Ehrlichstett, Mai 2015

3 0 0
                                    


Tammi kommt aus der Schule und schmeißt ihre Schultasche mit hohem Bogen die Stiegen vom Gartenhaus hinauf. Es ist schon später Nachmittag, viel Unterricht hat sie nicht mehr, so kurz vor dem Abitur, aber manchmal trifft sie sich noch in der Stadt zum Lernen mit Freundinnen oder zum Lesen in der Bibliothek.

Corinne sitzt am Tisch vor dem Gartenhaus vor sich den Laptop in den sie emsig eintippt.

„Was machst du?" Tammi lässt sich auf den Holzstuhl ihr gegenüber fallen.


„Warte kurz, ich bin gleich fertig," Corinne beugt sich stirnrunzelnd über die Tatstatur und murmelt noch: „Muss mich eben konzentrieren."


Tamara steht auf und holt sich eine Cola aus der Küche. Als sie zurückkommt hat Corinne sich zurückgelehnt und liest den Text durch, den sie geschrieben hat.


„So, fertig." Sie lächelt Tammi an.


„Wassn los?"


„Ach,schon wieder Ärger. Der Bürgermeister hat uns sämtliche Pachtflächen gekündigt, ohne Angabe von Gründen und fristlos. Und interessanterweise auch Flächen, wie wir gar nicht von der Stadt gepachtet haben. Ziemlich verwirrend und blöd dazu auch.

Ich habe ein Schreiben aufgesetzt, in dem ich um Erklärung bitte und einen Terminvorschlag für ein persönliches Gespräch."

Sie seufzt laut auf.


„Hm, echt viel Ärger in letzter Zeit, oder?" Tammi sieht sie traurig an. „Wenn man überlegt wie das hier alles angefangen hat, Schlossfest und so, all die Euphorie, jetzt wird es besser, als in Libertas Haus und eigentlich ist alle nur noch schlimmer geworden.Aus dem großen Retter ist ein Klapsmann geworden und wir werden dauernd verfolgt und verhetzt" Sie dreht den Laptop herum, zieht ihn zu sich heran und tippt in die Tastatur.


„Hier, sieh dir das an." Sie dreht den Bildschirm wieder zu ihrer Mutter.

„Das ist dies Internetgruppe, von der Kylie mir erzählt hat. Die schreiben ziemlich viel und ziemlich übles Zeug. Geht alles gegen dich, ein Haufen Lügen, aber vielleicht fangen die Leute an, das zu glauben. Vielleicht kündigt der Bürgermeister deshalb die Pachtverträge."


„Interessant!" Corinnes Stimme ist abwesend, als sie konzentriert den Bildschirm betrachtet. Sie tippt ein paar Befehle auf der Tatstatur ein und lächelt Tammi an.

„Gast du das gesehen?"


Tammi steht auf und geht zu ihrer Mutter um den Tisch herum, sieht ihr über die Schulter und betrachtet den Bildschirm. Corinne hat ein Bild vergrößert, das Eingangsbild zu der Hetzgruppe „Schutz und Schild für Ehrlichstett". Der Schriftzug ist groß über eine alte Abbildung des Schlosses gelegt, aber man sieht deutlich, worauf Corinne hinauswill. Der Künstler , der das alte Bild gestaltet hat, hat eine große Gruppe Raben über das Schloss fliegend dargestellt, was der heiteren, sonnigen Ansicht des Schlosses und des gepflegten Parks etwas sonderbar Düsteres verleiht.

„Mann, Mami, du sollst den Text lesen, nicht das Bild anschauen!"


„Ach.Diesen Mist lese ich nicht und du solltest das auch nicht. Lass die doch schreiben, je mehr man das liest, desto mehr Wichtigkeit gibt man denen. Und Lügen kann man nie beweisen und irgendwann kommt die Wahrheit raus und dann stehn die blöd da. Lügen haben immer..."


