Kapitel 97

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PoV Jana

Ich saß allein am Tisch und sah auf den leeren Teller vor mir. Ich wusste selber, wie trüb und verschwommen er immer mehr wurde. Und ich hasste diese verdammten Tränen, so sinnlos! Ich hasste alles daran, die Schwäche und jedes Gefühl. Erst als ich kaum noch etwas sah, blinzelte ich langsam und schloss die Augen. Spürte, wie eine Träne sich löste und über mein Gesicht rollte. Wie sie auf den Teller tropfte und sich dort vermutlich niederließ um darauf zu waren, dass andere folgten. Ich biss mir kurz auf die Lippen und schüttelte den Kopf. Ich wollte nicht weinen, aber ich konnte einfach nicht mehr...

Ich öffnete meine Augen wieder und ließ die Tränen frei, spürte, wie sie über mein Gesicht rollten und sah ausdruckslos ins Nirgendwo. Spürte die Blicke der Anderen Patienten auf mir und ließ es doch zu. Mir war alles egal, ob sie mich anstarrten, beleidigten oder einfach nur Wahrnahmen. Ich war egal, ein Niemand auf dieser Welt und zwischen ihnen. Nichts wert und doch besaß ich etwas, was man dich nicht kaufen konnte. Etwas was kein Preis zahlen konnte. Etwas, das kaum noch jemand wahrnahm und doch ein Teil von uns war: Ich hatte mein Leben...

Ich atmete kurz durch und fuhr mir über die nassen Augen. Noch immer weinten sie, aber nicht ich weinte. Das waren meine Augen. Mein Ich wollte das nicht, mein Ich war ausdruckslos und trüb. Unfähig etwas zu tun. Ein Zuschauer, der auch nur daneben stand und das triste Gesucht musterte. Die Tränen, die auf den leeren Teller davor tropften und dort trockneten.
Mein Herz schlug zwar noch und doch fühlte ich mich tot. Wie eine Hülle ohne Gestalt, ein sinnloses Etwas. Wie ein Nachtfalter zwischen hunderten Schmetterlingen. Wie ein kleiner Stern neben hunderten Monde. Wie ein Toter zwischen hunderten Lebenden...

Ich hatte keine Gedanken außer den an mein Ich. Wie schwach und zerbrechlich es war und wie sinnlos jede Träne war. Wieder fuhr ich mir über das Gesicht, auch wenn es keinen Sinn hatte. Strich meine Haare zurück und wollte einfach nur aufhören zu Atmen. Diesem Leben entfliehen und doch weiterleben. Vielleicht hatte Anna die richtige Entscheidung getroffen und den Schicksal ihr Leben anvertraut. Wenn sie starb, würde sie es hinnehmen und wir mussten damit leben.
Sterben wollte ich eigentlich nicht. Aber diese Leere raubte mir den Verstand, war eine Qual und von Leiden geprägt. Ich will kein Zuschauer meines eigenen Lebens sein...

Schließlich stand ich ruckartig auf und bahnte mir einen Weg zur Tür. Die Blicke ignorierte ich, ignorierte meine Tränen und verließ den Essraum. Und damit auch das Gefühl von Enge und Bedrängnis. Aber ich ging nicht zur Station, sondern einfach den Flur entlang. Ohne Ziel...
Ich wollte nicht in dieses Zimmer, wollte nicht an diesen Ort. Schließlich ließ ich mich in einen Türrahmen sinken und setzte mich an die Tür gelehnt dorthin. Erst dann ließ ich die Tränen wieder zu und schluckte meine Trauer und Reue herunter. Du hast dir dein Leben verbaut, schon lange... warum hab ich das nur nie gemerkt?

Kurz wünschte ich mir fast, schon lange weg zu sein. Fort von hier und in einer anderen Klinik. Denn dort würde ich mir keine Freunde suchen, keine Verluste oder Sorgen beklagen. Auch wenn ich Anna,Nina, aber vor allem Anica nie vergessen würde... dazu war zu viel passiert. Wieder kamen die Tränen und ich seufzte kurz. Auch Fenja würde ich nicht vergessen, auch wenn ich sie noch so sehr hasste. Zu viel hatten wir zu tun gehabt. Auch wenn es nur negativ war, das waren halt meine Erinnerungen...
Ich werde mir diese Zeit in den Kopf brennen, aber die alten ausradieren, damit ich lerne, das das Leben wertvoll ist...

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt