Die Haustür fällt zu und Mandy hört Gerhard in die Küche gehen. Die Kaffeemaschine geht mit leisem Surren an.
Mandy sitzt im Wohnzimmer. Es ist dunkel. Sie hat das Licht schon ausgemacht und auch den Fernseher. Sie sitzt hier und grübelt. Schon geraume Zeit. Eigentlich wollte sie nicht auf Gerhard warten, er kommt immer so spät zur Zeit, so spät, dass das Gespräch zwischen ihnen praktisch zum Erliegen gekommen ist. Sie hier in Grömlitz, kümmert sich um Charlotte und er in Ehrlichstett, immer in Ehrlichstett, immer im Dienst, immer dabei, die Welt zu retten.Welche Welt, eigentlich und warum?
Was ist mit ihrer Welt geworden, ihrer gemeinsamen? Ihrer Familie, Charlotte, wann hat die den Vater das letzte Mal gesehen, außer an den Wochenden? Wenn sie mitkommt nach Ehrlichstett und der Vater dort auch nur keine Zeit für sie hat und sie mit den anderen Ponykindern rumhängt.
Und Devon. Mandy seufzt. Devon hat sich entzogen, völlig entzogen. Die seltenste Zeit ist er zu Hause, meistens irgendwo und irgendwie, sie hat den Versuch aufgegeben mit ihm zu reden. Er bräuchte einen Vater, denkt sie, der ihn mal mitnimmt zum Angeln oder Radfahren, zum Reden unter Männern. Aber Gerhard, der hat keine Zeit, der muss die Welt retten. Und nun einmal mehr, seit dieser Bonsayh sich auf ihn eingeschossen hat. Seitdem kennt er kein anderes Thema mehr.
Mandy weiß, dass er die Internetseite von diesem Bonsayh liest und dass ihn das wahnsinnig macht. Diese Ohrnacht, da nichts gegen tun zu können, gegen diese Lügen. Bonsayh verdreht alles, jedes kleinste bisschen Information, das er erhält, wendet und verzerrt er solange, bis es eine üble Anklage wird, ein Pseudobeweis irgendeiner üblen Straftat oder eines Vergehens. Und Gerhard ist ein so aufrechter Mann, mit einem starken Gerechtigkeitssinn.
Auch, wenn sie es nicht gutheißt, so weiß sie doch, dass sein Tun für diesen Verein selbstlos ist. Uneigennützig und selbstlos. Und dass er nicht aufhören wird. Dieser Bonsayh ist auf dem Holzweg, denkt sie, wenn er glaubt, dass Gerhard dann aufhören wird, wenn er ein paar Lügen über ihn verbreitet, nein, sie kennt ihren Gerhard, das Gegenteil wird geschehen, er wird um so hartnäckiger die Welt retten, die HEILE WELT, die ohne ihn schon längst verloren wäre.
Sie seufzt tief auf und erschrickt, als Gerhards Silhouette in der Tür auftaucht und einen dunklen Schatten vor dem hellen Flurlicht wirft.
„Mandy?" seine Stimme, müde, ein bisschen tonlos.
Sie nickt, erinnert sich dann aber, dass sie im Dunkeln sitzt und er sie nicht sehen kann und sagt:
„Ja.Ich bin hier, auf dem Sofa." Sie klopft mit der linken Hand neben sich.
Er betritt den Raum und lässt sich schwer neben sie sinken.
„Es ist blödsinnig, wenn ich dich frage ob wir da wieder rauskommen, oder?"
Ohne es zu sehen, spürt sie, wie er sie im Dunklen ansieht.„Mandy,"seine Stimme ist resigniert, „Mandy, das geht nicht. Ich kann den Verein jetzt nicht allein lassen. Und ohne mich geht das nicht weiter. Corinne braucht mich."
„Gerhard, warum? Warum ist da so wichtig? Warum ist Corinne so wichtig?" ein tonloses Schluchzen steigt in ihrer Kehle auf, das sie widerwillig versucht zu unterdrücken.. „Warum ist das so wichtig, dass du alles dafür opferst? Deine Familie, den Heim, in dem du nie bist, deine Reputation, die hier angegriffen wird, dein guter Ruf, und vielleicht auch deinen Job, wenn dieser Bonsayh seine Verleumdungen auch an deinen Arbeitgeber schickt, wie er es angekündigt hat. Warum, Gerhard, warum ist das so wichtig?"