„...kurze Beine, ich weiß." Tammi vollendet lächelnd den Satz, mit dem sie aufgewachsen ist. „Diese Raben jedenfalls sind noch immer da," sagt sie mit Blick zu dem großen Exemplar, das krächzend auf der Turmzinne sitzt.


„Ja,die Raben umgeben das Schloss offensichtlich schon seit Jahrhunderten."


„Genauso, wie die anderen alten Geschichten. Die Geschichte vom Meister von Ehrlichstett, kennst du die? Wird dir gefallen, kommt auch ein Pferd drin vor."
„Alte Gemäuer umgeben doch immer alte Geschichten. Oder? Und irgendwie gleichen sich alle diese alten Geschichten. Ein Guter, ein Böser, ein Unschuldiger, ein Unbescholtener, eine große Gefahr, etwas Zauber und alles wird wieder gut."


„Die Geschichte vom Meister von Ehrlichstett wiederholt sich alle paarJahre, heißt es. Es ist, wie Greta sagt, hier ein Schnittpunkt zwischen den Welten und wenn die Welten sich aufschieben und ein Spalt frei wird in den Dimensionen, dann kann Böses ungehindert eindringen. Und dann muss ein neuer Meister kommen und die Situation wieder retten. Schlimm wird es erst, wenn kein Meister mehr da ist und das Böse sich ungehindert ausbreiten kann."


„Ja,ja, „ Corinne schmunzelt, „du und deine Greta mit eurer Gruftiesoterik. Der Ritter mit dem Flammenschwert auf dem Schimmel. Frage mich wo er jetzt gerade ist. Wir könnten mal einen brauchen!"


„Ein Rappe, das wird dir besser gefallen. Der Meister reitet auf einem Rappen!"


Corinne steht auf und wuschelt Tammi zärtlich durch die Haare," Ja, da hast du recht, das mit dem Rappen gefällt mir besser, denn der wäre ja schon da. Fragt sich nur, wo der Meister steckt."
Plötzlich beugt sie sich vor und sieht Tammi intensiv an. „Was ist den mit deinem Emogruftischmuck passiert? Der Ring ist komplett schwarz, war der nicht immer kupfern? Das sieht ja scheußlich aus."


Tamara zuckt zusammen und schiebt den T-Shirt Kragen über den geschwärzten Ring, der aus dem Ausschnitt gerutscht ist.

„Ich weiß schon, das sieht blöd aus. Ich muss mal Greta fragen, was da passiert ist. Kupfer kann eigentlich nicht schwarz oxidieren, hab ich nachgelesen. Ist vielleicht ein Gemisch, oder so, nicht ganz rein."


„Nimm das ab, bitte," sagt Corinne," das sieht nicht aus, als ob das gesund wäre, Egal, was Greta dazu sagt, nimm das bitte ab."


„Lass mal, ist bestimmt wegen Schwitzen und so, weil es so heiß ist."Tammi steht auf und will sich den Blicken ihrer Mutter entziehen.

„Nein,Tammi, bitte, das sieht nicht gut aus. Nimm das wenigstens ab, bis du mit Greta gesprochen hast, wenn dir das so wichtig ist. Bitte"


Widerwillig zupft Tamara an dem schmalen Lederband, das den Kupferring an ihrem Hals befestigt. Das Bändchen löst sich und durch das Gewicht des Rings entgleiten ihr die Enden und der Ring fällt herunter. Mit leisem Klingen kommt er auf dem Boden auf und kullert unter denTisch. Tamara bückt sich, kriecht unter den Tisch und hebt ihn auf.

„Mami, guck mal!" Ihre Stimme klingt erschrocken.


Corinne dreht sich um und sieht sie an. Auf ihrer ausgestreckten Hand liegt der Ring, an seinem schwarzen Lederbändchen und funkelt in hellstem, glänzendem Kupfergold.


Libertas Haus, das SchlossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt