Kapitel 77

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PoV Anica

Ich musterte die neue Psychologin vor mir. Sie hatte dunkelbraune lange Haare und lächelte mich freundlich an. Aber schon jetzt wusste ich, dass wir zu unterschiedlich waren um uns zu verstehen. Ihr Blick war zu unverständlich und ihre Augen zu kritisch. Aber trotzdem lächelte sie mich an, als würden wir uns schon seit Jahren kennen. Aber ich zeigte nicht eine Regung. Nein, ich hatte nur Gedanken für Anna. Hatten sich die Anderen so gefühlt, als ich versucht hatte mir dieses Leben zu nehmen?
Zum ersten mal seit diesen Tagen glaubte ich die Reaktion von Anna zu verstehen. Wie sehr man eine Person vermisste, merkte man vermutlich erst, wenn diese bereit war einen für immer zu verlassen...

,,Ich bin deine neue Psychologin, wie du vielleicht schon weißt", began sie und schon nach diesen Worten schloss ich mit ihr ab. Baute eine Mauer um mich und blockte sie ab. Aber ihre dummen Worte konnte ich leider nicht verhindern:,,Ich soll deine suizidalen Gedanken in Verbindung zu deiner Vergangenheit behandeln." Ich rollte mit den Augen und wünschte mir kurz, dass mein Suizidversuch damals doch geklappt hätte. Dann hätte ich mir dieses dumme und sinnlose Gerede ersparen können!

,,Interessant...", murmelte ich desinteressiert und sah an ihr vorbei zum Fenster. Egal wie sehr ich hier auch rauswollte, wenn dann sollten wir es alle schaffen. Auch Anna. Ninas Worte gingen mir wieder furch den Kopf und ich schloss kurz die Augen. Vielleicht stimmten diese Worte ja tatsächlich.
Vielleicht würde Anna nie wieder aufwachen und ich einen neuen Suizidversuch wagen. Einen der klappen würde.
Vielleicht würde Jana sich dann ebenfalls das Leben nehmen und niemals eine andere Klinik kommen.
Und vielleicht würde Nina sich eines Tages so sehr mit jemandem streiten, dass sie sich dabei das Genick brach.
Und Fenja würde sich einfach ein Messer in den Arm rammen und wir alle waren aus diesem scheiß Leben. Immerhin eine bessere Option als hier zu sitzen...

Die nächsten Worte der Psychologin blockte ich einfach ab und öffnete erst wieder meine Augen, als ich hörte wie sie aufstand. Sie ging zu einem der Schränke und holte einen Notizblock hervor. Dann nahm sie sich einen Kugelschreiber aus ihrer Jackentasche und musterte mich eingehend. ,,Beantworte mir zunächst einmal ein paar Fragen", sagte sie und setzte sich wieder, ,,ehrlich." Ich nickte und stützte die Arme auf den Tisch vor mir. Dann sah ich der Frau kurz in die Augen und wartete auf die erste Frage.

,,Wann hast du angefangen Drogen zu nehmen?", began sie und sah von ihrem Block auf. Ich dachte kurz nach und antwortete dann:,,Vor knapp zwei Jahren." Sofort notierte sie sich etwas und ich seufzte leise auf. Auf Fragen über meine Vergangenheit hatte ich keine Lust. Waren eh unnötig uns sinnlos.
,,Bist du damit glücklich gewesen?", fragte sie dann und diese Frage kam unerwartet. Noch nie hatte ich Fragen über meine Gefühle beantworten müssen. Ich zögerte und vermutlich merkte sie das. Sofort verfluchte ich mich und antwortete dann schnell:,,Ja." Gelogen...

Sie musterte mich wieder kurz und notierte sie dann etwas. Ich hasste sie nur umso mehr, wie sie sich viel mehr aufschrieb, als ich beantwortete. Warum sollte ich dann denn überhaupt antworten?! Wieder wanderte mein Blick an ihr vorbei und zum Fenster. Hinaus zur Freiheit. ,,Hattest du schon damals Suizidgedanken?", fragre sie dann und blickte mich an. Dieses mal war ihr Blick wachsamer und ich zögerte wieder. Dann schüttelte ich den Kopf. Eine weitere Lüge...
Doch sie schrieb sich nichts auf, sondern schloss kurz die Augen. Verwirrt lehnte ich mich zurück und wartete einfach nur. Das brachte mich immerhin kurz von meinen Gedanken ab. ,,Anica, Lügen bringen keinem etwas", sagte die Psychologin dann ruhig und öffnete wieder die Augen, ,,Und jetzt sag einmal die Wahrheit: Warum willst du unbedingt Freiheit, egal was es dich kostet?"

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt