Irgendwo in Mitteldeutschland, Juli 2015

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„Mann, der sieht ja völlig schräg aus! Wieso trägst du noch immer das verdreckte Ding?"


Tamara hat ihre dünne Jacke ausgezogen und an den Haken hinter sich gehängt und sitzt nun im ärmellosen Shirt Kylie auf den Polstern des Zugabteils gegenüber. In ihrer Halsbeuge baumelt der geschwärzte Kupferring.


„Weiß nicht," murmelt sie und senkt den Blick, „ ich habe mit Greta gesprochen. Das ist nicht schlimm, das wird von selbst wieder."


Sie sitzen im Zug, tatsächlich im Zug nach Berlin. Ein Superbilligangebot der Bahn und ein alter, klappriger Bummelzug, deran jedem dicken Baum hält. Der Zug ist so alt, dass er noch keine Großraumabteile hat sondern die kleinen Sechssitzer mit denSchiebetüren, die sich pneumatisch schließen und knautschigen alten Kunststoffpolstern, auf denen Kylie in ihrem Minirock bestimmt klebenbleibt. Denn die Temperatur im Abteil ist zum Ersticken die Klimaanlage scheint nicht zu funktionieren und die Fenster lassen sich nicht öffnen.


Kylie verliert das Interesse an dem verfärbten Ring und summt eine kleine einfache Melodie vor sich hin, während sie anfängt in ihrer winzigen rosa Handtasche zu kramen. Tammi erkennt das Lied, das sie auch alle am Hof summen, ein richtiger Ohrwurm.


Tammi lässt ihre Gedanken schweifen. Sie freut sich.

Schnell war die Reise nach Berlin organisiert.

Wie zu erwarten war Corinne einverstanden gewesen. Sie hatte genug zu tun mit einer erneuten Strafanzeige und einem Schlagerstar, den keiner kennt und der sich anscheinend als neue Reitschülerin angemeldet hat. Eine Doreen Schmilzer, deren Namen Tammi noch nie gehört hat, anscheinend so eine abgehalfterte Singtante, was alle ganz aufgeregt macht. Nun gehe es aufwärts, jubeln Mandy und Gerhard, jetzt werde der Verein aufgewertet und gerate nun mal positiv in das Licht der Öffentlichkeit. Überhaupt Öffentlichkeit: Es war mal wieder ein Artikel über den Grafen und seine Verdienste in der Neuen Ostdeutschen Zeitung erschienen, bei der er keine Gelegenheit versäumt hatte, den Verein schlecht zu machen. Corinne und Gerhard finden es schlimm, dass die Zeitung noch nicht einmal nachfragt und um Stellungnahme bittet, sondern die Behauptungen des Klinsmanns einfach übernimmt.

Gleichzeitig war aber auch Rudi Heitmann, der ja jetzt für die HIER schreibt, am Hof gewesen und hatte Nicki, das winzige Fohlen von Elsa gesehen, das den Vereinsmitgliedern vor allem Desi auf Schritt und Tritt folgt. Nur wenig größer als die Hofkatzen geht Nicki Desi bis in die Vereinsräume nach, selbst bis vor die Toilettentür und hofft auf die Gabe ihres Fläschchens. Denn inzwischen nimmt der Winzling ein Babyfläschchen und wird immer noch rund um die Uhr von den Vereinsmitgliedern gefüttert. Man hatte sich schon so gewöhnt an den Anblick des außergewöhnlichen winzigen Pferdes, dass der Begeisterungsaufschrei von Rudi Heitmann ein bisschen verwunderte. Er wolle nun gleich mit einem Fotografen anrücken und Nicki in die HIER bringen; sie sei ein absoluter Star, Nicki lutschte derweilen an seinem Hosenbein herum und hinterließ einen feuchten Fleck mit dem der Reporter beseelt den Hof verließ. Das Sommerloch war gerettet.


„Hier!" Kylie unterbricht ihre Gedanken und zieht triumphierend eine zerknüllte Zigarette aus ihrer Tasche.

„Willste auch?"


„Kylie, du kannst hier doch nicht rauchen!" Tammi zeigt auf das Schild mit der durchgestrichenen Zigarette an der Glastür.

„Mir egall!" Kylie zündet sich die Zigarette an und lehnt sich zurück, wobei sie einen tiefen Zug nimmt.

„Geil,„ seufzt sie „Is was drin. Willste wirklich nicht?"

Libertas Haus, das SchlossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt