Kapitel 167

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PoV Nina

Ich betrat gefolgt von Lynn unswer Zimmer und schloss dann die Tür. Keiner von uns sagte etwas, als wir uns jeweils auf unsere Betten setzten und dann in die Leere starrten. In ein paar Stunden würden wir uns trennen müssen. Für immer, da war ich mir irgendwie sicher. Hier waren wir feste Freundinnen geworden, aber draußen waren wir nur diejenigen, die uns gegenseitig an diesen Ort erinnerten. Und vielleicht war es besser sich dort zu verlieren, sich zu verabschieden und nur in den Erinnerungen behalten. Vielleicht sollten wir uns trennen, einfach vergessen und nur unsere Namen behalten.

Lynn setzte sich in den Schneidersitz und seufzte. Dann schwieg sie wieder. ,,Ich wollte dir nur noch mal sagen, wie Leid mur die Beleidigungen und Schläge tun", sagte sie dann leise, ,,Das war damals nicht ich." Sie brach ab und senkte den Kopf. Ich starrte sie kurz nur an, dann ergriff ich das Wort, obwohl jeder Satz die Stille wie eine Klinge durchzuschneiden schien. ,,Mir tut es auch Leid. Diese Krankheit verändert Menschen, macht aber auch Feinde zu Freunden, oder?", ich lächelte kurz und schüttelte dann den Kopf. Lynn hob den Kopf, auch sie lachte kurz leise und nickte dann:,,Muss wohl so sein."

Ich kam mir vor wie ein Grundschulkind, dass seinen besten Freunden sagen musste, dass sie sich für immer trennten. Kurz fühlte ich mich wie eines dieser kleinen Kinder, dass nur die offensichtlichen und positiven Dinge des Lebens sah. Das morgens aufwachte und sofort den Tag genoss, dass die Welt erkunden wollte und dann unter den Sternen einschlief. Im Gras, beschützt von hunderten Fäden der Nacht. Aber diese Zeiten waren lange her, ich war schon lange kein kleines Kind mehr. Dieses kleine Kind in mir, dass Gefühle zeigte, war irgendwann nicht mehr aufgewacht und alleine im Schlaf gestorben. Für immer.

Aber einmal war ich so gewesen, voller Energie und Lebensfreude. Es hatte keine Agressionen oder Streiterein gegeben. Nur den Willen alles zu erkunden und jedem Windzug folgen zu wollen. Dieses kleine Kind hatte nächtelang in den Himmel gestarrt und den Mond gesucht, jeden einzelnen Stern bewundert. Es hatte Freunde gehabt und mit ihnen Figuren aus Holz gebaut. Hatte es damals überhaupt das Wort "Psychiatrie" gegeben? Nein, dieses Kind hatte die Welt mit jeder Farbfacette wahrgenommen. Es hatte gelebt, jedem Freund für die Freundschaft gedankt und dann war es gestorben. Verlassen worden und in die Dunkelheit geglitten, die es einst geliebt hatte.

,,Alles okay?", fragte Lynn nachdenklich und musterte mich. Sofort verdrängte ich die Gedanken an damals und fasste mich. Ich nickte und lehnte den Rücken gegen die Wand. ,,Welcher Streit war am schlimmsten für dich?", fragte ich dann nach kurzem Überlegen. Lynn dachte kurz nach. Fast hätte ich aufgelacht, so offensichtlich war, dass ihr Kopf jeden Streit durchging. Aber dann nickte Lynn leicht. ,,Als wir uns kaum kannten und wir uns über unsere Gedanken zu unserer Psyche unterhalten haben." Ich nickte. Diesen Streit würde ich nicht vergessen, nie. Aber ich hatte ich nie als so schlimm wahrgenommen. Zum ersten mal wurde mir klar, wie schlimm er für Lynn gewesen sein musste.

Damals hatte ich ihr hunderte Sprüche an den Kopf geworfen und dann hatten wir uns gegen die Wände geschubst, geschlagen und getreten, bis Pflegerinnen kamen. Ich hatte nur Prellungen und Schürfwunden gehabt, aber irgendwie hatte ich Lynn wohl so gegen den Bettpfosten geschubst, dass sie eine Woche auf einem Ohr nichts mehr gehört hatte. Diese Woche war damals eine der wenigen ohne weitere Streiterein gewesen. Aber getrennt hatte man uns nie. Vielleicht hatten sie gewusst, dass wir uns irgendwann vertragen würden. Auch wenn diese Vermutung sinnlos wäre, wenn man bedachte, wie viel Schmerzen wir beide ertragen mussten. Und trotzdem verstehen wir uns jetzt. Kranke Welt...

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt