Ehrlichstett August 2016

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Sie sind noch immer in Ehrlichstett. Hugo arbeitet sich ab an Versuchen, Renfeld wieder ins Schloss zu holen. Rabena versteht das. Und sie versteht es nicht. Klar, Hugo braucht den Renfeld, er ist der einzige, der für praktisch nichts das Schloss aus dem Nichts aufgebaut hat. Seine Energie hält diese Wände zusammen, seine absurde Treue zu diesem Gemäuer. Und Hugo weiß das. Und Hugo nimmt keine Rücksicht. Was er braucht, das braucht er und das nimmt er sich, sie weiß das.


Die Tage sind heiß und drückend. Die kurze erfrischende Regenpause ist einer zweiten Welle subtropischer Hitze gewichen. Rabena bleibt im Schloss, das nun angenehm kühl ist, das feuchte kühle staubige Grau der Räume hilft ihr beim Nachdenken, beim zur Ruhe kommen. Was eigentlich bedeutet, dass sie nicht nachdenkt und Zeit hat, sich nicht mit Hugos Forderungen auseinanderzusetzen.

In den weichen warmen Sommernächten hat sie ihre Treffen mit Abel wieder aufgenommen.

Das Öffnen der Koppelzäune hat aufgehört, wahrscheinlich ist die erfolgreiche Anzeige gegen diesen Bonsayh dafür der Auslöser, so dass Abel und sie eigenartig untätig auf der nächtlichen Koppel sind und dem dem schwarzen Hengst zusehen, zu dem Abel eine so eine sonderbare Bindung aufgebaut hat. Zumeist lehnt Abel an einem Baum und sie an Abel, die warme Nacht umschließt sie wie ein Mantel und umhüllt sie mit Wärme und Zärtlichkeit und Stille.

Stille.

Die Stille die sie genießt. Tagsüber die Stille im grauen Schloss, nachts die Stille in der mitternachtsblauen Dunkelheit.

Stille, das ist Ruhe und Nähe. Stille, das ist die Abwesenheit von Worten, denkt sie. Stille ist auch die Abwesenheit von Lügen. Die Stille, die sie mit Abel teilt, ist die Ehrlichkeit, die Aufrichtigkeit, die Worte und deren Gebrauch verhindern.

Umso erschrockener ist sie, als sie ihn sprechen hört.


Sie kommt den Hügel hinauf, auf die Koppel und sieht ihn am Hals des Schwarzen lehnen. Er steht mit dem Rücken zu ihr und sie hört seine Worte: „Schwarzer, schöner Schwarzer." Und sie sieht seine Hände die den Hals des Hengstes auf und ab streichen. Seine Stimmeist rau und tief - angenehm. Ein Schauder läuft ihr über den Rücken. Sie hat immer gewusst, dass er sprechen kann. Immer, irgendwie. Aber, dass er es tut? Das erschreckt sie. Es ist, als ob die Lüge nun offenkundig wird, als ob die Lüge einzieht auch in diesen Teil ihres Lebens, als ob sie vor nichts Halt macht, als ob sie sich hineinstiehlt in ihre Liebe zu Abel, in die Reinheit und...in die Stille.


Sie dreht sich um und flieht.

Ein Knacken, ein Knistern, ein Zweig der unter ihren Tritten zerbricht, sein Ruf „Rabena!" halblaut, halb leise. Seine Stimme, voller Sehnsucht, voller Angst, sie zu verlieren.

Sie will seine Stimme nicht. Sie will nur die Sprache der Körper und der Berührungen, sie will Stille, sie will ihn nicht.


Außer Atem kommt sie im Schloss an.

Hugo fängt sie hinter der Tür ab. Seine Augen sind hell, glitzern.

„Wo kommst du her?"

Sie kann ihn nur ansehen. Sie kann nichts sagen. Sie wird nie mehr sprechen, nicht sprechen nicht lügen, kein Meineid, keine Zeugenaussage vor Gericht, nicht mehr reden, nie mehr.

Sie hört seinen zischenden Atem: „Los, sag es, Rabena!" Er zerrt an ihrem Arm um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Er zerrt so hart, dass sie Angst hat, er könnte ihr den Arm auskugeln.

Sie ist gefangen mit ihm in diesem Schloss mit seinen undurchdringlichen Wänden. Sie sollten keine Gefahr hereinlassen, wie hätte sie wissen können, dass sich die Gefahr die ganze Zeit mit ihr im Schloss aufhielt?
Die Angst macht sie leicht, als würde ihr Körper an den Rändern unscharf.

„Setz dich, Rabena!" Sie fühlt sich auf einen Stuhl gedrückt.

„Ich frage ich noch einmal, was ist los?"

Wer ist dieser Mann? Ihr Mann? Wer ist Abel? Ihr Geliebter? Wer ist sie? Wo enden alle Lügen? Sie sieht Hugo an und denkt, er wäre zu allem fähig. Natürlich war er es.

Nur das Schweigen schützt vor der Lüge.


Folgendes wird passieren:

Rabena wird bleiben. Hier. Sitzen. Bleiben. Vor. Ihm.

Bis sie ihm glaubt. Er wird seine Geschichte wiederholen. Sie wird sie wiederholen. Die Wiederholung wird sie immer mehr dran glauben lassen. Eine Zeugenaussage vor Gericht. Das ist einfach. Wie wird er wissen, wann sie ihm glaubt?
Das ist leicht.

Er weiß alles.

Tu einfach was er sagt und alles ist in Ordnung. Eine Zeugenaussage.

Einfach. Okay?

Okay.


Libertas Haus, das SchlossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt