Kapitel 102

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PoV Anica

Ich setzte mich auf mein Bett und sah in den dunkeler werdenden Himmel. Meine Tränen waren versiegt und hatten helle Abdrücke hinterlassen, aber das war mir egal. Denn ich musste Jana einfach ignorieren, versuchen sie zu vergessen. Ich wollte nicht trauern, wenn sie ging und schon wieder jemanden verlieren, auch wenn ich sie so nur umso mehr vernachlässigte. Jeder hasste Streitereien und die mit einer guten Freundin zerrissen das Herz nur umso mehr, spalteten es in der Mitte und ließen Schmerz und Trauer frei. Verachteten beides nicht und kämpften einfach weiter, damit die Wut siegte. Aber ich sträubte mich vermutlich noch zu sehr...

Ich zog den Ärmel meiner Jacke hoch und sah auf die frische Narbe. Die Narbe, die alles hatte beenden sollen. Den Schmerz, die Trauer, die Gedanken und das Leben. An diesem Tag hatte ich vieles verloren, aber besonders meine Hoffnung. Sie war in meinen Händen zerbrochen, wie eine zerschlagene Vase aus Gold. Wertvoll und unersetztlich, wie das Leben...
Ich fuhr mit den Fingern über die leichte Erhebung daran und zuckte zusammen. Warum musste es noch immer schmerzen? Mein Blick glitt den Arm entlang und ich seufzte. Ich würde nie wieder in T-Shirt rumlaufen können, wenn ich hier irgendwie rauskam. Nie wieder.

Denn die Leute dort draußen würden verdammte Fragen stellen, würden mich nach meiner scheiß Vergangenheit fragen! Aber sie würden es nie verstehen. Einen Psycho verstand niemand, auch kein Psychologe, sie waren nur Teil einer Therapie, saßen als Zuschauer daneben und stellten Fragen. Normale Menschen urteilten viel zu schnell, obwohl sie die Gedanken nicht kannten. Keiner der Leute dort draußen konnte sich meine Gedanken vorstellen und jeder der es versuchte, scheiterte sowieso.
Ich hätte mich selbst auch nicht verstanden, hätte geurteilt und Verachtung gesäht. Aber ich war dieser verdammte Psycho und verstehen musste man mich nicht!

Ich musste an Fenja denken und dachte an die ganzen Narben. Sie waren unzählbar, ein Buch des Lebens und noch lange nicht zu Ende geschrieben. Ich stellte mir die unzähligen Klingen und Scherben vor, die sich durch die Haut geschält hatten. Die Schmerzen, das verbitterte Gesicht. Die lautlosen Hilferufe, die niemand verstand, weil niemand die Gedanken einer Suizidgefährdeten kannten. Niemand kannte sie; denn sie waren unterschiedlich und gleich zugleich. Man wollte einfach nur noch sterben, nichts mehr vom Leben wissen. Das Blut war egal und die Schmerzen ein Teil des Ichs geworden. So war es bei mir gewesen und bei Fenja musste es noch schlimmer gewesen sein...

Ich sah zum Fenster und stellte mir die Menschen auf den Straßen vor. Stellte mir vor, wie sie auf einen Psycho zeigten, der in Schwarz durch die Menge ging. Eine Kapuze auf, damit man keine Emotionen oder Gefühle sah. Einen Pullover, obwohl es Sommer war, damit niemand die Narben am Unterarm sah. Die Augen unbestimmtes Ziel gerichtet und jeder fragte sich, wie sein Leben war. Aber niemand half ihm, sie sahen nur zu. Und der Psycho verließ die Menge an Zuschauern und ging in den Wald, weil er dort alleine war. Und dann verlässt er die Wege dort.

Er geht in den Wald und setzt sich auf einen Baumstamm. Und er holt eine Klinge hervor, schaut um sich. Und als da niemand ist, reißt er den Ärmel hoch und beißt die Zähne zusammen. Und dann bereitet er sich auf den Schmerz vor und denkt kurz an sein scheiß Leben. Aber er ist zu entschlossen um es zu ändern. Also ritzt er sich die Haut auf und schließt die Augen vor den Tränen. Denn er weint, weil es ihm scheiße geht. Und dann wird alles schwarz, aber da sind Leute, die ihn retten. Irgendwie. Und er muss weiterleben, jeden Tag kämpfen.
So muss Fenjas Leben aussehen und das ist es vermutlich aus. Vielleicht wird es eines Tages auch meins sein, wenn ich es nicht schaffe. Denn die Hoffnung rinnt davon, wie der Sand in einer Sanduhr...

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Hey...sorry, dass so lange kein Kapitel kam. Hatte viele Gründe, aber jetzt kommen wieder regelmäßige Kapiteluploads, versprochen!
Sorry.
LG
FantasySoja

Psychiatrie - Lasst uns zusammen sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt