Ehrlichstett, Oktober 2016

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Langsam geht der Richter den Teichweg entlang.

Er hat eine Idylle erwartet. Das ist das, was ihm geschildert wurde.

Aber das ist nicht, was er vorfindet, denkt er.


Als er sich langsam auf eine Bank am Rande des Geschehens setzt, rennt ein riesiger ungeschlachter Junge mit groben mongoloiden Gesichtszügen an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten. Neben ihm einübermütig galoppierendes winziges krummbeiniges Pony. Der Junge stößt gutturale Laute aus, die unmissverständlich Entzücken äußern. Abrupt bleibt das Pony stehen und die Laute des Jungen werden laut und verzweifelt, als es ihm nicht gelingt, das Pferchen zum Weiterlaufen zu bewegen. Tränen beginnen die runden Wangen des Jungen hinunterzulaufen. Ein etwa 10 jähriges Mädchen, das dem riesigen Jungen nur bis etwa zur Brust reicht, kommt gelaufen und bringt das Pony mit energischen Rucken an der Leine wieder in Gang. Sofort löst ein Strahlen auf dem Gesicht des Jungen die Tränen ab und er nimmt die Leine aus der Hand des Mädchens und setzt seinen Weg mit dem Pony fort.

Auf dem Reitplatz steht eine Reihe hoch aussehender Hindernisse und eine schlanke junge Frau mit langem schwarzen Haar unterrichtet eine Gruppe von Jugendlichen. Der Richter ist kein Experte, aber ihn beeindruckt der sichere und gelassene Umgang der Kinder mit den Pferden und den für ihn gefährlich hohen Sprüngen. Und er vermisst den an Reitställen üblichen Kommandoton. Hier fällt kein lautes Wort und Lob scheint das einzige zu sein, das man von der jungen Frau hört. In einer Ecke dieses Reitplatzes sieht der Richter ein weiteres größeres Mädchen, das einem Kind hilft, ein dickes schwarzes Pony um bunte Kegel zu führen. Die Reiterinnen stören sich nicht an den Dreien, sondern machen mit ihren Pferden gekonnt Platz, wenn das Pony nicht so will, wie das Kind.

Unter den Bäumen steht eine Anzahl von Pferden, große und kleine. Eine chaotische Menge Kinder und einige Erwachsene laufen dort herum.

Es ist laut.

Ganz schön gefährlich, denkt der Richter. Was wenn eines der Tiere jetzt durchdreht und tritt? Aber die Pferde sind die Ruhe selbst. Die Ausgelassenheit der Kinder scheint sie nicht zu stören.

Hier sieht er auch die Haalswor. Er kennt sie, man spricht über sie und ihren Kunstprozess. Nicht eben die besten Karten, die Gute, denkt er.

Und dann das hier.

Seufzend schließt der Richter die Augen.

Die sanfte Herbstsonne streichelt seine Wangen.

In seinem Gerichtssaal fanden sie alle zusammen: Diese Künstlerin, der strenge Vereinsvorsitzende, die Anwälte und bittere alte Männer voller Selbstgerechtigkeit und Vorwürfe, die drehen und wenden und deuten an einem Vertrag, der eindeutig etwas anderes aussagt.

Lügen und Halbwahrheit, verwirrende Aussagen, die sich widersprechen und Angst. Angst und Hass. Angst wovor und Hass wogegen? Kinder mitPonys? Vorstellungen, die so nicht verwirklicht wurden?

Moral oder Gesetz?

Form oder Gerechtigkeit?

Die Zukunft dieses Vereins liegt in den Händen des Richters, das ist ihm klar.

Er kann entscheiden, er muss richten.

Und die Erwartungen die man an ihn hat, sind auch klar.

Es gibt solche und solche Richter, denkt der Richter.

Und er ärgert sich, dass er gekommen ist. Dass er sich hat verführen lassen, sich das anzusehen. Wovor sie alle so eine Angst haben.

Dass er jetzt hier sitzt, am Rande und sich das ansieht.

Libertas Haus, das SchlossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt