tut mir Leid, Anna, aber ich dachte es wäre das Beste es dir nicht sofort zu erzählen. Ich habe es zwei Wochen nach deiner Einweisung erfahren, von der ich bis da auch nichts wusste.
Unsere Eltern hatten einen Autounfall, eine Woche nach dem du in der Klinik warst. Sie sind beide sofort tot gewesen.
Es tut mir Leid, aber ich kann nichts für dich tun, falls du das denkst. Sorry.
Ich möchte nichts mehr damit zu tun haben und ich kann nach den ganzen Streitereien zwischen uns, nicht trauern. Klar müsste ich das, aber ich kann nicht. Du bist meine kleine Schwester, aber ich werde dich nicht aufnehmen können. Ich habe mich nicht ohne Grund dizstanziert. Ich habe mit euch abgeschlossen und dies ist mein letzter Brief an dich. Es ist schwer für dich, dass weiß ich, aber es ist das Beste. Ich hoffe du kommst bald raus und kannst wieder normal leben, vielleicht bei Oma und Opa. Aber nicht bei mir, sorry, Anna.
Leb Wohl, Domenik.

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt