Ehrlichstett, September 2016

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Corinne quält sich. Während alle Mut schöpfen, während das Rad sich zu drehen scheint und das Schicksal sich für den Verein zum Guten zu wenden scheint, während die Verfolgung durch diesen Bonsayh und seine Bürgerbewegung nachgelassen hat, während keine Anzeigen mehr eintrudeln und auch die Pferde in den Koppeln bleiben, wo sie hingehören, bereitet man sich zuversichtlich auf den großen Prozess vor.

Aber Corinne hadert mit sich. Mit sich und der Welt in der sie gefangen ist. Sie fühlt sich hilflos. Der Überfall. Die Nötigung durch den Bagger.

Und das Kunstverbot setzt ihr mehr zu, als sie sich eingestehen kann. Es ist, als ob ihr eine Grundlage entzogen wurde, noch nie, so scheint es ihr, war sie ohne Kunst. Sie macht kleine Filmchen für den Kanal von Tammi, sie hat angefangen zu fotografieren und sie schreibt mit Feuereifer an ihrem blog. Aber es sind keine Bilder. Es ist nicht dasselbe. Sie, die sich immer schon über Bilder geäußert hat, ist nun ihrer wichtigsten Sprache beraubt worden.


Unverständnis schlägt ihr entgegen, je bekannter ihr Kunstverbotsfall wird. Sie solle doch einfach weitermalen, so tun, als ob nichts wäre, es wäre doch nur ein Bild, sie könne doch noch so viele malen. Sie solle kämpfen, sich nicht kleinkriegen lassen.

Es treffen Aufrufe ein, Mails und Postings, die ihr Mut machen, die sie bestätigen wollen, die sie bestärken, nicht aufzugeben, aber auch, die sie beschimpfen und für ihre Feigheit tadeln.

Dann Desi, Dieter und Gerhard, Freunde, die ihr helfen, die ihr den Rücken freihalten, ihr Zeit schenken, sich zu finden, sich zu sammeln, zu überlegen. Sie solle malen, an malen dagegen. Gegen dieses Verbot. Es rührt sie. Die Anteilnahme und der Mut der anderen.

Aber sie malt nicht mehr. Sie ist sich bewusst, dass das etwas Larmoyantes hat, etwas Weinerliches, etwas fast schon kindisch Beleidigtes. Aber es geht nicht. Nach dem wenig zufriedenstellenden Experiment, Menschen ohne Köpfe zu malen, um einem fiktiven Persönlichkeitsrechtsbruch vorzubeugen.

Sie hat den Glauben verloren.

Den Glauben an die Notwendigkeit von Kunst.

Kunst ist nach ihrer Auffassung mehr als das Produzieren von bunten Bildern. Es muss einen Sinn machen, Kunst zu produzieren, sagt sie einer Journalistin. Einen Sinn machen, einen guten Grund geben. Wenn ein Bild im Namen des Volkes verboten wird, dann fällt ein Teil dieses guten Grundes weg. Wenn das Volk, das Publikum, der Betrachter dieses Bild nicht mehr sehen will, dann können alle Bilder aus ebendiesem Grund verboten werden. Die Kunst selbst scheint keine Bedeutung mehr zu haben. Wenn sie einfach verboten werden kann, dann ist es egal, was man malt und warum. Die Kunst ist keine Waffe, kein Bote, kann nichts bewegen und verändern, sie kann noch nicht einmal zeigen, verstören, aufrühren, beruhigen, gefallen oder erfreuen, wenn sie verboten werden kann. Dann ist sie ein Nichts. An- und auszuknipsen, etwas Banales, eine Lappalie.

Wenn es egal ist, was sie sagt, dann will sie gar nicht mehr sprechen.

Es tut ihr leid.

Sie kann damit nicht leben.

Sie kann damit nicht leben, etwas Bedeutungsloses zu produzieren. Zu eitel, zu selbstüberzeugt? Vielleicht auch nicht mutig genug, nicht renitent, nicht kompromisslos genug, dagegen anzumalen. Gegen dieses Verbot.

In ihrer Erinnerung war die Kunst unverbietbar, in ihrer Erinnerung darf Kunst kontrovers sein, darf zur Meinungsbildung anregen und muss keinen Konsens hervorrufen. In ihrer Erinnerung geht man auch in der Kontroverse intelligent und überlegt miteinander um und Kunst ist immer auch ein Botschafter von Menschlichkeit, von einem Urmenschlichen, einer Conditio Humana, die dem Besseren zustrebt. In ihrer Erinnerung macht man Kunst nicht zum Vehikel irrationaler Entscheidungen. In ihrer Erinnerung aber hilft man auch Menschen, die auf der Flucht oder in Not sind, in ihrer Erinnerung ist Politik, ist Demokratie dazu da, oft langwierig, oft qualvoll, aber immer überlegt, Kompromisse zu finden, nach der Möglichkeit zu suchen, wie viele Menschen auf engem Raum friedlich miteinander leben können, ohne sich gegenseitig Schaden zuzufügen. Ihre Erinnerung stammt aus einer anderen Welt, die es vielleicht nie gab.

Es tut ihr leid.

Es betrübt sie, dass das so ist. Es macht sie traurig und schwach.

Während der HEILE WELT Verein erstarkt, Mut schöpft durch die Ereignisse und Erfolge der letzten Wochen, spürt sie, wie sie mehr und mehr verblasst.

Und wie sie die Welt nicht mehr versteht.

Und wie sie die Kraft verliert.

Und wie sie anfängt, ihre Schwäche zu fürchten.



Libertas Haus, das SchlossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt