Der Sommer holt noch mal richtig aus, läuft zu Hochform auf, während aber schon die ersten Blätter in der bewegungslosen Luft sanft von den Bäumen sinken und sich zu trockenem staubigem Laub am Boden zermahlen.
Alles scheint sich zusammenzuziehen, zu konzentrieren, denkt Tamara, auch sie selbst. Es ist, als wäre sie über Nacht gereift, erwachsen geworden. Nicht nur dass sie, durch die Trennung nun auch von Devon, zur Ruhe gekommen ist, auch ihre Gabe, ihre sonderbare mediale Begabung, sie hat ihren Frieden damit geschlossen, ja, sie erkennt sich, wie sie ist und versucht nicht weiter, es zu leugnen oder dagegen anzukämpfen.
Es ist, als ob die Verantwortung, die sie übernommen hat, weil sie ja nun für den kleinen schwarzen Hund sorgt, sich auch auf ihr eigenes Leben erstreckt.
Der kleine Hund war ihr vom Strand aus nachgelaufen, ein kaum erkennbarer Schemen in der Nacht, bis auf das Schlossgelände. Sie hörte das Schaben der kleinen Krallen auf den Steinen vor dem Schlosstor, als sie versucht war, ihm die Tür vor der kleinen schwarzen Nase zu zumachen und ihn auszusperren, ihn seinem Schicksal zu überlassen. Aber als sie sich in der Tür umwendet sieht sie ihn vor sich sitzen, geduldig, mit einem freundlichen Blick in den alten hellen Augen,bereit, jede ihrer Entscheidungen zu akzeptieren, außer der, sie zuverlassen.
„Na, gut," brummt sie, „ich hoffe nur, du bist stubenrein." Und der Kleine tappelt mit ihr die Stiegen hinauf und in ihr Zimmer, rollt sich vor ihrem Bett zu eine drahtigen Kugel zusammen und schläft dort ruhig und traumlos, die ganze Nacht.
Sie nennt ihn „Hund" bewusst, keine Bindung, bewusst kein eigener Name, aber Hund spottet dieser passiven Ablehnung, denn er liebt seinen neuen Namen und folgt begeistert auf die kleinsten Äußerungen von ihr an seine Adresse.
Corinne nimmt den Einzug des neuen Mitbewohners, gelassen, unbeteiligt, wie auch sonst alles. Es scheint, als ob das Verbot ihres Bildes, der Kampf, den sie verbissen um ihre Anerkennung führt, nun alles überdeckt. Seit dem Überfall konzentriert sie sich ausschließlich darauf, als ob sie hier einen Weg sieht, sich die Realität wieder anzueignen. Und die Realität scheint zu schwanken unter ihren Füßen, in ihrem Kopf. Was ist wahr, was ist richtig? Ihre eigene Wahrnehmung? Ist sie überfallen worden oder ist es dann kein Überfall, wenn ja kein Schaden entstanden ist, wie die Polizei deutet? Ist sie vom Bagger bedroht worden oder ist es dann kein Angriff, wenn kein Schaden entstanden ist? Haben sie das Gelände gepachtet oder ist es dann keine Pacht, wenn der Klapsmann sich nicht an einen Vertrag erinnern kann? Was stimmt, was ist wahr, was ist richtig? Und vor allem die Frage, ist sie noch eine Künstlerin, wenn eines ihrer Bilder „im Namen des Volkes" verboten wurde, oder nicht? Oder ist es vielleicht wirklich „nicht so schlimm"und sie solle einfach weiter machen, andere Bilder malen, die können ja nicht alle verbieten.
Und wenn doch?
Arme Corinne.
Sie kämpft und ringt, und ihr Kampf ist einsam und verbissen. Auch wenn dieser grauenhafte Bonsayh-Typ nun gebannt zu sein scheint. Die Internethetze und die Drohbotschaften von diesem Typen haben aufgehört, seitdem sie unterrichtet wurden, dass der Staatsanwalt ihn mit Strafbefehl belegt. Für alle, vor allem für die Vereinsmitglieder, für Desi und Dieter und die anderen, ist es eine Erleichterung und viel von der Unsicherheit fällt ab und man macht sich mit neuem Mut an den Kampf um Recht und Gerechtigkeit. Dazu kommt, dass sie kurz und knapp einen Prozess gewinnen, in dem der Klapsmann versucht hat, ihnen das Betreiben eines Zeltlagers für die Kinder verbieten zu lassen. Auch das bestärkt sie. Dazu rückt auch das Prozessdatum, der „große" Prozess, immer näher und Zimmermann und Gerhard sind hoffnungsvoll, dass sich nun bald ein Ende der ganzen Streitereien erreichen lässt.
Mit einem blubbernden Geräusch meldet sich das Handy, das neben Tamara auf dem Sofa liegt. Auf dem Display ein Name, er ihr ein Stöhnen entlockt. Hund sieht sie mit schief gelegtem Kopf neugierig an, so dass sie auflacht, weil er so komisch aussieht.
„Nein, du Dummchen, du nicht. Es ist nur....gerade freu ich mich, dass Ruhe einkehrt und sich alles entspannt und da..." sie schnauft genervt..."geht es wieder los. Manche Leute geben einfach nie auf."
Seufzend legt sie das Gerät neben sich, beschließt die Nachricht zu ignorieren.Blubber,- neue Nachricht, blubber, blubber, blubber.
Ich habe Besuch. Interessiert dich vielleicht.
blubber
Der Besuch will dich gerne sehen.
blubber
Er ist richtig groß geworden.
blubber
Ein Foto.
Ein Kleinkind, niedliche Pausbäckchen, blonde Locken und unbeschreibliche große graue staunende Augen.
Henry!
Blubber:
Meine Schwester ist in Reha, das dauert und Henry ist so lange bei uns.
Dürfen wir dich besuchen kommen?
Er vermisst dich.
Nicht nur er.
Ehrlich gesagt.
„Ach Hund," sagt Tammi mit einem Seufzen. Ein Seufzen hinter dem sich schon ein Lächeln eingenistet hat:
Ihr könnt ja mal herkommen. Aber nur wegen Henry. Dem gefallen bestimmt die Pferde und mein neuer Kumpel, den mag er sicher auch.
Und ein Foto von Hund, mit schiefgelegtem Kopf und diesen komischen stripseligen Ohren.
Tammi lächelt.
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Libertas Haus, das Schloss
ParanormalWas bisher geschah: Corinne Haalswor und ihre 16 jährige Tochter Tamara ziehen aus München in den wilden Osten Deutschlands ins Hinterland von Halle/Saale in das kleine Dorf Grömlitz. Hier scheint die Zeit stillzustehen und es finden sich bald all...