Eine Pause entsteht, während der sie hört, wie Gerhard einatmet. Sie hört an einem feinen Rascheln, wie er den Kopf in die Hände stützt. Seine Stimme klingt erschöpft und dumpf als er antwortet:
„Ich weiß, dass du das nicht verstehst und irgendwie verstehe ich eben das auch nicht. Du hast das doch alles schon erlebt, wie es war, früher. Du warst dabei, ich war dabei, wir und unser Freunde, wir sind auf de Straße gegangen und wollten Freiheit. Freiheit," wiederholt er. „Und wir haben sie bekommen, diese Freiheit. Und Mandy," sie spürt, wie er aufsieht, sie im Dunkeln ansieht; „ich werde mir die Freiheit nicht wieder nehmen lassen. Es ist nicht viel Freiheit, die es uns gelungen ist, für uns zu gewinnen und vieles ist nicht so gelaufen, wie wir es uns damals vorgestellt haben, aber um dass bisschen muss man kämpfen. Und darum, dass es bleibt, dass es besser wird. Das ist eine Freiheit, die wir jetzt haben. Diese ewig-gestrigen Bonsayhs, die haben keine Macht mehr über uns, wenn wir sie ihnen nicht geben. Und es ist egal, ob es politisch ist, rechte Gruppierungen und Extremismus oder was weiß ich oder hier, vor unserer Haustür, hier gegen diesen alten StaSi Bosayh. Das ist es, was ich nicht wieder will, Mandy. Weder für mich noch für dich, noch für die Kinder. Es geht nicht um Corinne, es geht nicht mal um denVerein, es geht um viel mehr. Es geht um Freiheit. Ich will nicht, dass diese alten Regeln wieder gelten, diese viel beschworenen „Regeln einer funktionierenden Dorfgemeinschaft", dieses Denunzieren, diese Lügen, diese Anzeigen, dieses Verteufeln, dieses Verhetzen. Und wenn ich sehe, wie die Zeitung da mitmacht, wie sie sich zusammentun und all diese Lügen glauben und verbreiten, ohne sich von der Wahrheit zu überzeugen, ohne einen Blick zu werfen auf den Verein, auf die Vereinsarbeit, auf das was wir wirklich tun –Mandy, ich kann nicht aufhören. Es ist zu ungerecht und es nimmt mir die Luft zum Atmen, es nimmt uns allen die Luft zum Atmen. Das ist nicht das Land, in dem wir leben wollen, das ist die Hölle aus der wir kommen: In der du angezeigt, angeklagt werden kannst für Dinge, die du nicht getan hast. In der Denunziantentum und Meineide genügen,um dich zu verurteilen, in dem niemand kommt und nachsieht, ob du wirklich ein Schloss zerstörst, ob du es überhaupt betreten hast, ob du überhaupt einen Traktor besitzt, der das Gelände zerfährt, ob du überhaupt Mist widerrechtlich lagerst oder entsorgst, ob duüberhaupt Bäume gefällt oder zerstört hast, ob es überhaupt eineWasserleitung im Stall gibt, ob du Strom entwendet hast oder vielleicht einen Generator besitzt...du weißt, was hier los ist, ich könnte die Reihe endlos fortsetzen."
Mandy steht auf, im Dunkeln, sie steht vor Gerhard. Leicht legt sie ihm eine Hand auf die Schulter.„Nein, ich verstehe das nicht. Gerhard, im Herzen verstehe ich das nicht. Ich denke, andere sollten diese Kämpfe kämpfen, heimatlose, wie diese Corinne, zwielichtige Typen, wie Doreen, die nichts zu verlieren haben, die keine Familie haben und kein Heim. Warum du? Ich verstehe das nicht und werde es nie verstehen. Denn, mal ehrlich, es ist nicht wichtig, Es ist ein kleiner Verein, ein völlig unbedeutendes gammeliges Schloss, ein irrer Schlossherr und ein bescheuerter StaSi Knaller. Es ist nicht wichtig, verstehst du das nicht, es ist nicht wichtig, was du da tust!"
Ihre Stimme bricht und wird leiser: "Wir sind wichtig, wir sind deine Familie, wir sind wichtig!" flüstert sie.
"Mandy, da irrst du. Es ist wichtig, egal, wie klein es ist. Wie kann ich für euch sorgen, für meine Familie, wenn ich Unfreiheit dulde, wenn ich weglaufe vor solchen Aufgaben. Wenn ich mich verstecke und zulasse, dass diese Menschen wieder Macht bekommen. Wie sieht es mit der Freiheit für meine Kinder aus, wie ist die Welt in der sie morgen leben müssen, wenn ich heute vor solchen Problemen davonlaufe?"
„Ja, Gerhard," Mandys Stimme ist resigniert, „ich weiß." Sie nimmt ihre Hand von seiner Schulter und wendet sich zur Tür: "Aber wenn du etwas anfängst, mit dieser ätzenden Doreen oder Corinne oder sonstewem von den Reittussis, dann hast du den Krieg zu Hause, das schwör ich dir!"
„Mandy, verdammt, darum geht es doch gar nicht."
Seine Worte verhallen. Sie hat den Rum schon verlassen. Er hört ihre Schritte auf der Treppe nach oben. Er ist müde, so müde. Vielsicht hat sie recht. Vielleicht sollte er ein bisschen Pause nehmen, vom Welt retten. Aber er weiß, dass es nicht geht. Er muss kämpfen weiterkämpfen, bis es zu Ende ist, denn ohne ihn geht die heile Welt verloren.
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Libertas Haus, das Schloss
ParanormalWas bisher geschah: Corinne Haalswor und ihre 16 jährige Tochter Tamara ziehen aus München in den wilden Osten Deutschlands ins Hinterland von Halle/Saale in das kleine Dorf Grömlitz. Hier scheint die Zeit stillzustehen und es finden sich bald all...