Halle/Saale Februar 2016

3 0 0
                                    



Tamara sitzt an Jakobs Bett und sieht ihn an. Sie haben ihn ins Krankenhaus bringen lassen und die haben ihn gleich da behalten, wegen Kopfverletzung. Verdacht auf Gehirnerschütterung wie Greta gesagt hatte. Tamara ist gleich am nächsten Tag hingefahren und besucht ihn. Sie muss wissen, wie es ihm geht, aber auch was er gesagt hat.Ob er....ob er etwas über Devon gesagt hat, wie es nun weitergeht, ob das Ganze verfolgt wird.

Jakob sieht klein aus, in den weißen Laken, in dem schmalen Bett, klein und jung. Sein Gesicht ist geschwollen, die Lippe überdimensioniert dick, eine Platzwunde an der Schläfe genäht, ein dicker weißer Verband. Gar nicht der Jakob, den sie kennt, verändert. Krankenhaus. Der Geruch, das Ganze, verletzliche.

Im Bett neben seinem liegt ein alter Mann, hager, wie ausgehöhlt, der mit geschlossenen Augen vor sich hin röchelt.

„Wie gruselig" flüstert sie betroffen „Als ob der gleich sterben würde."
„Allerdings" nickt Jakob, „ist kein Vergnügen. Der hat noch kein Wort gesagt, ich glaube, der ist gar nicht mehr richtig da.

Ich hoffe, die lassen mich bald raus. Erst wollten sie mich nur die eine Nacht zur Beobachtung da behalten, jetzt noch eine" er seufzt,"hoffentlich dann also morgen."


„Ja, hoffe ich auch," Tamara senkt den Kopf „tut mir leid," sagt sie dann leise, „das alles."


„Kannst du nichts für," sagt Jakob nach einer Weile, „Bin selber Schuld, dass ich da eingelaufen bin, dass ich mich da eingemischt habe."


„Warum.." fängt sie an und sieht ihn an, „...aber egal," bricht sie ab,als sich ihre Blicke treffen. Sie weiß schon, was kommt und sie will es nicht hören.


„Weil ich mir Sorgen mache," ignoriert er ihre Abwehr, „weil ich dich vermisse, weil ich.....weil ich dich noch immer liebe."

Sie schweigt und sieht auf den Boden.


„Weil der Typ nichts für dich ist, ehrlich!"


Sie schweigt weiter.


"Du hast etwas besseres verdient, als den. Ehrlich!"


Endlich hebt sie den Blick und sieht ihn an: "Was geht es dich eigentlichan? HÄH?" Sie wird wütend „Was mischt du dich ein, und warum? Bin ich so eine Art Eigentum von dir? Woher willst du wissen, was ich verdient habe und was nicht?"
Sie merkt, wie ihre Stimme laut wird und korrigiert sich: "Ich will dir sagen, was ich verdient habe: Genau den Devon, das ist, was ich verdient habe und ändern kannst du bestimmt nichts daran. Komm doch mal zu uns und sieh dich um: Über meine Mutter hängt ein Aushang vorne am Schloss, da steht drin dass sie lügt und betrügt und eine Kinderschänderin ist, das Internet ist voll von solchen Behauptungen, was meinst du, was ich bin? Ich bin ihre Tochter, also, was habe ich wohl verdient? Ich kann nicht mehr auf die Straße gehen in Ehrlichstett, ohne mir Gedanken zu machen, was nun wer gerade hinter meinem Rücken über mich lästert und redet, wie es bei uns zugeht und was wir alle für Verbrecher sind. Was also habe ich wohl verdient? Frage dich!"

„Und," sie wird wieder laut "Halte dich da lieber raus! Sonst wirst du da noch reingezogen und dann steht auch über dich im Internet, wie verlogen und schlimm du bist und was für ein Verbrecher, mit diesem Verbrecherverein!"
Sie sackt zusammen und schlägt die Hände vor ihr Gesicht. Die Tränen quellen hervor, Schluchzen schüttelt sie. Laute jähe Schluchzer.


Er hat sich aufgerichtet, zieht sie an sich, voller Mitgefühl, selbst der Alte der nebenan gibt keinen Laut mehr von sich, als hätte der Ausbruch seine selbstgewählte Isolation gestört.

„Ist doch OK, Tammi," sagt er leise und streicht über ihren Rücken,„SCHT, Tammi, das stimmt doch alles gar nicht, das weißt du doch. Das können die doch nicht machen mit euch. Und da könnt ihr etwas gegen machen, vor allem!"


„Und Fußball, Fußball ist auch weg," schluchzt sie unter Tränen.


„Fußball?"Er stutzt, versteht nicht. Dann: „Ach, der Kater. Der kommt schon wieder, wirst sehen."


„Derwar noch nie weg, der ist doch noch klein."

Aber langsam ebben die Schluchzer ab.

Sie hebt ihr tränenverschmiertes Gesicht und sieht ihn an.

Sie richtet sich auf, wischt sich mit den Handflächen die Augen und rückt von ihm ab.


„Tut mir leid, ich bin so ein bisschen daneben zur Zeit. Da komme ich dich besuchen und du bist eigentlich krank und ich heule dir was vor," sie versucht ihn unter Tränen anzulächeln. „Selbst der Alte hört jetzt zu," sie nickt mit dem Kinn zu dem Bettnachbarn, „so viel Geheule hat der wahrscheinlich seit Jahrhunderten nicht gehört."


„Ist schon gut, ich verstehe das schon. Und das mit mir ist nicht schlimm. Hab ich mir selbst zuzuschreiben, hast Recht. Und, wenn du das willst, dann lasse ich dich in Zukunft in Ruhe," er richtet sich auf, "versprochen."


„Ich weiß noch nicht mal, ob ich das will," sagt sie leise," das ist ja das Irre an dem Ganzen. Ich habe keine Ahnung, was ich will. Das ist einfach irgendwie zu viel - ich will eigentlich ein ganz anderes Leben, ohne irgendwelche Irren, die einen verfolgen, ohne den ganzen Druck und mit Freunden, ein paar Partys, ein bisschen Studium, ein bisschen Pferden und Reiten und immer Sonnenschein." Sie muss selber lachen.


„Aber mal im Ernst, ihr müsst etwas dagegen machen, deine Mutter, das geht doch nicht. Sie muss diesen Typen endlich anzeigen, sie soll sich das nicht gefallen lassen und der Verein auch nicht."


„Macht sie doch jetzt, das wird ja alles. Sie hat das ganze Zeug zusammengetragen und zum Staatsanwalt gebracht, jetzt vor allem diesen Aushang, diese sogenannte „Petition" und das wird dort geprüft. Das dauert nur alles. Und diese Zeitung, die ist voll auf der Linie vom Grafen. Die wiederholen diesen ganze Mist auch noch und lassen den Verein gar nicht zu Wort kommen. Das ist irgendwie das Schlimme, dass uns im Ende keiner mehr glaubt. Und keiner weiß, ob das nicht auch so bei dem Staatsanwalt ankommt. Und was wenn? Dann werden wir verurteilt wegen Sachen, die wir gar nicht getan haben. Wie im Mittelalter. Das kann doch nicht sein. Das kann doch irgendwie eigentlich gar nicht wahr sein!"


„Tja,das klingt wirklich schlimm. Aber ich denke, ihr müsst anfangen euch zu wehren. Ihr habt euch das zu lange gefallen lassen!"


„Ja, weil wir immer gedacht haben, dass diese Anschuldigungen ohnehin niemand glaubt, weil sie so absurd sind. Und bei uns ist doch alles offen, man sieht doch, dass wir das alles nicht machen. Kann doch jeder jederzeit kommen und nachsehen. Kommt denn hier keiner mal gucken? Die von der Zeitung, die waren doch da? Die schreiben, wie alles voller Müll ist und dass wir Bäume abgeholzt haben und so weiter, aber das sieht man doch, dass das nicht so ist. Das kann ich immer noch nicht verstehen."


Eine Pause entsteht.


Jakob schüttelt den Kopf: „Hm weiß ich auch nicht. Ich weiß nicht, warum die alle diesem Klapsmann glauben und nicht ihren eigenen Augen."


„Das ist, warum ich mich jetzt für Jura eingeschrieben habe. Ich will Gerechtigkeit. Nicht Glauben. Ich will..." sie überlegt, „ich will raus aus dem Mittelalter!"


Wider Willen müssen sie lachen.

„Raus aus dem Mittelalter, das ist super," sagt Jakob. „Gutes Motto, vielleicht fürs nächste Mittelalterfest!"


Libertas Haus, das SchlossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt