Ohne Titel Teil113

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Halle/Saale-

Streit um Rapunzel eskaliert

VON R.H.


Corinne Haalswor ist Vollblutkünstlerin und Pferdeliebhaberin. Aus Bayern ist sie nach Sachsen-Anhalt gekommen, wo sie erst in Grömlitz lebte und dann nach Ehrlichstett zog. Dass der Wunsch, einfach frei zu leben, juristischen Ärger nach sich ziehen kann, erlebt sie nicht zum ersten Mal, doch jetzt will sie vor dem Bundesverfassungsgericht kämpfen. Es geht um Rapunzel und die Freiheit der Kunst.

Was ist passiert: Haalswor hatte 2010 den Rapunzel-Zyklus geschaffen. Der Zyklus ist die Fortsetzung einer 2005 begonnenen Märchenbilder-Serie. Das Thema der Serie: Gewalt gegen Kinder. Gegenstand der Darstellungen sind Kinder, die ausgesetzt, vertrieben, getäuscht, gefangen genommen, gefoltert, mit dem Tode bedroht oder in einen totenähnlichen Schlaf versetzt sind, wie ihre Märchenvorbilder Rotkäppchen, Schneewittchen und Hänsel und Gretel. Haalswor greift auch das Motiv des Märchens von Rapunzel, das in einem Turmgefangen ist, auf: die Versuche, sich selbst zu retten aus dem Turm, alleine, ohne Hilfe, dabei verletzt zu werden und einsam zu sein.

Die Rapunzel-Mädchen aus Haalswors Pinselspitzen waren keine reine Fantasie, sondern hatten lebende Vorbilder. Genau das wurde ihr schließlich zum Verhängnis. Im Erklärtext heißt es: „Im Gegensatz zu den Kindern der ersten Märchenbilder, deren Darstellung samt und sonders frei erfunden war, stellen diese Arbeiten drei ihr bekannte Mädchen im Adoleszensalter dar. Für die Abbildung hatte sie die Genehmigung der Eltern und der Abgebildeten erhalten."


Genau um diese Genehmigung entbrannte der Streit, denn aus Sicht der Eltern wurde ihre Tochter in einen Zusammenhang mit Kindesmissbrauch gebracht. Haalswor versteht die ganze Aufregung nicht. Der Inhalt des Märchens Rapunzel sei doch bekannt, eine Deutung der Geschichte als Kindesmissbrauch völlig unverständlich. Während der Ausstellung in Halle/Saale seien die Rapunzel-Bilder deswegen auch räumlich getrennt von den anderen Märchenbildern, gezeigt worden. Erst in einem Pressebericht sei der Zusammenhang hergestellt worden, weil dort neben einem Bericht zur Kindesmisshandlung das Bild von„Rapunzel 4" gezeigt wurde. Die Eltern des dargestellten Mädchens hätten darauf reagiert, die Künstlerin kontaktiert und verlangt, das Bild aus dem Zyklus zu entfernen. Haalswor weigerte sich dagegen und argumentierte dabei nicht nur mit der künstlerischen Freiheitund dem aus ihrer Sicht konstruierten Kontext. Wie das Bild verwendet werden würde, sei den Eltern bekannt gewesen. Außerdem: „Die abgebildete Person wird weder namentlich genannt, noch lässt die Abbildung weitere Rückschlüsse auf ihre Identität zu." Die Eltern hätten gleichwohl ein generelles Verbot des Bildes angestrebt.

Vor zwei Gerichten bekamen nun die Eltern Recht, darunter vor dem Landgericht Halle, wo gerade das Bild „Rapunzel 4" verboten wurde. „Hiergegen liegt Verfassungsbeschwerde wegen der Verletzung der Grundgesetzartikel 5 Absatz 3 (Kunstfreiheit) und 12 Absatz 1(Berufsfreiheit) vor." Haalswor sieht in dem Urteil einen Anlass für eine Grundsatzdebatte zur Demokratie. In einer Onlinepetition erklären Haalswor und ihrer Unterstützer: „Wir sind der Meinung, dass das Verbot von Kunst ein unzulässiges Mittel ist, nicht nur und besonders im vorliegenden Fall, sondern auch allgemein im Umgang mit Demokratie und Meinungsfreiheit." Die Kunst sei Garant und Wächter der Demokratie. Auch wenn Haalswor das explizit nicht sagt, so berührt sie eine Grundsatzdebatte, wie sie im Zuge der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann im Herbst 1976 aus der DDR auchgeführt worden ist. So erklärt die Künstlerin weiter: „Kunst zu verbieten, ist stets der erste Schritt in eine Diktatur." Sie gibt zu bedenken, wohin das führen würde, wenn ein Künstler alle nur denkbaren Deutungen seiner Arbeit zu bedenken hätte. „Eine solche Praxis würde im Namen des ‚Schutzes der Persönlichkeitsrechte' dem Verbot jeglicher Kunstwerke Tür und Tor öffnen, und zwar könnte alle Kunst wahllos verboten werden."

Die ersten Unterstützer haben sich bereits erklärt. So wird im Internet zitiert: „Die Inquisition ist die Mutter der Zensur." Ein anderer meint: „Kunst ist eine Form der Äußerung der Meinungsfreiheit. Dieses Recht sollte jeder besitzen, egal welche Meinung er vertritt." Auch andere Künstler stehen hinter Haalswor: „Artikel 5 lässt keine Abweichung, in welcher Richtung auch immer, zu. Es ist ein Grundgesetz und damit unantastbar. Die beteiligten Personen und vor allem die Beteiligten Richter müssen in ihre Schranken verwiesen werden."



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